2017-07-03

Arbeitslos – Hoffnungslos – Gewaltbereit, das sollte nicht die Zukunft unserer jungen Menschen sein.




Was wir gegenwärtig erleben ist der Aufbau einer weltweiten Arbeitslosigkeit mit dramatischen Folgen. Diese führt einerseits zu verständlicher Radikalisierung der ‚Jugend ohne Zukunft‘ sowohl in den Industriestaaten als auch in den ‚Entwicklungsländern‘, sowie zur Massenflucht der Verzweifelten aus diesen in jene wohlhabenden Staaten die selbst mit steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Hinzu kommt die Überforderung der Sozialsysteme und Staathaushalte in den Industrieländern. 
Der 1991 verstorbene weltweit anerkannte Nationalökonom, Soziologe und Theologe, Oswald Nell-Breuning, hat immer wieder betont, dass der Mensch sinnvolle Arbeit braucht, um ein erfülltes Leben zu haben. Deshalb hat er die weiterhin praktizierte ‚Arbeitsmarktpolitik‘ in den Industriestaaten, heftig kritisiert. Diese bringt es einerseits nicht fertig ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen und zwingt andererseits die Menschen dazu, um des Überlebens willen ‚prekäre‘ Arbeitsverhältnisse, die sie nicht befriedigen, zu akzeptieren.
Im Gleichklang mit und in Weiterführung von Nell-Breuning hat ein Kollektiv von anerkannten Professoren in der Studie <Arbeit ohne Umweltzerstörung – Strategien einer neuen Wirtschaftspolitik>[1] schon vor 33 Jahren (1983) festgestellt, dass eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik in eine gesamthafte Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik eingebettet sein muss. Die vorherrschende neoliberale Wirtschaftspolitik hat jedoch diesen Weckruf nicht nur nicht beachtet, sondern ihre zum Großteil kontraproduktiven Strategien und Maßnahmen verschärft – mit dem Ergebnis, dass wir nun in Europa rd. 20 Millionen erfasste arbeitslose Menschen haben, und weltweit 200 Millionen (eine realistische Ziffer liegt wahrscheinlich bei einer Milliarde). Besonders drückend ist die Jugendarbeitslosigkeit, die in den europäischen Südstaaten bei 50% und darüber liegt.
Der Blick auf die ‚Entwicklungsländer‘ erfordert eine zusätzliche Sichtweise, die ebenfalls kurz angeleuchtet werden muss.
Im Folgenden soll versucht werden, die sich anbietenden Auswege in der gebotenen Kürze skizzenhaft aufzuzeigen:
Zu den ‚Entwicklungsländern‘: Jede arbeitsteilige Wirtschaft mit einer Vielzahl von Arbeitsplätzen setzt voraus, dass das Grundbedürfnis auf Nahrung für alle Bewohner durch eine produktive, vielfältige Landwirtschaft gedeckt wird. Daher muss der bisher in der internationalen Entwicklungspolitik vernachlässigte lokale Agrarbereich Priorität erhalten. Der so entstehen könnende gewerblich-industrielle Bereich bedarf in der Aufbauphase eines handelspolitischen Schutzes. (Auch unsere Volkswirtschaften hatten einen solchen in der Vergangenheit.) Flankiert muss dies werden, durch eine die örtlichen Primärenergiequellen nutzende Energiepolitik – insbesondere die reichlich einstrahlende Sonnenenergie. Hinzukommen muss vor allem eine befreiende Finanzpolitik, die die lokale Geldschöpfung ermöglicht und die international aufgedrückte Schuldsklaverei, die die ökonomische Manövrierfähigkeit einschränkt, beendet.[2] 
Ein wesentlicher Faktor ist insbesondere die Bildung. Diese bewirkt nämlich nicht nur die Fähigkeit zu innovativer wirtschaftlicher und außerwirtschaftlicher Aktivität sondern auch eine deutliches Sinken der Geburtenrate.[3] Letzteres ist deshalb von so großer Bedeutung, weil in den Entwicklungsländern derzeit die Geburtenraten das Wirtschaftswachstum und die Möglichkeiten der Schaffung von genügend Arbeitsplätzen übersteigen.
Zu den Industrieländern und zu den Folgen der steigenden Arbeitslosigkeit.
Derzeit wird allenthalben ‚Entwarnung‘ gegeben, weil die Arbeitslosenrate kurzfristig um einige Prozentpunkte zurückgegangen ist. Alle Langzeitstudien zeigen jedoch, dass bei Fortschreiben der gegenwärtigen Rahmenbedingungen binnen drei Jahrzehnten bis zu 60 %  der traditionellen Arbeitsplätze wegfallen werden, weil die Automatisierung und Digitalisierung rasant weiter fortschreiten. Dies wird nicht nur zulasten der ‚weniger Lernfähigen‘, sondern auch zu Lasten der Facharbeiter gehen, weil in der programmierten Wegwerfgesellschaft insbesondere Reparatur, Instandhaltung und Wiederverwertung wegbrechen.[4]
Die bedeutet für die jungen Menschen, die sich in einen ‚globalen Gladiatorenkampf‘ eingespannt sehen,[5] eine Zukunft des brutalen Existenzkampfes, der für die Schwächeren von vornherein verloren ist.
