Politiker der EU-Staaten haben die staatliche Missachtung des Rechts ausgerufen
von Karl Müller
Gegen Ende eines Vortrages Mitte Februar in Berlin sprach der deutsche Staatsrechtslehrer Karl Albrecht Schachtschneider davon, die Regierungen in den Euro-Staaten seien seit der europäischen Schuldenkrise zum offenen Rechtsbruch übergegangen. Er sagte auch, praktisch hätten die Politiker der EU-Staaten, insbesondere in Deutschland, den Ausnahmezustand, also die staatliche Missachtung des Rechts, ausgerufen. Nicht so offen, dass sie sagen: Jetzt beginnen wir mit der Willkürherrschaft. Aber es reicht schon das deutsche Unwort «alternativlos» als Rechtfertigung für den wiederholten Rechtsbruch, also die offene Proklamation des Endes demokratischer Politik, so wie das ebenso besonders in Deutschland praktizierte undemokratische und das internationale Recht missachtende Festhalten an einer fatalen Staatsräson, die immer wieder in Kriege führt – solange dies nicht korrigiert wird.
In den EU-Regierungen sind Alchemisten am Werk. Sie tun so, als könnten sie wertvolles Geld aus dem Nichts schaffen, und sie vertuschen auf eine unerhörte Art und Weise, dass die Rechnung präsentiert werden wird und die Wirklichkeit nicht auszusitzen und nicht wegzureden ist. Den «Schwarzen Peter» soll am Schluss der Bürger haben.
Sie tun so, als ob sie – als kleine Minderheit – noch immer (oder schon wieder) in der Welt den Ton angeben könnten. Einige von ihnen tun auch wieder so, als könnten sie ohne erhebliche Verletzung des Menschheitsgewissens ungehemmt weitere Kriege führen.
Wie lange kann es gutgehen, wenn der Staat das Recht bricht? Wenn der Staat die Grundlagen eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates nicht mehr achtet? Wenn nicht mehr das internationale Recht und die Verfassung des Landes den Rahmen für die Ausübung von Staatsgewalt bilden?
Sollen jetzt alle Mittel erlaubt sein, neben der Gewalt und dem Raub immer auch der Betrug?
Wenn wir auf die vergangenen 20 Jahre zurückblicken, dann wurden wir Bürger ständig belogen. Jeder, der anfängt, eigenständig nachzuforschen, kommt so oft zu dem Ergebnis: Das stimmt ja gar nicht, was unsere Politiker sagen, es stimmt ja gar nicht, was wir in unseren Zeitungen lesen, im Radio hören, auf dem Bildschirm sehen, in unseren Büchern gelesen haben und an unseren Schulen und Hochschulen zu hören bekamen.
Besonders mit Lügen überzogen werden die Länder, die sich nicht beugen wollen. Als denkender Mensch kann man gar nicht mehr anders, als all das, was seit Wochen und Monaten über Syrien, über Iran, über Russland, über … gesagt, gedruckt und gesendet wird, nur noch mit Gummihandschuhen anzufassen. Zu oft hat sich herausgestellt, dass es wieder einmal nur die halbe Wahrheit war, das Ganze wieder einmal nicht gestimmt hat, das Wichtigste nur in Nebensätzen stand.
Soll man sich damit abfinden?
Millionenfach wurde im vergangenen Jahr ein kleines Büchlein mit dem Titel «Empört euch!» verkauft. Über das Büchlein selbst gäbe es viel zu sagen. Nicht nur Gutes. Aber das ist gar nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass es so oft verkauft wurde, dass so viele es gelesen haben, dass Millionen von Menschen, auch in Europa, sehr genau wissen, dass sie ständig belogen werden und dass sie sich nach Gerechtigkeit sehnen, dass sie keine Kriege mehr wollen, dass sie nichts lieber hören würden als die Wahrheit, die ganze Wahrheit.
Zusammenleben können Menschen auf Dauer nur, wenn sie einander vertrauen können. Nicht blind, sondern mit gutem Grund. Ethik und Anstand sind keine Relikte, sondern Überlebensprinzipien. Medien haben die Pflicht, nach bestem Wissen und Gewissen nach der Wahrheit zu suchen und bei der Wahrheit zu bleiben. Staatsgewalt, die nicht auf Wahrheit gründet, ist Tyrannei. Alchemisten mit Staatsgewalt sind gefährliche Gaukler. Sie müssen zur Besinnung kommen, wir Bürger müssen sie auf die Wahrheit verpflichten.
Eigentlich fehlt es an nichts. Die Staatengemeinschaft und jeder europäische Staat hat Rechtsgrundlagen formuliert, grossartige Rechtswerke, die man lediglich verstehen und beachten muss. Die Aufklärer mussten noch philosophisch argumentieren. Heute würde in der Regel ein Blick in das Gesetzbuch ausreichen.
(Quelle: Zeit-Fragen)
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