Peter Bachmaier
Mittel- und Osteuropa in der neuen
Weltordnung
Informations- und Diskussionsabend
„Ungarn versus Globalisierung“
Initiative Heimat und Umwelt,
Kolpinghaus, 6. März 2012
Globalisierung und Neue Weltordnung
Die Globalisierung im
heutigen Sinn begann mit der Liberalisierung des Welthandels und mit
der Einführung des Neoliberalismus durch die USA und Großbritannien.
Sie hängt mit dem Begriff „Neue Weltordnung“ eng zusammen, den
Präsident Bush im September 1990 nach dem Zusammenbruch des
Ostblocks in einer Rede vor dem amerikanischen Kongress prägte, und
Bush fügte erklärend hinzu: eine „neue Weltordnung unter der
Führung der USA“. Das ist das internationale System, das wir bis
heute haben.
Der Umsturz 1989 mit Hilfe des Westens
Die wesentliche
Veränderung in der Neuen Weltordnung war die Expansion des Westens
nach Mittel- und Osteuropa, das bis 1989 zum Herrschaftsbereich der
Sowjetunion gehörte, aber Gorbatschow „verzichtete“ am 2.
Dezember 1989 in der Konferenz von Malta mit Präsident Bush auf
diese Länder und deshalb sind sie heute ebenfalls ein Teil des
westlichen Imperiums. Der Zusammenbruch des Ostblocks und der Umsturz
im Jahr 1989 waren auf die innere Schwäche des Systems
zurückzuführen, aber auch auf den „westlichen Faktor“, vor
allem auf die Offensive der USA unter Reagan. Die Revolution wäre in
den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern ohne den
amerikanischen Einfluß nicht zustande gekommen. Die Charta 77 in der
Tschechoslowakei und die Solidarność in Polen hätten ohne die
Unterstützung Amerikas nicht überleben können.
[Eine entscheidende Rolle
spielte bei diesem Sieg der westliche kulturelle Einfluß, was man
heute „soft power“ nennt, vor allem der Einfluß der
amerikanischen Popkultur, die teilweise völlig legal über Rundfunk,
Fernsehen, Hollywoodfilme und Kulturaustausch eindrang und die
„westlichen Werte“ verbreitete. Das war aber nicht die klassische
europäische Kultur sondern: Liberalismus, Individualismus und
Materialismus.]
Die Neue Weltordnung in Mittel- und
Osteuropa nach 1989
Die Neue Weltordnung,
die nach der Wende in Mittel- und Osteuropa eingeführt wurde,
bedeutete die Einführung des neoliberalen Modells, die Diktatur des
Geldes, die folgende Merkmale hat: völlige Liberalisierung der
Wirtschaft, Auflösung des Staatseigentums und Privatisierung, Abbau
des Staates und Deregulierung, die Unterstellung des Landes unter die
Kontrolle des ausländischen Kapitals und schließlich die politische
Eingliederung in das westliche System, in die EU, die NATO, in die
Welthandelsorganisation WTO. Die Reform wurde vom Internationalen
Währungsfonds und der Weltbank kontrolliert und an politische
Bedingungen geknüpft.
Vorherrschaft der USA
Die geistigen Grundlagen
und Ziele der Neuen Weltordnung nach 1989 wurden vom „Council on
Foreign Relations“ ausgearbeitet, das sind Dokumente wie das
„Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert“, das 1997 unter
der Leitung von William Kristol und Richard Perle ausgearbeitet
wurde, um das Ende des „Zeitalters des Westfälischen Friedens“
und des Völkerrechts zu begründen. Im Jahr 2001 kündigte Präsident
Bush auf Empfehlung dieser Projektgruppe den ABM-Vertrag mit Rußland,
der eine Begrenzung der Raketenabwehrsysteme vorsah. Einer der
Architekten der neuen Ordnung war auch Zbigniew Brzezinski, der in
seinem ebenfalls 1997 erschienen Buch „Die einzige Weltmacht:
Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (Originaltitel: „The Grand
Chessboard“, 1997), die Aufteilung Rußlands forderte oder Die
Nationale Sicherheitsstrategie der USA 2002 und die vom CFR 2008
publizierte „Vision 2015“.
