2011-08-17

«Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ist in Gefahr»

Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Ein Interview von Jürgen Elsässer, Magazin «Compact», mit Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider über die verschiedenen Euro-«Rettungsschirme»*


Jürgen Elsässer: Sie haben zusammen mit Kollegen der Volkswirtschaftslehre Verfassungsbeschwerde gegen die sogenannte Griechenland-Hilfe und den vorläufigen «Rettungsschirm» eingelegt. Inwiefern sehen Sie die deutsche Verfassung, die deutsche Demokratie bedroht?
 
Prof. Dr. K. A. Schachtschneider: Es geht um einen Euro-Rettungsversuch, der wirtschaftlich schlechterdings nicht leistbar ist. Die Beträge, für die Deutschland einzustehen sich verpflichtet hat, sind nicht zu bezahlen. Sie gehen über die Kräfte unseres Staates.
Aber es geht doch nicht um Zahlungen, sondern lediglich um Bürgschaften?
So heisst es. Es geht angeblich nur um Gewährleistungen. Aber der Rettungsfonds, der gemeinschaftlich von den Euro-Staaten eingerichtet wurde, muss die Gelder, die als Kredite zur Verfügung gestellt werden, an den Kapitalmärkten aufnehmen. Wenn der Kreditnehmer, insbesondere Griechenland, sie nicht zurückzahlen kann, stehen die Bürgen, deren grösster Deutschland ist, in der Zahlungsverpflichtung. Der bisher eingerichtete temporäre Euro-Rettungsschirm bringt unseren Staat mit 123 Milliarden Euro in Haftung, der bereits zur Verabschiedung anstehende permanente «Rettungsschirm», der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, belastet Deutschland mit 190 Milliarden Euro. Mittlerweile wird überlegt, das Kapital des ESM von 750 Milliarden Euro auf 1,5 Billionen Euro zu verdoppeln, der deutsche Anteil stiege also auf 380 Milliarden Euro. Das erscheint geboten, weil nunmehr auch Italien, die drittgrösste Volkswirtschaft der Europäischen Union, wegen seiner Verschuldung ins Visier der Rating-Agenturen geraten ist. Es ist unvorstellbar, dass Deutschland die Versprechen erfüllen kann. 190 Milliarden Euro sind fast zwei Drittel eines Bundeshaushaltes.
Müssen wir nicht solidarisch sein mit den Griechen?
 
Das Geld kommt den Griechen überhaupt nicht zugute. Es wird den Gläubigern Griechenlands weitergereicht, den grossen Banken, Versicherungen, Fonds. So wie heute die Griechen genötigt werden, zum Schuldendienst einen Teil ihrer Einkommen zu opfern, so wird man morgen uns Deutsche zwingen, mit unserem Vermögen für den Rettungsfonds zu haften. Das ist das Diktat der Finanzmärkte über die Staaten und Völker. Unsere Demokratie, unser Rechtsstaat und unser Sozialstaat werden ruiniert.
Inwiefern?
 
