Der EU-Vertrag von Lissabon, am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten, wird durchwegs als wichtiger Schritt zur Stärkung der Demokratie für die EU bezeichnet. Besonders die neue Möglichkeit der Kontrolle der Subsidiarität (Art. 3b (5) wird hervorgehoben und hochgejubelt. Man könne jetzt eine "gelbe Karte" zeigen und gegebenenfalls eine Klage einbringen.Dieser "Zuwachs an Demokratie und Legitimität in der Funktionsweise der EU" bedeutet nicht viel.
Nämlich:
Die Entscheidung über eine Klage wegen Nichtbeachtung der Subsidiarität fällt
n i c h t der Verfassungsgerichtshof Österreichs (VfGH) sondern der Europäische Gerichtshof (EuGH).
Dieser Gerichtshof hat sich in seiner knapp 60-jährigen Geschichte noch nie gegen die Integrationspolitik entschieden, läßt also wenig Schutz des Subsidiaritätsprinzips erwarten! Den EuGH bezeichnet man als "Motor der Integration" (Rudolf Streinz, Europarecht; §812, S 213)
Dazu haben die nationalen Parlamente nur acht Wochen(!) Zeit zur Einreichung einer Klage. In dieser kurzen Zeit muss begründet darlegt werden, dass ein Rechtsetzungsakt der Europäischen Union nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist, sonst hat der Vorschlag Bindungswirkung und ist nicht mehr aufgrund der Missachtung des Subsidiaritätsprinzips anfechtbar!
Aber: Soweit der Bereich auschließlicher Unionszuständigkeiten betroffen ist, gibt es keine Anwendbarkeit der Subsidiarität. Auschließliche Zuständigkeiten ist der Union sind die sehr wichtige Politikbereiche, wie die Bestimmung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik, Binnenmarkt und Wettbewerbsregeln, Aussen- u. Sicherheitspolitk oder die Währungspolitik.
Ausgenommen sind auch die Kompetenz-Kompetenzen der Europäischen Union: Flexibilitätsklausel (Art. 352), die Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung (Art. 311 AEUV (EU-Steuern möglich) oder das vereinfachte Änderungsverfahren (Art. 48/6 EUV). Mit diesen Ermächtigungsgesetzen kann die Union den Vertrag ändern, EU-Steuern einführen und sind selbst mit allen Befugnissen ausstatten, die sie zur Erreichung ihrer weiten Ziele hat!
Diesen Ermächtigungsgesetzen muss das österreichische Parlament
n i c h t zustimmen, es ist k e i n e Ratifikation notwendig.
Die Kommission muss die begründeten Stellungnahmen gegen einen Gesetzgebungsakt berücksichtigen oder überprüfen. Dazu sind allerdings ein Drittel oder ein Viertel der Gesamtanzahl der Parlamente der Mitgliedsstaaten notwendig.
Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gibt es für das Subsidiaritätsprinzip Besonderheiten, nämlich: Je nach Anzahl der begründeten Stellungnahmen, wonach der Vorschlag für einen Gesetzgebungsakt nicht mit dem Subsidiaritsprinzip im Einklang steht muss der Vorschlag von der Kommission neu überprüft werden und kann an in festhalten, ändern oder zurücknehmen. Weiters: Ist der Gesetzgeber mit der Mehrheit von 55 % der Mitglieder des Rates oder einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen im EU-Parlament der Ansicht, dass der Vorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, wird der Gesetzgebungsvorschlag nicht weiter geprüft.
Es ist problematisch, dass große Länder nicht mehr Stimmgewicht haben wie kleine Länder. Die Subsidiaritätslage ist in den verschiedenen Ländern dazu unterschiedlich. Österreich oder Deutschland könnte beispielsweise jede Politik auch ohne EU-Gesetzgebung verwirklichen, sogar meist besser, jedenfalls stärker demokratisch legitimiert.
Das Subsidiaritätsprinzip sollte durch den EU-Vertrag (Primärrecht) materalisiert werden und die verfassungsrechtliche Prüfung dem VFGH gegeben werden.
Links: Verfassungsklage Österreich S 317-323)
Fazit: Die neue Subsidiaritätsregelung des Vertrages von Lissabon kann das demokratische Defizit der Union nicht ausgleichen und ist kein ausreichender Schutz vor der nicht überschaubaren und gewaltengeteilten EU-Gesetzgebung. Die Ermächtigungen der EU sind unkontrollierbar weit und nicht mehr begrenzt, so wie es der Vertrag vorschreibt (Art. 5 EUV).
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