Die Reaktion der nicht Erfolgreichen kann in mehrere Extreme gehen: In die Kapitulation (Fürsorgefall), in die Rache an der Gesellschaft von der man sich kalt behandelt, abgewiesen und verlassen fühlt[6] , in das Andocken an Bedeutung und scheinbare Bergung gebende wirtschaftliche Parallelgesellschaften (z. B. Mafia) oder in ideologisch- religiös motivierte Parallelgesellschaften die ebenfalls Bergung bieten und Gewalt legitimieren (vor allem korangetreuer Islam).
Die Dokumentarfilmerin Johanna Tschautscher, die es gewagt hat einen Film über die Mafia zu drehen, kommt zur klaren Aussage: Arbeitslose Jugendliche aus armen Verhältnissen und ohne positive Zukunftsaussichten, werden von der Mafia angeworben. Dort bekommen sie Bedeutung und Macht. Wenn sie allerdings im Netz eingebunden sind kommen sie ohne Todesrisiko nicht mehr heraus. Die Trias wird deutlich.
Wenn man Vollbeschäftigung als Ergebnis einer Wirtschaftspolitik versteht, die es allen Mitgliedern einer Volkswirtschaft ermöglicht, ihre Bedürfnisse nach Gütern und nach Arbeit in Übereinstimmung zu bringen, dann muss man sämtliche derzeitigen Politiklinien hinterfragen. Vor allem die Annahme, besser die Behauptung, dass Investitionen Arbeitsplätze schaffen, ist nicht haltbar. Bei den gegenwärtigen Rahmenbedingungen (insbesondere der Besteuerung der menschlichen Arbeit – Roboter zahlen keine Steuern) bewirken neue Ausrüstungsinvestitionen in der Regel die ‚Einsparung‘ von Arbeitskräften – also Arbeitslosigkeit. Die gegenwärtige Politik des billigen Geldes der Europäischen Zentralbank ist daher gesamthaft kontraproduktiv.
Um sinnvolle Vollbeschäftigung zu erreichen bedarf es eines Bündels von Maßnahmen:[7]
- In der Finanzpolitik muss die gegenwärtige Dynamik der Verschiebung des Volkseinkommens in Richtung Kapitaleinkommen zulasten der Masseneinkommen durchbrochen werden, damit die Massennachfrage entsprechend steigt. Dies ist durch eine Reform der Geldschöpfung und durch einen geordneten internationalen Schuldennachlass möglich.[8]
- In der Handelspolitik muss das Bestimmungslandprinzip Platz greifen: Wenn eine Ware oder sonstige Leistung nicht unter sozialen und ökologischen Bedingungen erstellt wurde, die denen des Bestimmungs(Import)landes gleichen, dann bekommt das Gut keinen Marktzutritt oder wird mit einer der Kostendifferenz entsprechend Ausgleichsabgabe belastet. Wenn diese Maßnahme nicht getroffen wird, wandern die Arbeitsplätze zu jenen Anbietern, die Mensch und Natur am ‚effizientesten‘ ausbeuten.
- In der Steuer- und Sozialpolitik muss die handelspolitisch abgesicherte Umschichtung zu Kapitalumsatz-, Energie- und Rohstoffverbrauchs- sowie zur Besteuerung der Großvermögen erfolgen. ‚Maschinensteuern‘ sind ebenfalls nur zielführend, wenn sie handelspolitisch abgesichert sind. Wohl aber ist eine Internetabgabe von einem Millionstel Cent je bit machbar. Sie würde trotz Gewährung von Freimengen und der Befreiung der sozialen und wissenschaftlichen Dienste etwa € 30 Mia – also rd. 40 % des österreichischen Bundesbudgets erbringen.[9]  Es wäre also genug Spielraum für die Verbilligung der menschlichen Arbeit und für den sogenannten ‚informellen Sektor‘ [10] vorhanden. Auch jene bisher nicht gewährten sozialen Vergütungen, wie die Honorierung der der Arbeit von Müttern und Vätern (Muttergehalt), wären leistbar.
- Mit der eingangsseitigen Sanierung der Budgets wäre auch ein Grundeinkommen für alle Bürger und Bürgerinnen finanzierbar. Dieses würde nicht nur den demütigenden Makel der Arbeitslosigkeit beseitigen, sondern auch die freie Wahl einer angepassten (beglückenden) beruflichen Einkommenskombination ermöglichen (Man muss nicht jeden ‚Job‘ annehmen, um zu überleben.)
Ein Grundeinkommen (gesellschaftliche Grundsicherung) muss jedoch von einer gemeinwohlorientierten Ethik getragen werden, wenn es nicht missbraucht werden soll. Diese Haltung muss vor allem im Bildungswesen vermittelt werden. Haltungen wie sollten unter gesellschaftliche Verachtung gestellt werden, und positives Engagement sollte ‚vor den Vorhang‘ geholt werden.
Dass die Gewährung eines Grundeinkommens handels- und sozialpolitisch abgesichert werden muss, wenn das dieses gewährende Land nicht überrannt werden soll, sei der Vollständigkeit halber erwähnt.
Wir sehen also, dass ein Bündel von Maßnahmen zu Verfügung steht, das beharrlich angegangen werden muss, wenn wir nicht in unerträgliches menschliches Leid und in soziale Katastrophen hineinschlittern wollen.
Die gegenwärtigen internationalen (insbes. billiges Geld) und nationalen (vor allem befristete Beschäftigungsprogramme) Maßnahmen sind leider nur wirtschaftspolitische Beruhigungspillen, die an der negativen Gesamtdynamik in Richtung steigender Arbeitslosigkeit nichts ändern.





