von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
zf. Vor wenigen Wochen ist ein neues Buch des
deutschen Staatsrechtslehrers Karl Albrecht Schachtschneider erschienen.
Das Buch trägt den Titel «Die Souveränität Deutschlands. Souverän ist,
wer frei ist». Auf rund 350 Seiten klärt das Buch rechtshistorisch und
rechtssystematisch grundlegende Begriffe im Umfeld des
Souveränitätsbegriffes. Es stellt dabei insbesondere die politische
Freiheit als mit der Herrschaft von Menschen über Menschen unvereinbar
dar. Das Buch geht der Frage nach, welche verschiedenen
Souveränitätslehren im Laufe der Jahrhunderte formuliert und auch
praktisch umgesetzt wurden und wie mit der europäischen Aufklärung die
Idee der Volkssouveränität ihren Siegeszug antrat. Aus der historischen
Betrachtung heraus wird ein freiheitlicher Souveränitätsbegriff
entwickelt, um davon ausgehend der Frage nachzugehen, wie souverän
Deutschland ist. Die letzten 150 Seiten des Buches weisen dezidiert
nach, warum die Europäische Union, deren Währungsunion und insbesondere
der ESM souveränitätswidrig sind und damit ein Angriff auf die Würde des
Menschen, auf die politische Freiheit, auf die «Menschheit des
Menschen».
Das Buch von Professor Schachtschneider geht unmittelbar
vor allem auf Deutschland ein, ist in seinen grundlegenden Ausführungen
aber für jedes Land von grosser Bedeutung. Mit freundlicher Genehmigung
des Verlages drucken wir im folgenden das Vorwort und die Einleitung des
Buches ab.
Souveränität ist in aller Munde. Die Verteidigung
der Souveränität der Nationalstaaten gegen die postnationale
Weltherrschaft ist der heutige Beruf derer, die die Freiheit der Bürger
als Menschen nicht aufgeben wollen. Souveränität ist Freiheit. Sie kann
nur in Rechtsstaaten, Demokratien und Sozialstaaten, in Republiken also,
Wirklichkeit finden.
Die Souveränität der europäischen Völker wird
durch die europäische und die globale Integration abzuschaffen versucht.
Für das Bundesverfassungsgericht ist die Souveränität Deutschlands die
Grenze der Integration. Es sieht allerdings diesen
Souveränitätsvorbehalt vom Grundgesetz weit zurückgenommen. Der
republikanische Souveränitätsbegriff ist nicht geklärt und nicht einmal
hinreichend erörtert. Es ist eine Grundlegung freiheitlicher
Souveränität zu leisten.
Die deutsche Staatsrechtslehre hat die
Revolution von 1918 nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Sie konzipiert
Souveränität nach wie vor als Herrschaft des Staates, den sie aber von
der Gesellschaft trennt. Sie behandelt die Bürger als Untertanen der
Obrigkeit mit schmalen Freiheitsrechten.
Souverän ist die Bürgerschaft
Volkssouveränität beschränkt sie meist auf den
pouvoir constituant. Souverän aber ist, wer frei ist, also der Bürger.
Er gestaltet sein Leben und seinen Staat mit allen anderen Bürgern und
ist darin Politiker. Souverän ist die Bürgerschaft, nicht etwa deren
Vertreter in den Organen des Staates. Souveränität als Freiheit kann den
Bürgern um ihrer Würde willen nicht genommen werden. Sie kann auch
nicht auf die Europäische Union übertragen werden. Sie hat Grenzen im
Innern und nach aussen. Sie kann verletzt werden und wird verletzt,
zutiefst von der Europäischen Union in deren gegenwärtigen Form, zumal
durch die Währungs- und Wirtschaftsunion. Wer den Deutschen die
Souveränität nehmen will, muss ein neues Volk und einen neuen Staat
schaffen, das Unionsvolk und den Unionsstaat. Das geht nicht gegen den
Willen aller Völker der Union, auch nicht gegen den Willen der
Deutschen. Den aber fürchtet die politische Klasse und entleert darum
die Souveränität schleichend. Dem müssen die Bürger um ihrer Würde und
Freiheit willen Widerstand entgegensetzen.
