2016-01-20

EU-Austritts-Volksbegehren: Expertenhearing am 3.12.2015 - Meinungen der Experten (von den Parteien nominiert)


Stellungnahme von Inge Rauscher


Gesamte Sitzung (Audio):

2015_12_03_Hearing_Verfassungsausschuss.mp3


Am 3.12 fand das zweite Expertenhearing zum EU-Austritts-Volksbegehren statt. Die Proponenten verliesen das Parlament aus Protest. Die Diskussion fand aber trotzdem statt. Hier meine Meinung dazu:

Die Bundesregierung, die Parlamentsparteien, alle nominierten Experten des Verfassungsausschusses lehnten den Austritt aus der EU ab. Argumentiert wurde hauptsächlich mit Arbeiten von Univ. Prof. Dr. Fritz Breuss – er und alle namhaften Wissenschaftler würden die makroökonomische Entwicklung der EU als Erfolg und Gewinn für Österreich sehen. Die derzeitigen Rekordarbeitslosenzahlen wären angeblich ohne EU-Mitgliedschaft noch höher. Die offenen Grenzen, die Gemeinschaftswährung Euro  und die EU-Studentenaustauschprogramme wären darüber hinaus die Gründe in der EU zu verbleiben. Auf die rechtlichen und politischen Defizite der EU gingen die Experten kaum ein. Reformen der EU hielten viele Experten und Abgeordnete allerdings für notwendig.
 

Mich haben die wenigen Argumente für den Verbleib Österreichs in der EU überhaupt nicht überzeugt. Die genannten Aspekte sind bestenfalls Halbwahrheiten. Wenn z.B. die EU jährlich 18000 Arbeitsplätze geschaffen hat, wie viele hat sie dann vernichtet, angesichts des Arbeitslosenrekords? Warum hat Österreich Rekordstaatsschulden? Die wichtigsten Argumente für den Austritt Österreichs aus der EU wurden gar nicht angesprochen, geschweige denn ausreichend diskutiert. Der Austritt Österreichs aus der EU ist für mich nach wie vor notwendig, weil so umfassende Reformen der EU-Verträge gar nicht möglich sind. Die Grundfreiheiten der EU, der Europäische Binnenmarkt - er ist ja sozusagen das Fundament der EU - ist schon der Grundfehler, hat Prof. Dr. Schachtschneider dargelegt. „Frei ist das Kapital und nicht der Mensch“, so Prof. Schachtschneider, der auch eine Verfassungsbeschwerde verfasste, die sich jeder durchlesen sollte. Das demokratische Defizit der EU ist untragbar: Das Europaparlament ist nur eine Versammlung von Vertretern der Mitgliedsstaaten und kann von sich aus keine eigenen Gesetze beschließen. Es kann auch kein echtes Parlament sein, sonst müsste man ja vorher die notwendigen verfassungsrechtlichen Schritte samt Volksabstimmungen in allen Mitgliedsstaaten durchführen.

 Es ist ein zweifellos ein Vorteil, die offenen Grenzen, kein Stau, kein Geldwechseln. Und es ist schön, dass die EU die Studenten fördert. Fördern ist eigentlich ein falscher Ausdruck. Die eingezahlten Mitgliedsbeiträge Österreichs werden ja nur zum Teil wieder an Österreich retourniert. Österreich fördert die EU mit derzeit jährlich 3 Milliarden Euro. Mehr als 2/3 dieses Geldes wird für den Agrarfonds und den Kohäsionsfonds oder Umverteilungsfonds verwendet.  Bezieher der Agrar-Förderungen sind vor allem Landwirtschaftskammern, Tourismus- und Vermarktungsgesellschaften, Lebensmittel- und Energiebetriebe, Stiftungen und kirchliche Einrichtungen – also nicht etwa den kleinen Bauern, die die Landschaft tatsächlich pflegen. Mit den Geldern für den Kohäsionsfonds wird fremden Ländern geholfen.

