von Dr. Eduard Paulus, Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft*
Das österreichische Bundesheer hat Tausende Profis.
Das einzige, was nicht professionell ist, ist die derzeitige politische
Führung dieses Heeres. Bundesminister für Landesverteidigung
Mag. Norbert Darabos konnte bis vor kurzem hoffen, als
«180°-Wendehals-Minister» in die Geschichte einzugehen. Er hat eine für
ihn «in Stein gemeisselte» allgemeine Wehrpflicht verlassen und sich zum
Berufsheer bekannt. Nun möchte er als Bundesminister für
Landesverteidigung auch dann weitermachen, wenn am 20. Jänner 2013 die
Volksbefragung für die allgemeine Wehrpflicht ausgeht. Er würde damit
endgültig zum «360°-Wendehals-Minister». Eine derart gefährliche Übung,
an der sich sogar ein Uhu das Genick brechen würde, ist für einen
österreichischen Minister offensichtlich völlig problemlos.
Wehrpflicht mit Milizsystem
Nun zum sachlichen Gehalt der bevorstehenden
Volksbefragung! Die Österreichische Offiziersgesellschaft fordert seit
langem eine Reform des österreichischen Bundesheeres auf Basis der
verfassungsgesetzlichen Grundlagen – das heisst «allgemeine Wehrpflicht
mit Milizsystem» für alle männlichen Staatsbürger mit der Möglichkeit,
einen zivilen Ersatzdienst zu leisten. Zentraler Kern einer Reform ist
neben der ausreichenden budgetären Dotierung vor allem die
Wiedereinführung von Volltruppenübungen für einen Teil der
Grundwehrdiener auch nach dem Präsenzdienst. Vorbilder für
funktionierende Armeen mit allgemeiner Wehrpflicht sind in Mitteleuropa
Norwegen, Finnland und die Schweiz. In der Bundesrepublik Deutschland
und in Schweden ist durch die Abschaffung der Wehrpflicht die Situation
leider sehr kritisch geworden. Demokratiepolitisch denkende EU-Bürger
sollten es für problematisch halten, wenn wir in näherer Zukunft nur
mehr in Russland, Indien, China und der Türkei Staaten mit allgemeiner
Wehrpflicht hätten.
Nato-Beitritt ist keine Option für die Bevölkerung
Die Österreichische Offiziersgesellschaft sieht
staatspolitische bzw. staatsrechtliche, wehrpolitische und moralische
Argumente für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht in
Österreich. Unsere Bundes-Verfassung sieht noch immer die allgemeine
Wehrpflicht nach den Grundsätzen eines Milizsystems im Rahmen einer
umfassenden Landesverteidigung vor. Eine Verfassungsmehrheit zur
Änderung dieser Rechtslage ist nicht in Sicht. Hinzu kommt das
Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahre 1955 über die immerwährende
Neutralität Österreichs. Dieses Gesetz stellt nicht nur Verfassungsrecht
dar, sondern ist durch Notifikation an fast alle Staaten der Welt seit
langem ein internationaler völkerrechtlicher Vertrag. Eine Änderung
dieser verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Situation ist nicht
absehbar. Dies bedingt allerdings die Einhaltung der völkerrechtlichen
Pflichten eines Neutralen, nämlich Bündnisfreiheit und eigene
ausreichende Verteidigungsanstrengungen. Die Alternative, nach
Abschaffung der Neutralität der Nato beizutreten, ist eine Option, die
die österreichische Bevölkerung in ihrer grossen Mehrheit ablehnt.
Die verfassungsgesetzlichen Kernaufgaben der Landesverteidigung sind neben der Aufrechterhaltung der territorialen Souveränität nach wie vor die ebenso wichtigen Assistenzaufgaben im Inland, nämlich Grenzsicherung, Schutz kritischer Infrastruktur («Objektschutz») sowie sehr zentral die Hilfe in Katastrophenfällen aussergewöhnlichen Umfanges. Alle diese Einsatzaufgaben, die nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gegeben sind, erfordern im Anlassfall sehr hohe Mannstärken, die mit einem Berufsheer in Österreich nie erreichbar sein werden. Es darf daran erinnert werden, dass die Schweizer Armee im Jahre 2011 mit nahezu 7000 Soldaten eine Sicherung nur des Flughafens Zürich-Kloten geübt hat.
