2011-12-06

Es gibt keine Alternative zum demokratisch verfassten Nationalstaat

 Bild: oberrohrdorf.ch

von Dr. phil. René Roca
Im Zusammenhang mit dem nach wie vor geplanten Schritt der Europäischen Union (EU), die «Vereinigten Staaten von Europa» (nach einem Diktum Churchills) aufzubauen, also den Schritt vom Staatenbund zum Bundesstaat zu machen, wird immer wieder auf die historische Situation der Schweiz vor der Bundesstaatsgründung 1848 verwiesen. Der EU nahe stehende Kreise betonen in diesem Zusammenhang, auch die schweizerischen Kantone hätten ja damals Souveränität an den Bund abgegeben und vor einem solchen Schritt würden nun auch die Länder der EU stehen. Wenn man die Schweiz heute betrachte, so die EU-Befürworter weiter, könne dieser Weg doch nur von Erfolg gekrönt sein. Zum einen wird damit suggeriert, die EU befinde sich mit dem angestrebten Ziel eines Bundesstaates auf einer Erfolgsstrasse, zum anderen wird der Schweiz eingeredet, dass sie mit einem EU-Beitritt genau das vollziehen würde, was sie in ihrer Geschichte schon einmal gemacht habe, nur dieses Mal eben im grösseren Rahmen. Wer solches behauptet, ignoriert die historische Entwicklung und verfolgt das Ziel, dem schweizerischen Nationalstaat den Todesstoss zu versetzen.
Allgemein ist klar festzuhalten, dass die Situation der Schweiz vor der Bundesstaatsgründung keinesfalls mit dem heutigen Gebilde der EU verglichen werden kann, und dies aus folgenden Gründen:
1.    Die Schweiz war vor 1848 ein Staatenbund. Seit 1815 galt der Bundesvertrag mit seinen 15 Artikeln als völkerrechtliche Grundlage. Die 22 gleichberechtigten, souveränen Kantone wurden über die Klammer der Tagsatzung zusammengehalten. Die Souveränität gab den Kantonen Raum für innere Reformen (Regeneration ab 1830). Ebenfalls seit 1815 galt die für die Schweiz völkerrechtlich legitimierte immerwährende Neutralität, die eine wichtige Grundlage des Staatswesens bleiben sollte. Wie sieht dagegen heute das EU-Gebilde aus? Die EU ist de facto kein Staatenbund von gleichberechtigten Ländern. Sie ist keine Nation, sondern ein zentralistisches Gebilde (Brüssel), das durch verschiedene Vertragswerke zusammengehalten wird. An die Verträge halten sich die einzelnen Länder nur bedingt (vgl. Maastricht-Kriterien). Seit den Anfängen, also seit der Montanunion 1951, zeichnet sich die EG/EU durch das Konzept der Supranationalität aus. Das heisst, dass die einzelnen Mitgliedsländer immer mehr souveräne Rechte an das Zentrum abtreten und die eigene staatliche Souveränität kontinuierlich entleert wird. In der laufenden Finanz- und Wirtschaftskrise mutiert die EU in Richtung einer autoritären Herrschaft, einer Art Diktatur à la Merkel-Sarkozy. Der angekündigte «Europäische Stabilitätsmechanismus» (ESM) wird diese Tendenz noch verstärken.
2.    Die Schweiz vollzog 1848 die Umwandlung in einen Bundesstaat. Nach dem Sonderbundskrieg 1847 entwickelten liberale Kräfte in kurzer Zeit mit der Bundesverfassung eine ideale Lösung für die Schweiz, wobei sie wesentliche Ideen der Katholisch-Konservativen übernahmen und so den Weg der Konkordanz verfolgten. Die einzelnen Kantone waren zwar nicht mehr souverän, aber die Legitimität der Bundesverfassung wurde sehr stark erhöht, weil in allen Kantonen eine Volksabstimmung über das neue Grundgesetz stattfand. Bezeichnenderweise hiess es in Artikel 1 der BV: «Die durch gegenwärtigen Bund vereinten Völkerschaften der zweiundzwanzig souveränen Kantone […] bilden in ihrer Gesamtheit die schweizerische Eidgenossenschaft.» [Herv. d. Verf.] Und