http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/917905_Was-waere-wenn-.-.-..html:
Spätestens nach der Rede von
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Union hätten
die Briten ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft verlangt. Dies wäre
nicht zu vermeiden gewesen und zunehmend schwieriger zu gewinnen.
Mehr
Macht für Brüssel, die Erweiterung von Schengen- und Euroraum - dies
sind alles Themen, die nicht einmal in Schottland gut ankommen. Mit
seiner Rede hat Juncker die Chancen auf ein unabhängiges Schottland
deutlich verringert. Und wäre Irland im Schengenraum, wären die
Verhandlungen mit der EU über den Brexit noch komplizierter, als dies
ohnehin schon der Fall ist. Die Republik Irland kämpft für das
Weiterbestehen der Sonderreisefreiheit mit Großbritannien inklusive
Nordirland. Als Schengenland würde diese Vereinbarung, die seit fast
hundert Jahren existiert, aufgehoben. Es gäbe neue Grenzkontrollen.
Obwohl die Insel Irland geografisch am Rand der Europäischen Union
liegt, bildet sie eine große Brexit-Baustelle, die nicht außer Acht
gelassen werden darf nach dem Motto: "Wir fahren weiter Richtung
Integration ohne die Briten."
Ohne
das Brexit-Referendum wäre Großbritannien irgendwann unter Druck
gekommen, Schengen beizutreten und die gemeinsame Währung einzuführen.
Beides hätte die Zustimmung des Volkes in einem Referendum gebraucht,
ebenso die Ausdehnung der Befugnisse der EU. Höchstwahrscheinlich wäre
ein Nein herausgekommen. Großbritannien wäre als Rosinenpicker
beschimpft und zum Quasi-Paria der neuen reformierten EU degradiert
worden.
Aber der Kurs in Richtung Brexit ist nun
eben angepeilt. Und Juncker richtet den Briten aus: "Sie werden es bald
bereuen." Das klingt fast schon nach dem Androhen einer Strafe, was
freilich seitens der EU dementiert wird. Und die langwierigen
Verhandlungen mit der EU zeigen vielen Briten, dass man mit diesen
Institutionen nicht viel anfangen kann. All dies bestätigt damit die
Kritik der EU-Gegner, die EU agiere ineffizient.
Meinungsumfragen
zeigen bisher keine große Abkehr vom Brexit, abgesehen davon, dass man
nicht auf Basis solcher Schnappschüsse Politik machen kann - sonst wäre
es nie zum Brexit gekommen. Eine Abkehr vom Brexit würde als mangelndes
Demokratieverständnis aufgenommen, und die andere Hälfte des Landes
würde auf den Straßen demonstrieren.
Reformwünsche
wachsen in anderen EU-Ländern, so auch in Österreich. Man will nicht so
viel Geld für Kinder von Unionsbürgern ausgeben, die in einem anderen
Land wohnen. Die EU-Migranten sollen erst einmal jahrelang einzahlen,
bevor sie staatliche Leistungen in Anspruch nehmen dürfen. Im Endeffekt
entspricht dies dem Paket, das Ex-Premier David Cameron vor dem
Referendum mit der EU ausverhandelt hatte. Aber diese Vereinbarung hatte
keine solide rechtliche Basis und wurde als diskriminierend bezeichnet.
Womöglich wäre das Paket auch bis heute nicht in Kraft getreten und das
EU-Parlament hätte dem nicht zugestimmt.
Was wäre wenn . . .
Hätten die Briten im Juni 2016 gegen den Brexit gestimmt, wäre jetzt womöglich eine noch größere Mehrheit dafür.
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