Alle meine
europapolitischen Verfassungsprozesse haben versucht, die Freiheit und
das Recht der Deutschen zu verteidigen, deren Souveränität, mit
mässigem, aber auch nicht ohne Erfolg. Dieses Buch unterbreitet eine
freiheitliche, demokratische und rechtstaatliche, eine bürgerliche Lehre
der Souveränität, die zur Lehre von der Republik gehört. Es handelt
auch von den Verletzungen der Souveränität Deutschlands.
Der deutsche Finanzminister verbeugt sich vor dem entgrenzten Kapitalismus
Deutschland sei «seit dem 8. Mai 1945 zu keinem
Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen», bekundete Wolfgang Schäuble,
Bundesminister der Finanzen, vor den versammelten Bankern des
Europäischen Bankenkongresses am 18. November 2011. Das war geradezu
eine Verbeugung des Staates vor dem neuen Souverän des entgrenzten
Kapitalismus. Es schien, als wolle er damit rechtfertigen, dass die
Deutschen die weitere Einschränkung der Souveränität Deutschlands durch
eine europäische Fiskalunion, die er in 24 Monaten meinte errichten zu
können, hinnehmen müssen. In «Europa» sei die Souveränität ohnehin
«längst ad absurdum» geführt. Die Souveränität Deutschlands ist ein
zentrales Problem der Integration Deutschlands in die Europäische Union,
aber nach wie vor eine Streitfrage über die Stellung Deutschlands in
der Staatenwelt.
Wladimir Putin schrieb demgegenüber am 27. Februar
2012, kurz vor seiner erneuten Wahl zum Präsidenten Russlands, in der
russischen Tageszeitung «Moskovskie Novosti» zum Thema «Russland und die
Welt im Wandel»: «Die zahlreichen bewaffneten Konflikte, die in
jüngster Zeit ausgebrochen sind und die durch humanitäre Ziele
gerechtfertigt werden, verletzen das seit Jahrhunderten heilige Prinzip
der staatlichen Souveränität. In den internationalen Beziehungen
entsteht ein neues Vakuum – ein moralisch-rechtliches. Man sagt oft, die
Menschenrechte hätten Vorrang gegenüber der staatlichen Souveränität.
Das stimmt zweifelsohne – jegliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit
müssen von internationalen Gerichten geahndet werden. Wenn aber unter
solchen Vorwänden die staatliche Souveränität einfach verletzt wird,
wenn die Menschenrechte von äusseren Kräften selektiv beschützt werden,
wenn bei der ‹Verteidigung der Menschenrechte› die Rechte von vielen
anderen Menschen verletzt werden, darunter das allerwichtigste und
heilige Recht auf Leben, dann handelt es sich nicht um eine edle Sache,
sondern um ganz einfache Demagogie.»1 Der russische Jurist versteht von
der Souveränität augenscheinlich mehr als der deutsche.
Der immer
schon ebenso folgenreiche wie streitige Souveränitätsbegriff war seit
Jahrhunderten mehr ein verfassungspolitischer Kampfbegriff als ein
subsumtionsfähiger Verfassungsbegriff, stets mit den politischen
Verhältnissen im Wandel, mal die höchste Gewalt, besser Gewaltbefugnis,
des Fürsten gewissermassen als Vertreter Gottes auf Erden oder auch als
Repräsentant des Volkes (Fürstensouveränität), mal die des Volkes selbst
(Volkssouveränität), meist beschränkt durch das Naturrecht,
Völkerrecht, Verfassungsrecht oder auch durch Verträge, oft aber auch
gänzlich unbeschränkt.