Die diversen Euro-Rettungspakete sind in keiner Weise demokratisch legitimiert. Sicherlich, der Bundestag hat jeweils zugestimmt, aber entgegen Vertrag und Verfassung. Darum geht es wesentlich in unserer Verfassungsklage: Der Bundestag hat das Recht, das Volk zu vertreten – jedoch nur im Rahmen des Grundgesetzes. Aber mit der Zustimmung zu den Rettungspaketen hat das Parlament die Verfassung in mehrfacher Weise gebrochen. Denken Sie an die Eigentumsgewährleistung: Das Eigentum der Bürger wird vernichtet, wenn der Staatshaushalt und damit das Steueraufkommen weit über die Hälfte «verpfändet» werden. Der Staat wird sich die Mittel zu Lasten der Vermögen und Einkommen der Bürger beschaffen, auch zu Lasten der Leistungen an die Armen. Die Einnahmen des Staates sind nicht dazu da, fremde Staaten zu finanzieren. Das Grundprinzip eines Staatshaushaltes ist die Finanzierung des eigenen Staates.
Die Befürworter sagen, in Notzeiten wie den jetzigen müsse man eben zu ungewöhnlichen Massnahmen greifen.
Not kennt kein Gebot, so argumentieren Bundesregierung und Bundestag. Sie bemühen einen Artikel aus den Lissabonner Verträgen, der «finanziellen Beistand» für einen Mitgliedstaat erlaubt, wenn sich eine Naturkatastrophe oder ähnliches ereignet hat. Dieser Artikel kann auch auf Seuchen, Atom­unfälle und Terrorakte angewandt werden, keinesfalls auf Überschuldungen eines Staates auf Grund langjährigen Überkonsums. Im übrigen darf danach nur die Union Beistand leisten, nicht die einzelnen Mitgliedstaaten. Was hier als Naturkatastrophe ausgegeben wird, ist der Notstand des Euro und Insolvenz­gefahren von Banken usw. Der Euro zählt nicht zu den schützenswerten Gütern unserer Verfassung. Eine Währung ist ein geld- und zahlungs­politisches Instrument, zwar ein sehr wichtiges, aber nicht mehr. So hat Deutschland ja auch die Deutsche Mark aufgegeben, die eigene nationale Währung, ohne dass es eine Verfassungskrise gegeben hätte. Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Beschwerde gegen die Euro-Einführung 1998 u. a. mit dem Argument abgewiesen, die Eigentumsrechte der Bürger seien nicht gefährdet, weil der Euro durch ein strenges Stabilitätsrichtprinzip geschützt sei. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass das nicht so ist. Aus der Stabilitätsgemeinschaft Euro ist eine Haftungsgemeinschaft Euro geworden.
Der Euro wird zum höchsten Gut der Verfassung stilisiert. Damit werden die wirklichen Grundsätze der Verfassung ruiniert. Nehmen Sie das Sozialstaatsgebot. De facto erleben wir eine Desozialisierung. Um den Euro zu erhalten, müssen die Bürger grosse und unzumutbare Opfer bringen, vor allem die Armen: Die Löhne und Gehälter werden gekürzt, die Renten und Pensionen ebenso. Nach unseren Berechnungen haben die Deutschen seit Einführung des Euro 50 Prozent an Kaufkraft, die sie ohne den Euro hätten, eingebüsst. Hätten wir noch die Deutsche Mark, wären die Löhne und Gehälter um 50 Prozent real gestiegen, vor allem, weil durch die Aufwertung unserer Währung die Importe billiger wären. Der Export hätte darunter nicht gelitten. Das hat er in keiner Auf­wertungsphase der DM. Jährlich opfert Deutschland wegen des Euro etwa zehn Prozent des Brutto­inlandsproduktes. Das geht alles zu Lasten der Bevölkerung. Aber die Regierenden nehmen das in Kauf, weil sie einen europäischen Grossstaat schaffen und die Nationalstaaten auflösen wollen, vor allem Deutschland. Wenn den Plänen gemäss die EU um die Türkei und die nordafrikanischen Staaten, auch Israel, erweitert sein wird, wird die Unionsbevölkerung mehr als eine Milliarde Menschen umfassen. Damit will man Grossmacht neben den USA und China spielen. Vor allem aber wird diese Bevölkerung aus ohnmächtigen Untertanen bestehen, denen jeder Zusammenhalt fehlt.
Auch der Philosoph Jürgen Habermas kritisiert die Demokratiedefizite in der EU. Anders als Sie will er diese aber beheben, indem das EU-Parlament aufgewertet wird, also eine echte Legislative entsteht, die die Exekutive – die nicht gewählte Europäische Kommission – im Zaum hält.
 