Das Ergebnis war aber
nicht die Entstehung einer produktiven, schöpferischen Mittelklasse
als Rückgrat der neuen Gesellschaft, sondern einer „abhängigen
ausländischen Elite“ (Brzezinski), einer Klasse von nouveaux
riches, die unter der Kontrolle des IWF stehen. Ihre Kinder studieren
heute an Eliteuniversitäten in England und Amerika, um von dort mit
einem „neuen Bewußtsein“ wieder zurückzukehren.
Die EU – ein amerikanisches Projekt
Eine Säule der neuen
Ordnung ist die Europäische Union, die ursprünglich ebenfalls ein
amerikanisches Projekt war, ausgearbeitet von Jean Monnet, der in
Wirklichkeit ein amerikanischer Bankier und ein Lobbyist der
Wallstreet war. Der Plan sah die Vereinigte Staaten von Europa unter
amerikanischer Führung und die Auflösung der Nationalstaaten vor.
In den Verträgen von Maastricht 1992, Kopenhagen 1997 und Lissabon
2007 festgelegten Bestimmungen festgelegt: im wesentlichen der
Neoliberalismus mit den vier Freiheiten und Auflösung der
Nationalstaaten. Die Entscheidungen werden nicht vom Europäischen
Parlament getroffen, sondern von der EU-Kommission, also einem nicht
gewählten Beamtenapparat. Das Ziel ist nach wie vor ein
zentralisierter Superstaat mit einheitlicher Verfassung, die in
Lissabon beschlossen wurde, und einer Wirtschaftsregierung.
Mittel- und Osteuropa
wurden durch die NATO und die EU in das westliche System
eingegliedert. Die Ost-Erweiterung wurde durch die EU-Programme
PHARE, Tempus und vor allem durch die Beitrittsverträge zur EU von
2004 und 2007 zustande gebracht, und heute gibt es die „Östliche
Partnerschaft“ für Länder außerhalb der EU.
Der Wertewandel: Erziehung für die
„offene Gesellschaft“
Die Neue Weltordnung will
auch eine neue Kultur schaffen, die das traditionelle Wertesystem mit
seiner Betonung der nationalen Ideale, der Geschichte, der Religion
und der Familie ersetzt: sie setzt sich zum Ziel, eine liberale,
säkulare und multikulturelle Gesellschaft durchzusetzen. Der
amerikanische Politologe Joseph Nye prägte dafür 2005 den Begriff
„Soft Power“. Sein Buch hat den Untertitel „The Means to
Success to World Politics“. Die EU hat ihre Werte in der Charta der
Grundrechte von 2000 niedergelegt, die seit 2007 von der Agentur der
EU für Grundrechte mit Sitz in Wien überwacht wird. Die Agentur
widmet sich vor allem der Überwachung von Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und der Diskriminierung aus Gründen des
Geschlechts, der Religion und der sexuellen Ausrichtung. Kultur ist
längst nicht mehr Sache der Nationalstaaten, es gibt dafür eine
Generaldirektion der EU-Kommission für Kultur, Medien und
Bildungswesen, die die Fünfjahresprogramme für Kultur und das
Programm „Fernsehen ohne Grenzen“ verwaltet.
Der Einfluß westlicher Konzerne auf
die Medien
Die Medien in Mittel- und
Osteuropa sind faktisch von westlichen Medienkonzernen gesteuert: von
der News Corporation von Rupert Murdoch, von der Bertelsmann AG (der
in Polen die größte Tageszeitung Gazeta Wyborcza und das größte
Boulevardblatt Fakt gehört), vom Springer-Konzern (dem die
prestigeträchtigste Tageszeitung Polens Rzeczpospolita gehört),
der WAZ-Gruppe, dem Schweizer Medienkonzern Ringier und vom
österreichischen Styria Verlag, der in Südosteuropa aktiv ist. Die
westlichen Medienhäuser sind in erster Linie marktorientiert und
haben einen Journalismus durchgesetzt, der wenig mit Information aber
viel mit bildlastiger Sensation zu tun hat. Auch das Bildungswesen
wird durch die PISA-Studien und den Bologna-Prozeß gesteuert, die
das Ziel haben, das Bildungswesen im Sinne einer Ausbildung für den
Markt zu vereinheitlichen.
