2011-07-04

Prof. Schachtschneider über die Verfassungsbeschwerde, die morgen verhandelt wird.

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Karl Albrecht Schachtschneider

„Ich bin Euro-Gegner. Voll und ganz“

Karl Albrecht Schachtschneider hat die Verfassungsbeschwerde gegen die Griechen-Hilfe eingelegt. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung rechtfertigt er sich.

04. Juli 2011 
Herr Schachtschneider, Sie werden in Karlsruhe plädieren, dass die Griechen-Rettung verfassungswidrig ist. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Karl Albrecht Schachtschneider 
Karl Albrecht Schachtschneider

Sehr gut. Das Verfassungsgericht wird dem deutschen Euro-Abenteuer Grenzen ziehen. Es wird sagen, dass die Griechenland-Hilfen gegen das Grundgesetz verstoßen.

Sie haben gegen jeden Schritt der europäischen Einigung geklagt: gegen den Maastricht-Vertrag, die Euro-Einführung, die EU-Verfassung und den Vertrag von Lissabon. Was treibt Sie an?


Ich bin Professor für Staats- und Europarecht und habe es stets als bürgerliche Pflicht angesehen, zur Rechtsklärung beizutragen. Ich vertrete keine Interessengruppe, ich spiele den Volksvertreter ohne Auftrag. Und dass das Volk hinter mir steht, sehe ich täglich in meinem elektronischen Briefkasten.

Wollen Sie in die Geschichte eingehen als der, der den Euro beerdigt?

Ich bin Gegner des Euro, voll und ganz. Aber trotzdem bin ich ein Freund der europäischen Idee. Meine Frau und ich haben in Rom geheiratet, unsere Tochter wurde dort getauft, ich schätze die Vielfalt von Europas Kulturen. Gerade deshalb will ich in einer Föderation freier europäischer Staaten leben und nicht in einem zwangsvereinigten europäischen Bundesstaat, der auf zerstörerischen ökonomischen Illusionen beruht.

Seit der Euro-Krise klingen Sie so triumphierend wie Kassandra, die sich bestätigt sieht.

Triumph liegt mir fern. Aber ich betone gern, dass sich jetzt exakt das vollzieht, was wir in der Euro-Klage von 1998 beschrieben haben. Diese Krise war unausweichlich. Agrar- und Tourismusstaaten können keine tragfähige Währungsunion mit einem starken Industriestaat wie Deutschland eingehen.

In Karlsruhe wird nicht verhandelt, ob die Euro-Rettung ökonomisch sinnvoll ist, sondern ob sie verfassungsgemäß ist.

Gewiss, für mich als Juristen steht an erster Stelle die Frage des Rechts. Aber das Euro-Abenteuer muss schon aus ökonomischer Vernunft beendet werden. Ich habe mit meinen Mitstreitern eine Wette abgeschlossen, was sich zuerst gegen den Euro durchsetzt: das ökonomische Gesetz oder das juristische. Jetzt bietet sich eine Chance für das Recht.

Ihre Schriftsätze sind 225 Seiten lang. Was ist Ihr Kernargument gegen die Euro-Rettung?

Sie verstößt gegen grundlegende Vorgaben der europäischen Verträge und Strukturprinzipien der Währungsunion, nämlich gegen das Verbot, für Verbindlichkeiten anderer Staaten einzustehen. Auch Rechte und Pflichten der Europäischen Zentralbank wurden verletzt.

Das deutsche Verfassungsgericht ist aber nicht zuständig für Verstöße gegen Europarecht.

Der Rechtsbruch ist so offensichtlich, dass die Richter die Verträge nicht groß interpretieren müssen. Sie müssen sie nur lesen. Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde hat offen gesagt, dass die Verträge gebrochen werden.

Trotzdem: Das Gericht prüft diese Normen gar nicht. Außerdem ist schon ein neuer Vertrag in Arbeit.

Wofür braucht man für den dauerhaften Stabilitätsmechanismus neue Regeln? Angeblich reichen die alten ja aus. Wenn es hier nur um Europarecht ginge, hätte das Gericht unsere Beschwerde gleich dem Europäischen Gerichtshof weitergeleitet. Hat es aber nicht, zum Glück. Dort interessiert sich niemand für unsere Grundrechte.

Welche Verstöße gegen deutsches Verfassungsrecht rügen Sie?

Wo fange ich an? Verletzt wird das Prinzip der Haushalts- und Budgethoheit des Parlaments. Verletzt wird das Prinzip der begrenzten Kreditaufnahme - Deutschland verschuldet sich durch die Rettungsversuche über das verfassungsrechtlich zulässige Maß. Verletzt wird auch das soziale Stabilitätsprinzip: Die Regierung stürzt Deutschland in eine prekäre Finanzlage.

Das sind abstrakte Prinzipien. Wo liegt die Verletzung Ihrer Rechte?