Die Studenten könnten auch ohne EU-Mitgliedschaft Österreichs gefördert werden, so wie das auch die Schweiz macht. Nach dem Ausschluss aus dem „Erasmus“ - Programm der EU ersparte sich die Schweiz ab 2014 viel Geld, weil sie keine Gebühren an die EU mehr bezahlen musste, sondern die Studenten auf direktem Weg billiger fördern konnte Die Eidgenossen brauchen kein Monsterabkommen aus Brüssel, damit die Schweizer Studenten ein Auslandsemester machen und umgekehrt die ausländischen Studenten in der Schweiz studieren können.

 Die offenen Grenzen haben auch viele Nachteile, wie die derzeitige Völkerwanderung aus allen möglichen Ländern zeigt. Die meisten der so genannten Flüchtlinge haben gar keinen Asylstatus und viele sind Wirtschaftsmigranten. Sie dürften gesetzlich nicht ungestraft die österreichische Grenze passieren oder gar durch Österreich „geschleppt“ werden.  Die Kriminalität ist mit den offenen Grenzen sicher gestiegen.

Haben die im Verfassungsausschuss genannten wissenschaftlichen Arbeiten bezüglich der positiven makroökonomischen Wirtschaftsentwicklung in der EU auch alle Aspekte berücksichtigt? Auch die negativen Folgen durch das vorgeschriebene neoliberale Wirtschaftsystem der EU und die Belastungen des österreichischen Sozialsystems dadurch?  Die extremen Nachteile des Herkunftslandprinzips der EU? Ich sehe keine komparativen Vorteile des von der EU festgelegten Wirtschaftssystems der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Es sind einseitige Vorteile der wenigen Gewinnern, die immer reicher und reicher werden. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr. Alle paar Jahre müssen die Finanzjongleure dann von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer gerettet werden. Viele Bürger zittern um ihren Arbeitsplatz und ihre Pension, die Sozialstandards insgesamt werden immer niedriger. Der Euro wurde ohne Volksabstimmung und entgegen den Versprechungen vor der Volksabstimmung 1994 eingeführt. Nach Prof. Dr.Wilhelm Hankel könnte ein Ecu für internationale Geschäfte und wieder nationale Währungen mit Auf- und Abwertmöglichkeit eingeführt werden. So könnten die schwachen Volkswirtschaften abwerten und wieder wettbewerbsfähig werden und die starken Volkswirtschaften aufwerten und den Wohlstand der Bevölkerung steigern.

Die Kaufkraft der EU-Währung „Euro“ ist gegenüber dem Schilling gesunken. Das spürt jeder, der ehrlich ist. Ich sehe nicht, dass es Österreich insgesamt vor dem Beitritt zur EU 1995 schlechter gegangen ist und bin mir sicher, dass es der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher ohne EU auch jetzt viel besser ginge.  Im Gegenteil: Wer in meiner Jugendzeit arbeiten wollte, der fand in der Regel schnell Arbeit. Heute zittert jeder um seinen Arbeitsplatz und sogar junge Menschen tun sich sehr schwer trotz guter Ausbildung einen passenden Arbeitsplatz mit gerechter Entlohnung zu finden.

Das Beispiel Schweiz zeigt, dass es ohne EU möglich ist, viel weniger Arbeitslose und Staatsschulden zu haben. Die Eidgenossen haben auch ein größeres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und eine wesentlich geringere Staatsverschuldung. Wurden in den genannten Studien auch die durch das EU-System, genauer durch die Kapitalverkehrsfreiheit, in die EU gebrachte Finanzmarktkrise und die Euro-Rettung berücksichtigt? Die Zahlungen und Haftungen für die Euro-Rettung? Der Schweiz schadete im Verhältnis die Krise nicht so sehr, weil sie sich besser schützen konnte. Wurden die Milliarden für andere Staaten, wie Griechenland, in den Studien berücksichtigt?  Wurden die EZB-Inflationspolitik und die Staatenfinanzierung mitkalkuliert? Allein die Steigerung des BIP um 0,9 % als Referenz zu nehmen genügt nicht! Ohne EU mit dem Schweizer Modell hätte Österreich so wie die Schweizer wirtschaftlichen Erfolg, dadurch könnte es allen Österreichern besser gehen und wir wären als neutraler Staat nicht auf der Liste des Terrors.