Eine umfassende und hilfreiche Darstellung
der Geschichte des Souveränitätsbegriffs und damit auch der Geschichte
der Souveränität selbst haben Hans Boldt, Werner Conze, Görg Haverkate,
Diethelm Klippel und Reinhart Kosseleck in Historisches Lexikon zur
politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 6, Geschichtliche
Grundbegriffe, St-Vert, 1990, Stichwort «Staat und Souveränität»,
S. 1–154, vorgelegt (im folgenden Geschichtliche Grundbegriffe).
Grundlagen hat Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität, Band l. Die
Grundlagen, 1970, gelegt, der noch einmal die Geschichte des Begriffs in
Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und
Deutschland vom 13. Jahrhundert bis 1806, 1986, bearbeitet hat.
Der
Begriff der Souveränität hat demgemäss eine wechselreiche Geschichte.
Seine Materie ist jeweils an die Machtlage, aber auch an die Rechtslage
gebunden und mit diesen im Umbruch. Die Rechtslehren selbst sind
weitgehend den Lebens- und den Machtverhältnissen verpflichtet. Die
Paradigmen- Wechsel der Lebenswelt, ausgelöst durch Religionen,
Philosophien, Techniken, Wissenschaften, Politiken, Umstürze oder
Revolutionen, haben Auswirkungen auch und gerade auf den Begriff der
Souveränität. Aber das Recht der Menschheit des Menschen, das Recht, das
mit dem Menschen, jedem Menschen, geboren ist, die Freiheit und die mit
der Freiheit untrennbar verbundenen Menschenrechte, steht über den
Gegebenheiten, über der Lage. So wenig es die Wirklichkeit bestimmt, so
sehr soll das Recht, diese Idee der Menschheit des Menschen, das Handeln
der Menschen, deren Wirklichkeit, leiten. Es ist die ewige Aufgabe der
Rechtslehre, dem Menschen zu dienen. Meist aber dient sie der Macht, an
der allzu viele Rechtslehrer gern teilhaben.
Souveränität erfasst
begrifflich wie kein anderer Begriff die Verfassungslage menschlicher
Gemeinwesen. So haben der Theismus des Christentums und die
Jahrhunderte währende gelebte Religiosität mit der geistlichen und
weltlichen Macht der Kirche eine andere Souveränitätslehre
hervorgebracht als der Atheismus oder auch Deismus der Aufklärung, der
die Lebenswelt mehr oder weniger laizistisch gestaltet hat.
Der Souveränitätsbegriff des modernen Staates
Zu einem Leitbegriff der Politik und damit der
Staatslehre ist der Begriff der Souveränität mit der Entwicklung des
Modernen Staates geworden, der durch die Territorialität des
politischen Systems im Gegensatz zur Personalität der politischen
Verhältnisse gekennzeichnet ist. Demgemäss entwickelt sich die moderne
Souveränitätslehre vornehmlich in Frankreich, dem ersten eigentlichen,
durch die Territorialherrschaft geprägten Staat nach dem
mittelalterlichen Reich der personalen Lehnsherrschaft. Die Befriedung
des konfessionellen Bürgerkriegs fordert einen starken Mann, den
souveränen Fürsten, den Princeps, Principe oder Prince, der über Recht
und Unrecht entscheidet und das Recht, das er setzt, durchzusetzen
vermag. Die technischen Voraussetzungen territorialer Herrschaft genügen
für eine solche Souveränität.
Der einflussreichste Lehrer dieser von
dem mörderischen Bürgerkrieg zwischen den Katholiken und den
Protestanten in Frankreich bewegten Befriedungslehre ist Jean Bodin mit
seinem Werk Les six livres de la république, 1576. Seine Lehre bleibt,
obwohl sie gegen den politischen Einfluss der Stände, zumal der Kirche,
gerichtet ist, religiös gebunden. Grenze der Souveränität als der
suprema potestas des Fürsten ist das Naturrecht, das göttliche Recht,
und damit auch alle Verträge. Der Fürst muss diese Grenze achten, um
nicht der Strafe Gottes anheimzufallen. Kein Mensch kann ihn zwingen.