Die verfassungsgesetzlichen Kernaufgaben der Landesverteidigung sind neben der Aufrechterhaltung der territorialen Souveränität nach wie vor die ebenso wichtigen Assistenzaufgaben im Inland, nämlich Grenzsicherung, Schutz kritischer Infrastruktur («Objektschutz») sowie sehr zentral die Hilfe in Katastrophenfällen aussergewöhnlichen Umfanges. Alle diese Einsatzaufgaben, die nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gegeben sind, erfordern im Anlassfall sehr hohe Mannstärken, die mit einem Berufsheer in Österreich nie erreichbar sein werden. Es darf daran erinnert werden, dass die Schweizer Armee im Jahre 2011 mit nahezu 7000 Soldaten eine Sicherung nur des Flughafens Zürich-Kloten geübt hat.
Finanzierungsplan des Ministers nicht für die Realität
Nun zu den wehrpolitischen Argumenten, die für die
Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht sprechen: Seriöse und, wie ich
meine, sehr sparsame Berechnungen im Generalstab haben schon vor zwei
Jahren ergeben, dass ein Berufsheer in Österreich als Minimum ein
Jahresbudget von 2,6 Milliarden Euro verlangt. In diesem Zusammenhang
ist interessant, dass bereits der Vorsitzende der
Bundesheerreform-Kommission, Alt-Bürgermeister Dr. Helmut Zilk, 1
Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Heeresbudget gefordert hatte. Das
wären damals bereits rund 2,8 Milliarden Euro gewesen. Im Büro von
Bundesminister Darabos wurde verlangt, die Zahlen auf das damals
bestehende Budgetniveau von 2,2 Milliarden Euro herunterzurechnen.
Allerdings stehen zur Zeit nach den von Darabos freudig begrüssten
Einsparungen nur mehr rund 1,8 Milliarden Euro Jahresbudget zur
Verfügung, davon allein mehr als 1,2 Milliarden Euro Personalkosten. Ein
Berufsheer mit diesem Budget passt in maximal drei Stadionsektoren und
reicht ausschliesslich für kleinere Auslandeinsätze.
Berufsheer für politisch motivierte «robuste» Auslandeinsätze
Im derzeit laufenden Pilotversuch des Ministers
sollen je 115 Pioniermilizsoldaten in zwei Pionierbatallionen, die ihre
Übungspflicht noch aus der allgemeinen Wehrpflicht mitgebracht haben,
plötzlich zusätzlich 5000 Euro pro Jahr Prämie bekommen, wenn sie
jährlich üben statt alle zwei Jahre. Das ist grotesk. Jeder nimmt für
dieses Zusatzgeld notfalls Urlaub und hat seine Übungspflicht schneller
absolviert als geplant. Dieser Pilotversuch kann nichts darüber
aussagen, ob sich in Zukunft ohne Wehrpflicht 9500 neue Zeitsoldaten mit
ausreichender Qualifikation melden werden. Diese Zeitsoldaten werden
auf jeden Fall wesentlich teurer sein als Grundwehrdiener mit einem
Taggeld von rund 350 Euro pro Monat. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass
in einer Berufsarmee alle Soldaten verpflichtet sein werden, jederzeit
in gefährliche Auslandeinsätze zu gehen. Die Berufsplanung dieser jungen
Männer, die nach spätestens sechs Jahren und unvorhersehbaren
Kampfeinsätzen im Ausland ins Zivilleben entlassen werden, bleibt völlig
unklar. Die Bildungsqualität der einfachen Zeitsoldaten sinkt daher in
allen Berufsarmeen drastisch ab. Die politische Absicht, in der
deutschen Bundeswehr 8,5 Milliarden Euro einzusparen und aus 45
000 Interessenten pro Jahr Tausende Zeitsoldaten auswählen zu können,
ist kläglich gescheitert. Derzeit werden in der BRD bis zu 3 Milliarden
Euro zusätzlich in die Werbung von Freiwilligen gesteckt. Gleichzeitig
gibt es in Deutschland jetzt nur mehr 33
000 Bundesfreiwilligendienstleistende statt vorher 99 000 Zivildiener.
In Bayern, mit traditionell guter Arbeitsmarktlage und guten Chancen im
Zivilberuf, sind die Nachwuchssorgen der Bundeswehrverbände besonders
gross. In Schweden prozessieren 100 Militärärzte gegen ihre weitere
Dienstpflicht, weil sie nicht einsehen, warum sie dienen sollen, wenn
alle anderen nicht einmal mehr zum Grundwehrdienst eingezogen werden. Es
wird auch in Österreich keinesfalls zumutbar sein, dass nach der
Einführung einer Berufsarmee die bisherigen Berufs- und Milizsoldaten
plötzlich Auslanddienstverpflichtungen haben sollen. Völlig undenkbar
ist, dass bisherige Milizsoldaten, die sich während der allgemeinen
Wehrpflicht gemeldet haben, weiterhin übungs- und einsatzpflichtig
bleiben.
Berufsarmeen mit schlecht ausgebildeten Jugendlichen
Die von Bundesminister Darabos immer wieder als
leuchtende Beispiele genannten Berufsarmeen der westlichen Welt haben
bei den einfachen Zeitsoldaten grossteils junge Burschen mit schlechtem
bis gar keinem Schulabschluss. Ausserdem werden im grossen Umfang
einschlägig Vorbestrafte angeworben. Dies stellt nicht nur eine unfaire
Ausbeutung sozial benachteiligter Jugendlicher dar, sondern ist auch ein
moralisches Armutszeugnis und eine latente Gefahr für die Demokratie.
Die jüngste Studie des deutsches Bundeswehrverbandes zeigt, dass 75% der
Führungskräfte in der Bundeswehr kein Vertrauen mehr in die politische
Führung haben und sich grossteils nicht mehr zur Bundeswehr melden
würden, wenn sie noch einmal die Wahl hätten. Viele raten bereits ihren
Kindern ab, zur Bundeswehr zu gehen. Über diese Entwicklung können
offizielle Beschönigungen nicht hinwegtäuschen.
Die Armeen in Belgien, Ungarn und Slowenien sind so gut wie unsichtbar geworden. Mangels ausreichender Mannstärken konnte bei der Schlammkatastrophe in Ungarn kein Heereskontingent mehr aufgeboten werden.
Die Armeen in Belgien, Ungarn und Slowenien sind so gut wie unsichtbar geworden. Mangels ausreichender Mannstärken konnte bei der Schlammkatastrophe in Ungarn kein Heereskontingent mehr aufgeboten werden.
Zurück zu Söldnerheeren – zurück hinter die Aufklärung?
Die Kernaufgaben des Bundesheeres liegen nach wie
vor im Inland und erfordern hohe Mannstärken, die ohne allgemeine
Wehrpflicht nicht erreichbar sind. Die bisher sehr angesehenen
Dienstleistungen österreichischer Soldaten im Ausland werden teilweise
zu über 50% von Milizsoldaten erbracht. Derzeit ist das
durchschnittliche Bildungsniveau österreichischer Soldaten im Vergleich
zu anderen Armeen deutlich höher. In Österreich dienen Akademiker aller
Sparten, Handwerker, Gesellen und Meister aller Sparten, die genauso wie
kaufmännische Berufe alle ihre zivilen Kenntnisse positiv in die Armee
einbringen. Diese soziale Schichtung verändert sich in einer Berufsarmee
sofort. Die Vorteile des sozialen Lernens in der allgemeinen
Wehrpflicht, die Chance, mit allen Berufsschichten bekanntzuwerden und
Netzwerke fürs Leben zu knüpfen, gehen verloren. Wenn der
Grundwehrdienst derzeit mit viel zu vielen Einrückungsterminen schlecht
organisiert ist, ist dies nicht die Schuld der Grundwehrdiener, sondern
einer Politik, die nur auf vordergründige Effekthascherei aus ist.