Es ist unglaubwürdig, dass die EU-Mitgliedschaft Österreichs für alle mehr Vorteile gebracht hätte. Ein Teil der Österreicher mag aus dem von der EU vorgeschriebenen „Extrem-Kapitalismus“ profitieren -  die Reichen werden ja reicher - das gilt aber nicht für meisten Menschen, deren Standard immer mehr sinkt.

 Sogar der im Verfassungshearing als Referenz genannte Univ. Prof. Dr. Fritz Breuss schreibt in seiner Studie zur Ostöffnung: „Die Ostöffnung war daher für die österreichische Volkswirtschaft insgesamt ein großer Erfolg, nicht aber für alle Beteiligten.“ Und in einer anderen Schrift von Prof. Dr. Breuss: „Seit der stagnierenden Wirtschaftsentwicklung in Europa nach den diversen Krisen (Große Rezession 2009, Euro-Krise seit 2010, Unsicherheiten durch die Ukraine-Russland-Krise 2013/14) scheint der „EU-Wachstumsbonus“ langsam zu verblassen.“

Der Ökonom Stephan Schulmeister kritisiert das neoliberale Ausbeutersystem der EU:


„Vergleicht man abschließend die Performance der Wirtschaft in Österreich und in der  Eurozone in den vier Entwicklungsphasen seit 1955 mit der jeweils dominanten ökonomischen Doktrin und den entsprechenden makroökonomischen Rahmenbedingungen, so ergibt sich folgendes Bild:

In der Eurozone hat sich das mittelfristige Wachstumstempo nahezu stetig verlangsamt.

Die ökonomische und soziale Performance Österreichs übertraf jene in der Eurozone am  stärksten in jener Phase (…) in der sich die Wirtschaftspolitik in Österreich noch an (austro)keynesianischen Prinzipien orientierte, die übrigen Länder der Eurozone aber nicht  mehr.“

Dieser Befund lässt für die kommenden Jahre wenig Gutes erwarten. Denn auf die Vertiefung der Krise als Folge der neoliberalen Spar- und Reformmaßnahmen reagiert die Politik mit einer Erhöhung der Dosis. Vorboten dessen sind die Forderungen nach Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich (also nach Senkung der Reallöhne) sowie nach weiteren Leistungskürzungen im Bereich der sozialen Kranken-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung. ++

Am 26.1 ist die nächste Sitzung. Diesmal dürfen 2 Experten der Proponenten sprechen. Die Sitzung dauerd 2 Stunden (11-13 Uhr im Budgetsaal) und das EU-Austritts-Volksbegehren mit ihrer Sprecherin und 2 Stellvertretern wird im Mitterpunkt stehen. Allerdings wird bereits am 27.1 im Plenum des Parlaments die Entscheidung der 183 Abgeordneten fallen. Das ist natürlich auch keine echte Demokratie. Es ist ja keine Zeit für die Abgeordneten die Argumente zu überprüfen und abzuschätzen. Man hat nur den Eindruck, dass es sowieso für die Fraktionen und der Regierung klar ist, dass sie das Volksbegehren wieder mal schubladieren wollen. Aber wer weiß, vielleicht finden sich einige mutige Abgeordnete, die einen Entschließungsantrag stellen, oder gar einen fertigen Gesetzesantrag für den Austritt Österreichs aus der EU vorlegen. 5 wären mindestens nötig!
 


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