Gewaltenteilung ist der Souveränität zuwider.
Die Souveränitätslehren von Jean Bodin und Thomas Hobbes
Mit der Entwicklung der Territorialstaaten auch in
Deutschland nach dem Dreissigjährigen Krieg setzt sich die Bodinsche
Souveränitätslehre auch in Deutschland und schliesslich in ganz Europa
durch. Es entsteht der monarchische Absolutismus. 75 Jahre nach Bodin
schreibt 1651 Thomas Hobbes seinen Leviathan, wiederum als Antwort auf
die Schrecken des Bürgerkrieges in England zwischen Karl I. und dem
Parlament und Oliver Cromwell. Sein Werk stützt den Absolutismus
vertragsdogmatisch und rechtfertigt vielen bis heute die
Herrschaftlichkeit des Staates. Schon Niccolo Machiavelli, selbst
Republikaner, hatte die mit allen Mitteln behauptete Staatsräson in den
Stadtstaaten Italiens mit seinem Il Principe, 1513, posthum
veröffentlicht 1532, als Notwendigkeit befriedender Herrschaft
gerechtfertigt. Der Machiavellismus prägt noch heute die Methoden vieler
Politiker.
Das Renascimento, die Renaissance, die Wiedergeburt der
Antike und damit der griechischen Aufklärung, geht über in die
religionskritische Aufklärung der Neuzeit. Diese lehrt die Freiheit des
Menschen und verändert die politische Welt. Die Herrschaft kann nicht
mehr auf den Willen Gottes gestellt werden, der Monarch ist nicht mehr
der Vertreter Gottes auf Erden, schon bei Hobbes nicht mehr, dessen
Leviathan Vertreter des Volkes ist. Mehr und mehr wird das Gemeinwesen
freiheitlich als Republik konzipiert.
Freiheit und Souveränität in der Aufklärung
Die grossen Lehrer der Freiheit sind Jean-Jacques
Rousseau mit seinem Contract Social, 1762, und Immanuel Kant mit der
Kritik der reinen Vernunft, 1781/87, der Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten, 1785/86, der Kritik der praktischen Vernunft, 1788, der
Metaphysik der Sitten, 1797/98, dem Zum ewigen Frieden, 1795/96, aber
auch den weiteren Kritiken. Doch auch John Locke, The Second Treatise of
Government, Über die Regierung, 1690, und Charles Montesquieu, De
l’esprit des lois, Vom Geist der Gesetze, 1748, haben wesentlich zur
durch Freiheit geprägten Republiklehre beigetragen.
Nachdem Napoleon
«liberté, égalité, fraternité» – also Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit – in einen neuen Cäsarismus verwandelt und Europa
unterworfen hatte, bestanden die Freiheitsidee und das Nationalprinzip
in den Befreiungskriegen ihre grosse Bewährungsprobe. Aber die
Restauration Metternichs und die Romantik drängten die politische
Freiheit und mit ihr die Volkssouveränität wirksam zurück. Die zarte
Revolution in Deutschland 1848 ist gescheitert.
Von Hegel bis Carl Schmitt: gegen die Freiheit
Der Philosoph des restaurativen Konstitutionalismus
wird Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Seine Grundlinien der Philosophie
des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, kurz:
Rechtsphilosophie, 1821, lehrt ein geschichtsmetaphysisches Staatsdogma,
das den Staat als Wirklichkeit der Vernunft und der Sittlichkeit
begreift und von der Gesellschaft als dem System der Bedürfnisse trennt.
Der Staat ist nach innen und aussen selbstgewisse und selbstbestimmte
Herrschaft. Sein Wille ist nicht nur vernünftig, Ausdruck des
Weltgeistes, sondern auch Recht. Politische Freiheit der Bürger im
kantischen Sinne ironisiert Hegel wegen der «Seichtigkeit der Gedanken».
