"Alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern (sind) verboten." heißt es im Art. 63 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU. Der EU-Binnenmarkt hat auch weitreichende Folgen in der Steuerpolitik. So sind die Gewinnsteuersätze für Kapitalgesellschaften (Körperschaftssteuer) im Durchschnitt der EU-28 zwischen 1995 und 2016 von rund 35% auf knapp über 22% gefallen - also um deutlich mehr als ein Drittel. Konzerne zahlen immer weniger Steuern. Dafür wurden Umsatzsteuern auf den Konsum erhöht, was die Bürger, besondern Menschen mit wenig Einkommen trifft. Erst durch dieses Verbot von Kapitalverkehrskontrollen wird dem Kapital die Möglichkeit geboten, die Staaten zu erpressen und im "Standortwettbewerb" gegeneinander auszuspielen. Dadurch wurde in allen EU-Staaten ein enormes Gewinnsteuerdumping ausgelöst, vom dem in erster Linie die großen Konzerne profitieren. Auch in Österreich wurden die Körperschaftssteuersätze deutlich gesenkt (von 34% auf 25%) und den Konzernen großzügige Steuergeschenke offeriert, z.B. durch die Gruppenbesteuerung, die es Unternehmen ermöglicht, Gewinne im Inland mit Verlusten von Tocherfirmen im Ausland gegen zu verrechnen. Fazit: Das Verbot von Kapitalverkehrskontrollen unterläuft letztlich jede Form demokratischer Wirtschafts- und Sozialpolitk, die an der breiten Mehrheit der Bevölkerung orientiert ist. Denn jede wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahme, die den großen Kapitalgruppen zuwiderläuft, kann von diesen sofort mit der Drohung des Kapitalabzugs unterlaufen werden. Das Verbot von Kapitalverkehrskontrollen ist im EU-Primärrecht einzementiert, das heißt, es kann nur geändert werden, wenn das alle 28 Staaten gleichzeitig mit Verfassungsmehrheit beschließen. Das ist faktisch unmöglich. Wer wieder Kapitalverkehrskontrollen - als Voraussetzung einer demokratischen Wirtschafts- und Sozialpolitik - einführen will, kommt daher an der Frage des Austritts aus den EU-Verträgen nicht umhin. Das war mit ein Grund, warum sich die großen Konzerne und die Finanzindustrie so stark für die Gründung der Europäischen Union einsetzten.
(Quelle: Inter-Info September 2018)
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Europäischer Binnenmarkt – Grundfehler der Integration
Wider die Freihandelsdoktrin
von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
Die Europäische Union ist gescheitert. Ihre wirtschaftliche und politische Instabilität ist offensichtlich geworden. Die Gründe werden entweder nicht gesehen oder geleugnet. Die Union hatte niemals eine Chance, ihre vollmundigen Ziele zu erreichen, etwa nach der Lissabon-Strategie von 2000 «bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum in der Welt zu werden, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem grösseren sozialen Zusammenhalt zu erzielen». Nicht erst die einheitliche Währung, der Euro, hat die Stabilität beendet, sondern bereits der Binnenmarkt war der Grundfehler der europäischen Integration. Die Währungsunion mit der Einheitswährung war eine Reaktion auf die Schieflage, welche schon der Binnenmarkt bewirkt hat, hat aber, wie zu erwarten, wenn politische Fehlentwicklungen verteidigt werden sollen, den Absturz beschleunigt.
Deregulierung nimmt den Völkern den Schutz ihrer Volkswirtschaften
Der Binnenmarkt ist die Wirklichkeit der Grund- oder Wirtschaftsfreiheiten, nämlich die Warenverkehrs-, die Niederlassungs-, die Dienstleistungs-, die Kapitalverkehrsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie sind mit aller Härte durchgesetzt worden und haben die Märkte der Union dereguliert. Der Binnenmarkt folgt der Freihandelsdoktrin, die auch die Globalisierung begründet. Die neoneoliberale Deregulierung nimmt den Völkern den Schutz ihrer Volkswirtschaften. Die Freihandelslehre Ricardos nennt spezifische Voraussetzungen komparativer Vorteile, nämlich die vollständige Auslastung der Ressourcen der beteiligten Völker, und hat im übrigen nicht den ebenso grenzenlosen wie entgrenzten Freihandel in Betracht gezogen. Ohne definierte komparative Vorteile, die auch auf Teilmärkten möglich sind, sind Vorteile der einen nichts als Nachteile der anderen, nämlich absolute Vorteile, etwa niedrige Löhne in einem Land, die im anderen Land zur Arbeitslosigkeit führen, insbesondere wenn die Produktion in das Niedriglohnland verlagert wird. Die Arbeitslosigkeit im Hochlohnland verteuert dessen Konsum, obwohl der Erwerb der importierten Waren wenig kostet. Volkswirtschaftlich müssen den unmittelbaren Erwerbskosten die Kosten für die Finanzierung der Arbeitslosen hinzugerechnet werden. Die Kosten für die Arbeitslosen sind nicht geringer als die Kosten für die Beschäftigten, angesichts der geringen Lohnkosten wegen der Verwaltung der Arbeitslosigkeit und der regelmässig höheren Krankheitsbetroffenheit der Arbeitslosen eher höher. Die Gesamtkosten des Konsums sind somit höher. Hinzu kommen die menschlichen und politischen Kosten der Arbeitslosigkeit, aber auch die Dequalifizierung der Arbeitslosen. Eigentlich müssen alle Kosten des Gemeinwesens zusammengefasst werden, auch die Kosten des Staates, insbesondere der Kriege, der Banken, der Versicherungen, der Altersversorgung usw., um die wirklichen Stückkosten der erarbeiteten Produkte zu errechnen. Das zeigt sich deutlich in den Steuer- und Beitragslasten, welche die Unternehmen und die Arbeitnehmer, aber auch die Verbraucher des Binnenmarktes (Mehrwertsteuer, Verbrauchsteuern u.a.) zu tragen haben. Die Exportländer der Billigprodukte haben nicht nur Vorteile, sondern abgesehen von der Entwürdigung ihrer Bevölkerung durch die unterbezahlte Arbeit auch Nachteile, weil sie die Entwicklung ihres Binnenmarktes vernachlässigen und die Infrastruktur nicht nachhaltig aufbauen. Dieser Fehlentwicklung versucht China gerade entgegenzuwirken.
Einheitswährung nimmt Volkswirtschaften Abwertungsmöglichkeit
https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2013/nr11-vom-1132013/europaeischer-binnenmarkt-grundfehler-der-integration.html
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