Ich bezweifle stark, ob man Habermas als Philosoph bezeichnen kann. Er ist Soziologe. Ich kenne keinen Satz von Habermas, den er selbst entwickelt hätte, obwohl ich den Grossteil seiner Schriften gelesen und vielfach zitiert habe. Seine Diskurstheorie hat er von Apel; den Anstoss hat Kant in der Kritik der reinen Vernunft gegeben. Jedenfalls ist Habermas kein Demokrat. Er will eine neue Weltordnung ohne die Völker, eine entnationalisierte Weltgesellschaft. Das Europa-Parlament kann doch schon allein auf Grund der Grösse der EU nicht demokratisch sein. Es gibt kein europäisches Volk, das das Subjekt einer europäischen Demokratie sein könnte. Das Wahlrecht ist nicht egalitär. Die Luxemburger brauchen weniger als 10 Prozent Wählerstimmen für einen Parlamentssitz als die Deutschen. Habermas will nicht hinnehmen, dass es Völker gibt, und rabuliert statt dessen über die Zivilgesellschaft als politisches Subjekt. Die ist für ihn aber nicht mit der Bürgerschaft identisch, sondern besteht aus denen, die sich hinreichend einflussreich am politischen Diskurs beteiligen, also aus den selbsternannten Politikern. Das ist Entdemokratisierung der Demokratie, welche mit der Gleichheit in der Freiheit aller Bürger steht und fällt. Nur kleine Einheiten, in Europa die Nationen, können demokratisch verfasst sein.
Wenn Griechenland unter dem Diktat der Sparprogramme unregierbar wird – kann es dann auf der Grundlage des Lissabonner Vertrages zu einer EU-Militärintervention kommen?
Die Einsatzkräfte stehen bereit, die Polizei- und Gendarmerietruppen der EU. Sie werden jeden Aufstand niederschlagen. Das Tötungsverbot wurde durch den Lissabon-Vertrag ausgehebelt. Es wird auf Aufständische geschossen werden, so wie heute in Libyen und Syrien. Die EU bereitet sich auf die gewaltsame Durchsetzung der politischen Zentralisierung vor.
Aber Brüssel kann die Truppen nicht in Griechenland einmarschieren lassen ohne Zustimmung der griechischen Regierung, oder?
Den EU-Verträgen nach bedarf es der Zustimmung der jeweiligen Regierung. Aber das ist wohlfeil. Die griechische Regierung vertritt doch schon längst nicht mehr das griechische Volk. Wenn sie sich auf die eigene Polizei und die eigene Armee nicht mehr verlassen kann, wird sie EU-Truppen ins Land holen.
Entwickelt sich die EU zur Diktatur, oder geht alles im Chaos unter?
Das eine ist der Hebel für das andere. Der ökonomische Zusammenbruch gibt die Möglichkeit, diktatorische Verhältnisse aufzurichten. Wir befinden uns in der Krise, ob wir in eine Diktatur abgleiten oder nicht. Das Sagen haben schon lange sehr kleine Kreise. Die Parteiführer treffen sich auf europäischer Ebene, im Ministerrat oder auf EU-Gipfeln. Dort wird entschieden, und die Parlamente wagen nicht mehr zu widersprechen. Die wenigen Entscheidungsträger kann man abhängig machen. Die Lobbyisten sind fleissig dabei. Wir erleben die faktische Entparlamentarisierung der Entscheidungen und damit die Entmachtung der Völker. Das Vehikel ist die Internationalisierung der Politik. Mit Sachzwängen werden immer mehr Ermächtigungen für die europäische Exekutive begründet, die überhaupt nicht gewählt ist. Ohne die feudalen Parteienoligarchien wäre das nicht möglich. Schuld an dieser Entwicklung ist das Bundesverfassungsgericht, weil es das Parteienmonopol mit Zähnen und Klauen verteidigt, etwa mittels der staatlichen Parteienfinanzierung oder des Verhältniswahlsystems mit der Fünf-Prozent-Hürde. Die Parteien besetzen das Parlament, und in den Parteien findet systemisch eine Negativ-Auslese statt, das heisst, die charakterlich Schlechtesten kommen nach oben. Wenn diese im Par­lament sitzen – meist viele Legislaturperio­den –, interessieren sie sich weniger für das Gemeinwohl als der normale Bürger. Man erinnere sich an eine «Panorama»-Sendung vor Verabschiedung des Verfassungsvertrages, als sieben Abgeordneten acht einfache Fragen zum Vertragsinhalt gestellt wurden. Keine einzige der 56 Fragen wurde richtig beantwortet!
Sie fürchten die Herausbildung eines EU-Zentralstaates mit diktatorischen Vollmachten. Aber können wir nicht auch das Gegenteil beobachten: Wie Nationalstaaten ganz unbekümmert an den EU-Institutionen vorbei ihre eigene Politik machen? Hat nicht Frankreich ganz eigenmächtig den Libyen-Krieg begonnen? Hat nicht Dänemark die Grenzkontrollen wieder eingeführt? Mit anderen Worten: Scheitert die befürchtete Zentralisierung nicht am Tohuwabohu?
Das kann durchaus sein. Nur Deutschland steckt ständig zurück. Es definiert gar keine eigenen Interessen mehr. Frankreich dagegen ist sehr selbstbewusst. Nichts geht in der EU gegen Frankreich. Paris sucht den Schulterschluss mit uns nur, weil es unsere ökonomische Kraft nutzen will, zum eigenen Vorteil, für die eigene Macht.
Auch dem deutschen Michel mag es nicht so vorkommen, als ob wir uns Richtung Diktatur bewegen. Wurde nicht gerade erst von unten, von einer Massenbewegung, der Atomausstieg erzwungen? 
Auch ich bin der Ansicht, dass der Einsatz von Atomkraft nicht zu rechtfertigen ist, weil die Sicherheit nicht gewährleistet ist. Mein Bedenken ist allerdings, dass der Ausstieg zur weiteren Schwächung der deutschen Wirtschaft führt, und das ist das Kalkül bestimmter Kräfte: die Schwächung Deutschlands, um den europäischen Obrigkeitsstaat durchzusetzen.
Wenn die Gefahr der Abschaffung der Demokratie droht, hat jeder Bürger das Recht zum Widerstand – so steht es in Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes. Ist der Zeitpunkt gekommen?
Allemal. So habe ich auch Anfang Juli vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert: Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ist in Gefahr. Durch die Griechenland- und Euro-Rettungsaktionen werden wichtige Rechtsgrundsätze ruiniert, wie etwa die Eigentumsgewährleistung, das Sozialstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip. Die demokratischen Institutionen werden entmachtet, und es gibt keine Gewaltenteilung mehr.
Sie meinen die starke Stellung der EU-Kommission, die die Gesetze nicht nur ausführt, sondern an Stelle des Parlaments gleich selbst formuliert?
Nicht nur. Es geht auch um den Europäischen Gerichtshof, der über Leiturteile Unionsrecht mit grosser praktischer Wirkung für alle Mitgliedstaaten definieren kann, obwohl er genausowenig demokratisch legitimiert ist wie die EU-Kommission. Jedenfalls hat diese politische Ordnung mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung längst nichts mehr zu tun, und deshalb hat jeder Bürger nach dem Grundgesetz das Recht zum Widerstand. Damit will ich nicht zum Kampf mit Kalaschnikows aufrufen, das würde auch nichts bringen. Es geht um Demonstrationen, Wahlenthaltung oder die Wahl freiheitlicher Parteien. Dieser ­Prozess ist in den Ländern um uns herum im vollen Gange, er wird schliesslich auch auf Deutschland übergreifen.    