Die äussere Souveränität stellt Hegel über das Recht. Über Recht und
Unrecht entscheidet der Sieg. Hegel hat der aufklärerischen
Freiheitslehre in Deutschland die Wirkung genommen, bis heute, und den
Machtstaat ins Recht gesetzt. Das hatte verheerende Folgen, aber Hegel
war der bestimmende Philosoph Deutschlands des 19. und noch der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Verfassungstexte Deutschlands, schon
die Weimarer Reichsverfassung und erst recht das Grundgesetz, aber sind
kantianisch. Hegel hat viele Schüler, nach wie vor.
Der auffälligste
ist Carl Schmitt, dessen Souveränitätslehre nicht nur
existenzialistisch, sondern herrschaftlich und diktatorisch ist. Seine
wichtigste Schrift zur Souveränität ist ausser der Verfassungslehre,
1927, und der Diktatur, 1923/1927, die Politische Theologie. Vier
Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 1922. Der erste Satz dieser
Schrift wird viel zitiert: «Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand
entscheidet.» Diese Position ist fern des Rechts. Die Freiheit lehnt
Schmitt als politisches Formprinzip ab. Carl Schmitt findet noch heute
in Deutschland und in der Welt viel Gefolgschaft. Zentrale Begriffe
übernimmt die herrschende Staatsrechtslehre noch immer von Schmitt,
zumal den herrschaftlichen Begriff der Repräsentation.
Hans Kelsen
wendet sich auf der Grundlage seiner weltfremden Reinen Rechtslehre vor
allem in Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts.
Beitrag zur reinen Rechtslehre, 1920, 2. Aufl. 1928, gegen die
Souveränität. Auch Hermann Heller hat sich intensiv mit der Souveränität
auseinandergesetzt, nämlich in Die Souveränität, 1927, und zuvor schon
in Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland, 1921.
Seine Souveränitätslehre löst sich trotz harscher Kritik nicht von Hegel
und bleibt eine Herrschaftslehre.
Fragwürdiger Souveränitätsbegriff bundesdeutscher Staatsrechtslehrer
Unter dem Grundgesetz ist keine bemerkenswerte
Souveränitätsdogmatik entwickelt worden. Die verschiedenen Schriften
sind meist von einem wenig bewussten Hegelianismus bestimmt, jedenfalls
durchgehend herrschaftsorientiert. Martin Kriele akzeptiert in seiner
Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen
Legitimationsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates,
1975/2003, nur die Souveränität des Volkes als pouvoir constituant,
weist aber im Verfassungsstaat des pouvoir constitué eine Souveränität
zurück, weil er Souveränität nur als Herrschaftsbefugnis ohne
Gewaltenteilung erfasst. Eine freiheitliche Souveränitätslehre, die
Anschluss an Rousseau und Kant sucht, ist bisher nicht entworfen worden.
Eine solche hat auch Werner Mäder in Kritik der Verfassung
Deutschlands. Hegels Vermächtnis 1901 und 2001, 2002, und Vom Wesen der
Souveränität. Ein deutsches und ein europäisches Problem, 2007, nicht
versucht, der in berechtigter Sorge die Souveränität Deutschlands
vornehmlich an den Souveränitätsbegriffen Bodins, Hobbes’, Hegels,
Hellers und Schmitts misst und die europäische Integration richtiger als
Souveränitätsverlust kritisiert.