Unsere Rechte sind verletzt, weil die Vertretungsmacht überschritten wurde, die wir Bürger dem Staat erteilt haben. Die Griechenland-Hilfen etablieren eine Haftungs-, Schulden- und Finanzunion - der entscheidende Schritt zum europäischen Bundesstaat. Er ist endgültig Realität, wenn der permanente Rettungsschirm etabliert ist. Aber die Politik darf nicht über Deutschlands Eigenstaatlichkeit disponieren. Darüber muss das Volk in einer Volksabstimmung entscheiden.

Deutschland verliert doch nicht seine Eigenstaatlichkeit, weil wir für Kredite an andere Staaten bürgen.

Ich sehe das anders, allein weil diese gigantischen Rettungsschirme unsere Leistungsfähigkeit überschreiten. In jedem Fall ist das Hilfspaket ein „ausbrechender Rechtsakt“, ein klarer Verstoß gegen das Demokratieprinzip.

Kann der einzelne Bürger denn einen Verstoß gegen eine abstrakte Regel wie das Demokratieprinzip vor Gericht anprangern?

Ja, es ist einer der großen Erfolge des Maastricht-Prozesses, dass den Bürgern ein neues Grundrecht zugestanden wurde. Die Richter haben festgestellt, dass das Demokratieprinzip eine subjektive Komponente hat. Jeder Bürger hat ein Recht auf Demokratie und kann gegen Verstöße durch ausbrechende Rechtsakte der Union klagen.

Der Bundestag hat der Griechen-Rettung letztes Jahr zugestimmt. Ist das nicht demokratisch genug?

Das ist die große Frage, die hoffentlich in Karlsruhe geklärt wird: Haben wir Bürger einen Anspruch darauf, dass der Bundestag rechtmäßig handelt - 0der nur darauf, dass er überhaupt handelt? Meiner Meinung nach wählen wir unsere Abgeordneten nicht, damit sie gegen die Verfassung verstoßen. Leider kann man ein mutiges Nein nur von ganz wenigen erwarten.

Die Richter könnten sagen: Dann wählt bitte mutigere Abgeordnete.

Selbst wenn sie das sagen - keinesfalls können sie billigen, dass der Bundestag pauschal zustimmt, dass Deutschland 190 Milliarden Euro für den permanenten Rettungsschirm bereitstellt. Die Abgeordneten müssten wenigstens jeder Tranche zustimmen. Oder soll unser Haushalt davon abhängen, welche Finanzpolitik Athen betreibt?

Immerhin sind die Hilfen an harte Bedingungen gebunden.

Das macht den Verstoß in meinen Augen noch schlimmer. Wir regieren für die Euro-Rettung in die Finanzpolitik anderer Staaten hinein. So weit geht nicht mal unser Länderfinanzausgleich. Man stelle sich vor, das reiche Bayern müsste dem Saarland Anleihen abkaufen und könnte dafür diktieren, wofür in Saarbrücken Geld ausgegeben wird.

Die Regierung dürfte argumentieren, dass ohne Hilfen weitere Staaten in den Strudel geraten.

Systemrelevanz ist kein Rechtsprinzip! Auch die Deutsche Bank ist ersetzbar. Es ist unerträglich, dass die Rettungsmilliarden Banken und Versicherungen zufließen. In einer von Vertrag und Eigentum bestimmten Marktwirtschaft müssen private Gläubiger ihr Risiko tragen.

Was passiert, wenn Sie Erfolg haben? Den Rettungsschirm könnten die Richter ja nicht kassieren.

Sie könnten die Hilfen für grundgesetzwidrig erklären und eben für weitere Maßnahmen eine neue vertragliche Grundlage fordern - und über diesen Vertrag eine Volksabstimmung. Das wäre die optimale Lösung. Nichts fürchtet die Politik mehr als direkte Demokratie.

Fürchten Sie politischen Druck auf die Richter?

Der Präsident des Gerichts ist noch jung und frisch im Amt. Ich hoffe eher auf das Rechtsgewissen seiner Senatskollegen. Politischer Druck ist vorhanden, da mache ich mir keine Illusionen. Auch Richter verfügen über Telefone. Dagegen kann ich nur rechtliche Dogmatik und Argumente der Vernunft setzen.
Der Euro-Fighter
In EU-Fragen könnte man Karl Albrecht Schachtschneider, Jahrgang 1940, einen Berufskläger nennen. Der pensionierte Staatsrechtler (Uni Erlangen-Nürnberg) kämpfte in Karlsruhe schon gegen jeden Meilenstein der europäischen Einigung. Sogar gegen Österreichs EU-Beitritt klagte er in Wien. Den Vater einer Tochter tröstet nicht mal, dass er dank des Euro im Urlaub kein Geld wechseln muss: „Ich denke dann nur, wie viel Kaufkraft mir der Euro raubt.“ 2010 legte er Verfassungsbeschwerde gegen die Griechen-Hilfe ein.

Pressekonferenz Schachtschneider / Hankel / Nölling - Verfassungsklage gegen den Euro-Stabilitätspakt:

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