Gestern hat die FPÖ den Volltext der Wahlanfechtung (über 150 Seiten) online gestellt, und zwar unter dem Link
Was darin im Detail vom früheren Justizminister Dr. Böhmdorfer als Verfasser der Anfechtungsschrift aufgezeigt wird, muß jedem Demokraten die Haare zu Berge stehen lassen und offenbart ein erschreckendes Zustandsbild vor allem bei der gesamten Handhabung und Auszählung derBriefwahlkarten. Ein derartiges Ausmaß an "Verfehlungen" und vor allem der zeitliche Ablauf der Geschehnisse am Wahltag selbst und am Tag danach, dem Tag der Auszählung der Briefwahlkarten, kann unmöglich nur "Zufall" oder "Schlamperei" sein.
Wenn der Verfassungsgerichtshof die Stichwahl für das höchste Amt des Staates trotz der dokumentierten, massiven Gesetzesverletzungen nicht zur Gänze aufhebt und diese Wahl nichtwiederholen läßt, wäre das ein demokratiepolitischer Skandal ersten Ranges! Es geht dabei erst in zweiter Linie darum, welche Partei bzw. welcher Bewerber um das Amt dadurch geschädigt wurde, in erster Linie geht es dabei um die Demokratie insgesamt.Dies vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, wie knapp der offiziell ausgeworfene (das Wort "tatsächlich" kann man jetzt dafür nicht mehr verwenden) Stimmenanteil war, der die von der an totalitäre Systeme erinnernden Einheitsfront (alle gegen einen) herbeigeführte "Entscheidung" brachte:
"Hätten sich bloß 15.432 Wähler - dies sind lediglich 0,35 % der gültig abgegebenen Stimmen bzw.0,24 % der Wahlberechtigten - anders entschieden, so wäre das Gesamtergebnis umgekehrt ausgefallen." (Zitat aus der Anfechtungsschrift)
Es möge jeder, der die sehr fundierte Anfechtungsschrift studiert, die von höchstem allgemeinen politischen Interesse ist, die dort dokumentierten "Ungereimtheiten" mit dieser extrem niedrigen Stimmenanzahl, die - angeblich - den Ausschlag gab, in Beziehung setzen. Wenn eine solche "Entscheidung" vom Verfassungsgerichthof hingenommen wird, dann wird es in Österreich sehr "finster"!
Aus der Klage:
Am
24.04.2016 hat der erste, am 22.05.2016 der zweite Wahlgang für die Wahl zum österreichischen
Bundespräsidenten stattgefunden. Der mit dem vorliegenden Schriftsatz angefochtene zweite Wahlgang war dabei von
Unregelmäßigkeiten überschattet, wie man
sie in Österreich bei bundesweiten Wahlen in dieser Form bisher nicht gekannt
hat. Die unterlaufenen Fehler reichen
weit über den vorliegenden Anlassfall hinaus, denn sie zeigen eine derart mangelnde Gesetzestreue der
Wahlbehörden, die dem Selbstverständnis
Österreichs als Rechtsstaat nicht zu entsprechen vermag. Sogar der scheidende Bundespräsident Dr. Heinz Fischer sah sich vor
diesem Hintergrund dazu veranlasst, von
einem "unakzeptablen Nichteinhalten klarer Rechtsvorschriften" zu sprechen.'
Neben
unzähligen Detailfehlern bei Abhaltung der Wahl, die zumindest von einem mangelnden Bemühen der
Wahlbehörden um Einhaltung der Verfahrensvorschriften zeugen, haben sich in die
Abhaltung der Wahl offenbar flächendeckend Usancen eingeschlichen, die in klarem
Widerspruch zur verfassungsrechtliche sowie völkerrechtlich3 verankerten Garantie der
Abhaltung von freien und geheimen Wahlen stehen. Denn nicht anders ist zu
erklären, dass — bei der an sich bestehenden Verpflichtung zur Geheimhaltung des
Abstimmungsverhaltens bis zum Schluss der Wahl — bereits ab dem Vounittag des Wahltages
Auszählungsergebnisse durchsickerten und das Wahlverhalten der noch nicht bei
der Wahl erschienenen Wähler beeinflussen konnten. Nur exemplarisch sei erwähnt, dass
die APA ab 14:31 echte Auszählungsergebnisse durch ihrer Aussendunden verbreitet hat.