Das Bundesverfassungsgericht nutzt
den Souveränitätsbegriff an sich richtig und materialisiert ihn durch
gewisse Souveränitätsvorbehalte, hat aber keinen Versuch gemacht, den
Begriff zu definieren. Die gegenwärtige Debatte leidet überhaupt daran,
dass nicht hinreichend definiert wird, was unter Souveränität zu
verstehen ist. Souveränität ist ein Wort der Polemik geworden. Aber es
ist ein Begriff des Rechts, sowohl des Völkerrechts als auch des
Staatsrechts, dessen Definition folgenreich ist. Recht kann nur als
Wirklichkeit der Freiheit verstanden werden. Demgemäss ist die
Souveränität eine Kategorie der Freiheit, und zwar der Freiheit der
Menschen und Bürger, nämlich die Freiheit des Volkes als Bürgerschaft.
Das ist darzulegen, bevor die Grenzen und Verletzungen der inneren und
äusseren Souveränität und die besonderen Aspekte der Souveränität
Deutschlands erörtert werden.
Freiheitliche Souveränität
Die angesprochenen Souveränitätslehren habe ich
näher in der Schrift Freiheitliche Souveränität dargelegt und
insbesondere die Herrschaftslehren Bodins, Hobbes’, Hegels, Hellers und
Schmitts, aber auch Krieles kritisiert. Ich stütze mich auf Rousseau und
Kant. Ich verweise auf diese Ausführungen, kann aber dem Leser einige
Sätze zu diesen Souveränitätslehren wegen ihrer Wirkungen bis in unsere
Zeit nicht ersparen. In dieser Schrift geht es darum, die Souveränität
Deutschlands, deren Grenzen und Verletzungen darzulegen, zumal die durch
die Integration in die Europäische Union. Dafür muss freilich die
freiheitliche Souveränitätslehre, die Souveränität der Bürger, als
Grundlage unterbreitet werden. Souveränität ist auch in der und für die
Republik, der Staatsform der allgemeinen Freiheit, ein zentraler Begriff
des Staatsrechts und des Völkerrechts. Wesentliche Unterscheidungen der
Souveränitätslehre müssen jedoch zur Sprache gebracht werden, nämlich
die zwischen Souveränität als Herrschaft und als Freiheit und die
zwischen Souveränität als Macht und als Recht, aber auch zwischen einer
Volkssouveränität, in der Volk als von den Bürgern unterschiedene
politische Einheit verstanden wird, und Bürgersouveränität. In der vom
Verlag Duncker & Humblot, Berlin, veröffentlichten Schrift zur
Freiheitlichen Souveränität sind auch die Kapitel, die um der Sache
willen in beiden Schriften erörtert werden müssen, durch Zitate auch aus
den fremdsprachigen Originalschriften und mannigfache, vielfach auch
kritische, Belege verstärkt, die manchen Leser, der sich in die
Souveränitätslehre vertiefen will, interessieren könnten, aber für den
in dieser Schrift unterbreiteten Gedankengang nicht unbedingt
erforderlich sind. Materialfülle dient der wissenschaftlichen
Unangreifbarkeit, kann aber auch den Lesefluss erschweren.
Um
Missverständnissen meiner Begriffe, die alle je nach dem politischen und
rechtlichen System, in dem sie gebraucht werden, unterschiedlichen
Begriffsgehalt haben und wegen ihres politischen Gewichts vielfach
interessiert ideologisiert werden, vorzubeugen, stelle ich die
wichtigsten vor, bevor ich meine Souveränitätslehre entwickle, auf deren
Grundlage ich die Grenzen der inneren und äusseren Souveränität und die
Verletzungen der Souveränität erörtere. Diese meine Begriffe genügen im
übrigen dem Grundgesetz, das als das Verfassungsgesetz der Deutschen
der genannten Verfassung der Menschheit des Menschen genügt und seinen
Verfassungskern der politischen Disposition entzieht. •
1 Dokumentation in deutscher Übersetzung, Zeit-Fragen, Nr. 13 vom 26. März 2012, S. 9 ff.
Auszug aus Karl Albrecht Schachtschneider, Die
Souveränität Deutschlands. Souverän ist, wer frei ist. Kopp Verlag.
2012, ISBN 978-3-86445-043-3, S. 9–16