weiter in Artikel 3: «Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist, und üben als solche alle Rechte aus, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind.» Neben der Neutralität wurde nun der Föderalismus eine wichtige Grundlage des Staatswesens. Damit wurde dem Wunsch nach weitgehender Souveränität der Kantone Rechnung getragen. Das Prinzip der Subsidiarität wurde konsequent umgesetzt und die Kantone erhielten unter anderem die Schul- und Kirchenhoheit und umfangreiche Finanzkompetenzen. Mit der Einführung des Ständerates als zweite, gleichberechtigte Kammer und der Einführung des Ständemehrs setzten die schweizerischen Gründungsväter deutliche föderalistische Akzente. Mit der schrittweisen Einführung der direkten Demokratie auf allen drei Staatsebenen (Gemeinden, Kantone, Bund) setzten die Schweizer die Idee der Volkssouveränität konsequent um und sorgten so dafür, dass die laufende Industrialisierung von den Bürgern mit Erfolg mitgestaltet werden konnte.
Soweit die Ideen für einen «Bundesstaat Europa» konkretisiert sind, würde dieser sicher nicht so aussehen, ganz im Gegenteil. In den einzelnen Ländern der EU sind – ausser in Irland – nicht einmal Volksabstimmungen für die Staatsverträge, welche die rechtliche Grundlage bilden, vorgesehen. Föderal aufgebaut ist die EU auch nicht und selbst die auf Eis gelegte EU-Bundesverfassung, die gröss­tenteils mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt wurde, enthält keine klassischen föderalen Elemente. Dementsprechend hat auch das ständige Reden der EU-Verantwortlichen von Subsidiarität keinen Bezug zur Realität. Im Gegenteil, die EU will den Mitgliedsländern beispielsweise ständig weitere Finanzkompetenzen entziehen und diskutiert nun, ein zentrales Finanzministerium einzurichten. Mit der nun eingeführten europäischen Bürgerinitiative können eine Million EU-Bürger aus mindestens einem Drittel der EU-Mitgliedstaaten die Brüsseler Kommission zum gesetzgeberischen Handeln anregen. Die Initiative ist also lediglich ein Antrags- oder Vorschlagsrecht und damit ein äusserst schwaches Instrument. Mit der nun durchgesetzten weiteren Zentralisierung werden den einzelnen Staaten zusätzliche Souveränitätsrechte entzogen. Damit kann anschliessend nicht das Projekt eines «Bundesstaates Eu­ropa» aufgezogen werden, sondern dasjenige eines «Europas der Regionen», in das auch die Schweiz gezwungen werden soll (über «Transmissionsriemen» wie Metropolitanräume, Naturpärke usw.), wodurch die Nationalstaaten noch weiter aufgelöst und der Bürgerlichkeit des Menschen die Grundlage weiter entzogen würde. Man spricht bereits von der postparlamentarischen Demokratie, in der die Exekutive das zentrale Gremium sein soll.
Die EU will gemäss Bundeskanzlerin Merkel die Krise nutzen, um die politische Integration voranzutreiben. Folge davon wären soziale Konflikte und weitere Kriege.
In Zeiten, in denen die EU und namhafte Intellektuelle das postnationale Zeitalter einläuten wollen (vgl. Bruno S. Frey mit seinem unsinnigen FOCJ-Konzept: «Functional, Overlapping, Competing, Jurisdiction»), ist es an der Zeit, den demokratisch verfassten Nationalstaat zu festigen und diesen als Rechtsstaat weiter zu stärken. Nur so können Friede und Ordnung gesichert werden. Den Nationalstaat in Europa zu festigen, würde auch heissen, das Projekt der Aufklärung zu vollenden und endlich als ein «Europa der Nationalstaaten» den Status eines US-Vasallen abzuschütteln.    •

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