*    Erstveröffentlichung in Compact, Ausgabe 8/2011

«Jährlich opfert Deutschland wegen des Euro etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das geht alles zu Lasten der Bevölkerung. Aber die Regierenden nehmen das in Kauf, weil sie einen europäischen Grossstaat schaffen und die Nationalstaaten auflösen wollen, vor allem Deutschland. Wenn den Plänen gemäss die EU um die Türkei und die nordafrikanischen Staaten, auch Israel, erweitert sein wird, wird die Unionsbevölkerung mehr als eine Milliarde Menschen umfassen. Damit will man Grossmacht neben den USA und China spielen. Vor allem aber wird diese Bevölkerung aus ohnmächtigen Untertanen bestehen, denen jeder Zusammenhalt fehlt.»

Zur Erinnerung: J. Elsässer in Wien von Wien - Konkret mit Video

DER EURO-CRASH KOMMT!
Griechenland war erst der Anfang

Vortragender: Es spricht JÜRGEN ELSÄSSER aus Berlin, Freier Journalist und Buchautor
Datum: Am Freitag, 27. August 2010, um 19 Uhr
Ort: Restaurant BERGER; Wien – Grinzing 19. Bezirk, Himmelstraße 19,
Veranstalter: Überparteiliche Plattform für den Austritt aus der EU
Eintritt: freie Spende
Besucher: ca. 120. Der Raum war zum Bersten voll. Bei tropischen Temperaturen wären die Besucher im Heurigen-Lokal fast verdurstet, da die Kellnerin zeitweise durch das Gedränge nicht durchkam !

Jürgen Elsässer beschrieb die stufenwiese Entwicklung der EURO-Krise sehr detailliert und auch für Laien leicht verständlich. Daraus abgeleitet wird klar, dass der EURO-Crash bald bevorsteht. Weiters erklärte er, wie schwierig es ist, sein Vermögen über den EURO-Crash hinüberzuretten. Da auch Gold und Grundstücke mit Risiken vermunden sind, war das Resümee: "Investieren Sie in zwischenmenschliche Beziehungen. (Anm. Kinder, Freunde, Bekannte.) Die werden Sie in der Krise brauchen." 



 
Jürgen Elsässer in Wien (Mitte)

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