Ähnlich gravierend ist auch
die bei der angefochtenen Wahl verbreitet anzutreffende Praxis der Wahlbehörden,
die Vorschriften über die korrekte Behandlung der Wahlkarten schlichtweg zu ignorieren.
Offenbar aus Gründen der "Arbeitserleichterung" werden vor Schluss
der Wahl die Wahlkarten nach Belieben vorsortiert oder gar geöffnet und ausgezählt. Dies, obwohl
der Zweck der diesbezüglichen Verfahrensvorschriften ganz klar darauf ausgerichtet
ist, bei dem besonders manipulationsgefährdeten Instrument der Briefwahl einer möglichen
Manipulation gezielt vorzubeugen. Dieser Zweck wurde bei der angefochtenen Wahl über weite Strecken
unterlaufen. Dass bei der vorliegenden
1 Tageszeitung "Die Presse" vom 02.06.2016, abrufbar unter
ren?direct=5003068&_vl_backlink=/home/politik/innenpolitik/5003068/index.do&selChannel=&from=ar
ticlemore.
2 Insb Art 60 Abs 1 B-VG
und Art 3 des 1. ZPEMRK.
3 Insb Art 8 Staatsvertrag
von Wien.
Wahl die
Wahlkarten nicht bloß eine Randerscheinung, sondern im Ergebnis der ausschlaggebende
Faktor waren, bedarf wohl keiner näheren Erörterung.
Gerade wenn von den Meinungsforschern ein knappes Ergebnis erwartet wird
und/oder sich ein solches — wie im vorliegenden Fall — auch
tatsächlich einstellt, kommt jeder —auch geringer - Beeinflussung eine
wahlentscheidende Bedeutung zu. Laut offizieller Kundmachung der
Bundeswahlbehörde war der Ausgang der Wahl auch denkbar knapp. Von
4.472.171 gültig abgegebenen Stimmen entfielen
2.220.654 auf Ing. Norbert
Hofer
2.251.517 auf Dr.
Alexander Van der Bellen.
Die beiden Kandidaten trennen daher lediglich 30.863 Stimmen. Hätten sich
bloß 15.432 Wähler — dies sind lediglich 0,35% der gültig abgegebenen Stimmen
bzw 0,24% der Wahlberechtigten — anders entschieden, so wäre das
Gesamtergebnis umgekehrt ausgefallen. Es bedarf keiner weiteren Erörterung,
dass bei einem derart knappen Ergebnis schon Kleinigkeiten für den
Ausgang der Wahl entscheidend sein können.
Umso erstaunlicher ist, dass sich die Wahlbehörden darum offenbar keine
großen Sorgen machten. Wenn — wie es der frühere Bundespräsident Dr. Karl
Renner formuliert hat — das Wahlrecht die "Visitenkarte des
Staates" darstellt,4 so kann und darf allerdings eine mit
solchen Verfahrensfehlern behaftete Wahl des Bundespräsidenten in Österreich nicht
Bestand haben. Nicht, weil die Wahl vom Ergebnis her nicht akzeptabel wäre, sondern
weil den Wählerinnen und Wählern ein gesetzmäßiger Ablauf der Wahl geschuldet
ist, und diese Schuld bei der hier angefochtenen Wahl vom Staat in keiner Weise
eingelöst wurde.
Da die
österreichische Verfassung ein Aufgreifen der im Folgenden aufgezeigten Fehler und —
gesetzlichen — Strukturmängel nur aus Anlass einer konkreten Wahlanfechtung erlaubt,
steht ein anderer Weg der Geltendmachung dieser Fehler zwecks Bereinigung der
Rechtslage für die Zukunft nicht offen. Den Wählerinnen und Wählern ist diese
Bereinigung — und vor allem auch ein Vorbeugen gegen weitere
Verschlechterungen der Wahlbehördenpraxis — für die Wiederholung des
zweiten Wahlganges sowie auch für die Zukunft aber jedenfalls
geschuldet.