Die multikulturelle Gesellschaft
Die multikulturelle
Gesellschaft wird u.a. durch die Rahmenkonvention für den Schutz der
nationalen Minderheiten 1995 festgelegt, die eine Aufwertung der
Minderheiten und faktisch ihre Gleichstellung mit der
Mehrheitsbevölkerung vorsieht. Ein Beispiel dafür ist die
Albanische Universität Tetovo in Makedonien, die Albanisch als
Unterrichtssprache hat und Hochschulabsolventen produziert, die in
einem Staat mit einer slawisch-orthodoxen Bevölkerung ihr Studium
auf Albanisch abgeschlossen haben. Das ist das Programm der
Sezession, die genauso kommen wird wie in Kosovo, wo es auch so
begonnen hat, als die Albaner nur mehr albanische Schulen besucht und
nicht mehr Serbisch gelernt haben.
Die Rolle der NGOs
Eine große Rolle in
diesem kulturellen Wandel spielen nichtstaatliche Organisationen
(NGOs), auch der „dritte Sektor“ genannt, wie die „Offene
Gesellschaft“ von Soros (eine Hauptagentur der Globalisierung, die
in allen mittel- und osteuropäischen Ländern Institute eröffnete,
in Budapest bereits 1984), die für eine von nationalen Traditionen
losgelöste globalisierte Gesellschaft eintritt, amerikanische
Stiftungen wie das National Endowment for Democracy, die Europäische
Kulturstiftung in Amsterdam u.v.a. Der Westen errichtete private
Eliteinstitute wie die Mitteleuropäische Universität in Budapest,
die Neue Schule für Sozialforschung in Warschau, die Amerikanische
Universität in Blagoevgrad bei Sofia in Bulgarien, die eine neue
Elite heranbilden sollten. Eine Besonderheit des neuen Bildungswesens
ist die Errichtung von privaten Schulen und Universitäten. In Polen
gibt es heute etwa 200 private Hochschulen, meist
Wirtschaftshochschulen, die Studiengebühren einheben und ihren
Studenten dafür ein Diplom garantieren.
Österreich hatte seit
jeher enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu Mittel- und
Osteuropa, aber es wurde auch als Brückenkopf des Westens benutzt.
Nach 1989 spielte die Expansion der österreichischen Banken
(Raiffeisen) nach Osten eine große Rolle. Österreich hat von der
EU die Aufgabe erhalten, die moderne westliche Kultur über die
Organisation „Kulturkontakt“ in diesen Ländern zu verbreiten.
Österreich spielt auch
eine Rolle in der Informationspolitik: Das offizielle Österreich
unterhält ausschließlich Beziehungen zu den prowestlichen
Massenmedien der mittel- und osteuropäischen Länder. Es gibt daher
keine unabhängige Information Auch an den Instituten wie IDM. IWM,
Diplomatische Akademie etc. werden immer nur Personen eingeladen, die
einen politisch korrekten Standpunkt vertreten. Ein
antiglobalistischer oder EU-kritischer Standpunkt ist nicht
vorgesehen, z.B. wurde Richard Sulik, obwohl er Parlamentspräsident
war, nie nach Österreich eingeladen. Es wird der Eindruck erweckt,
daß die öffentliche Meinung dieser Länder ausschließlich für die
EU und für Amerika ist.
Orangene Revolutionen
In Wirklichkeit ging die
Ost-Erweiterung aber nicht überall so glatt vor sich. Dort wo es
nicht funktioniert hat, wurden orangene Revolutionen in Gang gesetzt
wie in Serbien 2000 (wo man sich der Organisation Otpor bedient hat),
in Georgien 2003, in der Ukraine 2004, in Weißrußland 2006. Dort
hat die Revolution allerdings nicht gesiegt, und deshalb hat Obama im
Dezember 2011 neue Sanktionen gegen das Land verhängt, und die EU
hat sich angeschlossen.