Moralische Argumente sind nicht in Mode, um so notwendiger erscheint es, die Moral nicht völlig unter den Tisch fallen zu lassen: Seit dem ausgehenden Mittelalter über den 30jährigen Krieg bis hin zur Französischen Revolution waren jahrhundertelang Söldnerheere im Einsatz. Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main hat 1848 unter anderem für die allgemeine Wehrpflicht und gegen ein Berufsheer der Fürsten votiert, und dies zweifellos aus Gründen der Moral und Gerechtigkeit.
Moralische Argumente sind nicht in Mode, um so notwendiger erscheint es, die Moral nicht völlig unter den Tisch fallen zu lassen: Seit dem ausgehenden Mittelalter über den 30jährigen Krieg bis hin zur Französischen Revolution waren jahrhundertelang Söldnerheere im Einsatz. Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main hat 1848 unter anderem für die allgemeine Wehrpflicht und gegen ein Berufsheer der Fürsten votiert, und dies zweifellos aus Gründen der Moral und Gerechtigkeit.
«Freiwilligenarmee hat den Rechtsstaat USA beschädigt»
Bob Herbert hat in der «New York Times» vor etwa
zwei Jahren geschrieben, dass die USA weder im Irak noch in Afghanistan
stünden, hätten sie noch die allgemeine Wehrpflicht, und er hat
hinzugefügt, dass das Prinzip der Freiwilligenarmee den Rechtsstaat arg
beschädigt hat. Auch der erste Verteidigungsminister von Barack Obama,
Robert Gates, hat sich durchaus kritisch über die Entwicklung der
Einstellung der Soldaten in der US-Berufsarmee geäussert. Die Herren
Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl haben ebenfalls auf die
Problematik von Berufsarmeen für die Demokratie hingewiesen. Kriege
werden wieder leichter führbar, die Politik entscheidet sich leichter
für Kriegseinsätze, wenn sie nicht auf die Bevölkerung Rücksicht nehmen
muss, vor allem, wenn sie keine Freiwilligen für konkrete Einsätze
anwerben muss.
Entscheidung für Österreich – Entscheidung für Wehrpflicht!
Nur die allgemeine Wehrpflicht sichert in einem
Kleinstaat wie Österreich die Erfüllung sämtlicher Inlandsaufgaben. Das
gilt vor allem für den Bereich der sicherheitspolitischen
Assistenzleistungen wie Grenzsicherung, Objektschutz, Schutz kritischer
Infrastruktur, Sicherungsmassnahmen bei Flächenausfall von Strom, Gas
und Wasser usw. Die kostengünstigste Lösung dieser Aufgaben ist es,
Soldaten kurz auszubilden und sie im Anlassfall wieder einzuberufen,
statt teure Berufssoldaten ständig bereitzuhalten, obwohl
voraussichtlich nicht sehr oft Einsatzszenarien auftreten. Mit der
Einführung einer Berufsarmee würden 14 000 zum Grossteil höchst
motivierte junge Zivildiener verlorengehen. Die soziale Solidarität
würde argen Schaden nehmen. Ein Berufsheer ist teuer, politisch
problematisch und dient hauptsächlich den Interessen jener Eliten, die
robuste Einsätze zur Lösung politischer Probleme im Ausland bevorzugen.
Wie sehr die mehr oder weniger verlorenen Kriege in Afghanistan und im
Irak dem Westen international vor allem auch moralisch geschadet haben,
sollte uns allen bewusst sein. Entscheiden wir uns daher am 20. Jänner
2013 für ein reformiertes Bundesheer mit allgemeiner Wehrpflicht. •
Quelle: Der Offizier, Nr. 3/2012. Zeitschrift der Österreichischen Offiziersgesellschaft. www.oeog.at/ow10/der-offizier/
*Dr. Eduard Paulus leitet in der Salzburger
Landesregierung die Abteilung für Finanz- und Vermögensverwaltung. Er
ist Informationsoffizier des Österreichischen Bundesheeres,
Gründungsmitglied des Milizverbandes Österreich und Präsident der
Österreichischen Offiziersgesellschaft. Weiter publiziert er regelmässig
zu Verfassungs- und Verwaltungsverfahrensrecht und ist Träger des
Grossen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich.
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