[1] S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1983; H. Ch. Binswanger, H. Frisch, H. G. Nutzinger, B. Schefold, G. Scherhorn, U. E. Simonis, B. Strümpel
[2] Hierzu gibt es eine ‚Motion‘ (Vorhalt und Empfehlung) an das im Rahmen des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen (ECOSOC) im Juli 2017 stattfindende ‚Hochrangige Politische Forum 2017‘ und das ‚Ministertreffen zur Beseitigung der Armut und zur Förderung des Wohlstandes in einer sich wandelnden Welt‘, dessen Text beim RSK abgerufen werden kann.
[3] Eine Studie des Wittgenstein Zentrums für Demographie und Globales Humankapital (Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital) in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Institut für Systemanalyse (IIASA) und dem Institut für Demographie der Österreichischen Akademie für Wissenschaften zeigt, dass bei erhöhten Bildungsanstrengungen – vor allen für Frauen – das erwartete Wachstum der Weltbevölkerung bis 2060 um rd. eine Milliarde Menschen gesenkt werden könnte.
[4] Siehe Die Presse, Economist, S 15 vom 14. 6. 2017 .
[5] Dies ist die Formulierung eines Studenten im volkswirtschaftlichen Seminar. Sie trifft zu, weil zur Ruhigstellung der Arbeitslosen stereotyp das Mantra  wiederholt wird: Suche also die Schuld gefälligst bei dir und nicht im System.
Wenn aber insgesamt zu wenig Arbeitsplätze vorhanden sind, dann ist dieser ‚Rat‘ geradezu zynisch, und der Student hat recht: Als Gladiator musst Du andere umbringen, damit du in der internationalen Arena bewundert überlebst.
[6] Siehe die Analyse des Gerichtspsychiaters, G. Haller, nach dem grauenhaften Anschlag in Manchester vom
22. 5. 20017 in Die Presse vom 24./25. 5. 2017 S 1 .
[7] Ausführlicher sind diese in meiner Denkschrift <Handreichung – Manifest – Unverzichtbare Eckpunkte einer weltweit zukunftsfähigen Gesellschaftsgestaltung>, die beim RSK aufliegt, dargelegt.
[8] Da die den Schulden gegenüberstehenden Guthaben aus dem Nichts geschöpft wurden, können sie auch wieder ohne gesamtwirtschaftlichen Schaden dorthin zurückgeführt werden.
[9] Analoges gilt für Deutschland und die Schweiz.
[10] Der ‚informelle Sektor‘ ist jener Bereich beschäftigungsähnlicher Arbeitsverhältnisse, die im formellen Sektor nicht ausgeübt werden, weil dort die Kosten zu hoch sind. Beispiele sind die zivilen Hilfsdienste und die Arbeitsgenossenschaften im Trentino, die landschaftskulturelle und kulturelle Aktivitäten mit sonst arbeitslosen Menschen vollbringen. 




Der Autor:
Heinrich Wohlmeyer, Gen. Dir. a. D., Hon. Prof. Dipl. Ing. agr. Dr. iur. Dipl. in Law,
geboren 1936 in St. Pölten, studierte in Wien, London und den USA, war erfolgreich in der Industrie- und Regionalentwicklung tätig und ist einer der wenigen Manager, die mit der Goldenen Arbeiterkammermedaille ausgezeichnet wurden. Er stand an der Wiege der Nachhaltigkeitskonzepte, war stets ein unbequemer Querdenker und Praktiker, entwarf das erste "Grüne Energieprogramm" für Österreich und zeigte frühzeitig die Möglichkeiten der kreislauforientierten Nutzung nachwachsender Rohstoffe und Primärenergierträger auf. Die Strategien für die gesetzliche Herstellung gerechter Wettbewerbsverhältnisse im Bereich der landwirtschaftlich Rohstoffe verarbeitenden Industrie vor dem EU-Beitritt Österreichs sind weitgehend sein Werk. Es folgten der Aufbau der österreichischen Vereinigung für Agrar- und Lebenswissenschaftliche Forschung und der österreichischen Gesellschaft für Biotechnologie sowie die Gestaltung der Forschungskonzepte in diesen Bereichen. Lektor an der Technischen Universität Wien über kreislauforientierte Verfahrenssysteme, Honorarprofessor für Ressourcenökonomie und Umweltmanagement an der Universität für Bodenkultur in Wien. Zahlreiche Publikationen in Fachzeitschriften und Büchern. Zuletzt starkes Engagement im Bereich der Finanz- und Handelspolitik 


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