Fortgesetzter Widerstand gegen die
EU-Politik
Die Menschen waren 1989
gegen die Diktatur der Nomenklatura und für Europa, aber haben heute
ihre Illusionen verloren und wollen nationale Unabhängigkeit, sie
sind gegen den Brüsseler Zentralismus. Sie sind vom Regen in die
Traufe gekommen. Mittel- und Osteuropa ist heute die verlängerte
Werkbank des Westens.
Es gibt einen verstärkten
Widerstand gegen die Politik der EU, vor allem gegen die zunehmende
Zentralisierung. In der Euro-Krise gab es Widerstand gegen den
Rettungsschirm und die Fiskalunion in der Slowakei (Parlament unter
dem Vorsitz des Parlamentspräsidenten Sulik lehnte Oktober 2011 den
Rettungsschirm ab), in Tschechien, das die Fiskalunion nicht
unterzeichnet hat, in Ungarn unter Orbán, in Slowenien lehnte die
konservative Oppositionspartei von Janez Janša den Rettungsschirm
ab, und starke Widerstandsbewegungen gibt es auch in Serbien, wo die
Serbische Radikale Partei, die größte Partei des Landes, am 29.
Februar eine große Protestkundgebung gegen den EU-Beitritt abhielt,
in Polen, wo die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ einen
EU-kritischen Standpunkt vertritt, und in den baltischen Ländern.
Auch in Kroatien war die EU-kritische Stimmung so stark, daß eine
Mehrheit bei der Volksabstimmung nur dadurch zustande kam, daß die
Hälfte der Wähler zu Hause blieb.
[In den letzteren
dominieren schwedische Banken, die aber ihrerseits wieder mit dem IWF
zusammenhängen. Die Schocktherapie, d.h. das neoliberale Experiment
kommt in den baltischen Ländern langsam zu einem Ende, denn das BIP
geht zurück und die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 %, und in Lettland
ist die größte Partei wieder die russische Partei, die man
allerdings nicht regieren läßt. Die Regierungen der drei Länder
setzen alles auf den Beitritt zum Euro, von dem sie sich die Heilung
aller Probleme erwarten.]
Eurobarometer-Umfrage über Beurteilung
der Wirtschaft
Nach der
Eurobarometer-Umfrage, die die Stimmungslage der Bevölkerung in den
einzelnen Ländern erhebt, hatten 2008 Tschechien, Ungarn, Lettland
und Estland weniger als 50 % Zustimmung zur EU, und auch Polen, die
Slowakei und Litauen hatten nur wenig Zustimmung über 50 %, und die
Stimmung hat sich seither bestimmt nicht verbessert.1
In der letzten
Eurobarometer-Umfrage vom Dezember 2011 wurde die Zustimmung zur EU
nicht mehr erhoben, aber auf die Frage „Wie beurteilen Sie die Lage
der Wirtschaft Ihres Landes?“ antworteten in allen zehn östlichen
Mitgliedsländern der EU zwischen 60 und 90 % der Befragten mit
„schlecht“ und auf die Frage „Glauben Sie, daß auf dem
Arbeitsmarkt das Schlimmste erst kommt?“ ebenso viele mit „ja“.2
Die Arbeitslosigkeit
liegt mit Ausnahme von Tschechien und Slowenien in allen östlichen
EU-Ländern zwischen 10% und 15 %.3
Alternative: nationaler Widerstand
Die Alternative ist
deshalb das Festhalten am Nationalstaat, ein Widerstand gegen die
Globalisierung und eine Zusammenarbeit mit Rußland und anderen
osteuropäischen Ländern. Österreich, das über eine lange
Tradition von Beziehungen mit den mittel- und osteuropäischen
Ländern verfügt, sollte als neutraler Staat sollte ebenfalls ein
Bündnis mit diesen Ländern als Gegengewicht zum Westen aufbauen.
1
Die Presse, 26.06.2008.
2
Eurobarometer, Dezember 2011.
3
Eurostat, 01.03.2012.
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