Worum geht es bei Bildung und Erziehung?
Seit der legendären PISA-Studie scheinen diese Fragen letztgültig geklärt: um einen besseren Rangplatz. Und dazu brauchen »wir« im Bildungssystem mehr Wettbewerb und Effizienz, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung,moderne Management-Methoden, Leistungsmessungen und Evaluationen,
Bildungsstandards und zentrale Prüfungen, Sprachtest im Vorschulalter, Entrümpelung der Lehrpläne, Verkürzung der Schulzeit, Wirtschaftskenntnisse, neue Lernformen und vor allem Laptops für alle
Schüler. Denn jeder soll lebenslang am Computer weiterlernen können. Lehrer sollen nur noch Lernprozesse moderieren statt zu unterrichten.
Und man braucht wieder Disziplin. An den Universitäten soll schneller und praxisorientiert studiert werden, Studiengebühren und internationale Abschlüsse müssen her.
Fazit: »Unser starres Bildungssystem ist überholt«, weiß zum Beispiel der Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung.
Folgerung: Wir brauchen Reformen, Reformen, Reformen. Und zwar jetzt. Denn sonst können »wir« nicht im globalen Wettbewerb bestehen. So oder ähnlich klingen die gängigen Formeln. Sie prägen bereits heute
den Alltag von Schülern und Studenten, von Eltern, Lehrern und Hochschuldozenten.
Schon jetzt ist spürbar, dass Schule und Hochschule nicht mehr Bildung und Erziehung um des Menschen willen leisten, sondern als Standortfaktor im globalen Wirtschaftskampf gelten: Der Markt diktiert, welches Wissen relevant sein soll. Aus Bildung wird Ausbildung, Wissen wird zur Ware, Schüler und Studenten zu »Humankapital«.
Dies ist kein Buch über PISA. Davon kann man – zu Recht – kaum mehr hören. Dies ist ein Buch über viel mehr: Über die Bedeutung einer Bildung und Erziehung, die human heißt und zu sozialer Verantwortung
beiträgt. Und darüber, wie Bildung und Erziehung heute auf Verwertbarkeit reduziert werden, wie das Bildungswesen so umgebaut wird, dass junge Menschen für ein reibungsloses Funktionieren in der globalen Ökonomie angepasst werden. Eine globalisierte Wirtschaft, die immer mehr Ungerechtigkeit produziert, die über dem Profit den Menschen vergisst, ja ihn zum Mittel degradiert.
Will man in dieser Situation über Bildung reden, ist es wichtig, zuerst aufzuräumen. Noch einmal geistig reinen Tisch zu machen. Alles, was in den öffentlichen Debatten so an Meinungen und Vorannahmen herumgeistert,
beiseite zu schieben und den PISA-Kleister aus dem Kopf zu kratzen, sich zu besinnen. Und dann die Fragen zu stellen, von denen dieses Buch handelt: Was ist denn Bildung eigentlich? Worum geht es in der Erziehung wirklich? Und was geschieht derzeit in Deutschlands Bildungswesen? Sind die genannten Schlagworte Antworten auf diese Fragen? Wasbedeuten sie tatsächlich? Was geschieht, wenn man Bildung und Erziehung unter den Maßstab der Effizienz und der Rankings stellt? Und wie hängt damit all das zusammen, was die am Bildungswesen Beteiligten täglich erleben?
Diesen Fragen folgt der Aufbau: Wir fragen in einer Grundlegung zunächst, as Bildung eigentlich ist, was die Aufgaben von Schule und Hochschule sind. Auf dieser Grundlage baut das Weitere auf. Das zweite Kapitel resümiert dann den heutigen Zustand der Schulen und Universitäten:Wie konnte es überhaupt zu der allseits beklagten »Bildungskatastrophe« kommen und welche Rolle spielt eigentlich PISA dabei? Der dritte Teil geht
hinein in die Schlagworte und Annahmen der heutigen Diskussion und beleuchtet die ökonomisch geprägten Vorstellungen, nach denen Schulen und Hochschulen funktionieren sollen. Die Auswirkungen solch einer Bildung unter der Führung der Betriebswirtschaft werden im vierten Kapitel beleuchtet. Zahlreiche Beispiele machen klar, dass die Ökonomisierung der Bildung längst begonnen hat, dass Eltern, Lehrer und Professoren die Auswirkungen täglich spüren. Das fünfte Kapitel stellt dann die Frage, wer denn eigentlich solche »Reformen« vorantreibt. Wer steckt hinter der Kommerzialisierung der Bildung? Wer verdient daran und welche politischen Absichten gibt es? Ein Ausblick sucht schließlich Antworten auf die entscheidende Frage:Was tun? Die Ausführungen begnügen sich nicht mit pauschalen Antworten.
Sie bemühen sich um Genauigkeit und Differenzierung, zeigen Grundlagen, Entwicklungen und Zusammenhänge auf, um ein möglichst klares Bild zu zeichnen. Wer aber aus gezieltem Interesse zunächst Antworten auf bestimmte Fragen sucht, kann auch »modular« lesen: Die einzelnen Abschnitte sind in sich abgeschlossen und verständlich. Gleichwohl entsteht das Gesamtbild am besten aus den nacheinander entfalteten Gedankengängen. Die hier behandelten Fragen sind brennend. Das deutsche Bildungssystem
steht tatsächlich am Scheideweg. Die bildungspolitischen Weichenstellungen der Gegenwart und das Handeln aller am Bildungswesen Beteiligten werden entscheiden, ob wir weiterhin Menschen bilden oder funktionierende Ich-AGs herstellen.Die Frage, die tatsächlich alle angeht, ist:Wollen wir eine wahre oder eine Ware Bildung?
Kurzfassung Ware Bildung
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