30. Juni 2011, 15:53, NZZ Online
Ein Paradox – starker Franken und starke Exporte
Warum sich die teure Schweizer Währung nicht in den Ausfuhrstatistiken niederschlägt
Noch zeigen sich in den Schweizer Exportstatistiken nur wenige Spuren des starken Frankens. (Bild: Imago)
Der Franken wird immer stärker. Schweizer Exportfirmen warnen vor dramatischen Folgen. Allen Horrorszenarien zum Trotz wächst die Schweizer Wirtschaft in einem erstaunlichen Tempo. Selbst die Exportbranchen legen zu – ein bemerkenswertes Paradox.
tsf. Der Schweizer Franken kennt offenbar keine Grenze nach oben. Seit Anfang 2010 hat der Euro gegenüber der Schweizer Währung über 18 Prozent verloren, seit Ende 2007 sogar rund 30 Prozent. Inzwischen ist der Euro für einen Preis von etwa 1.20 Franken zu haben. Selbst die leichte Entspannung der Lage in Griechenland ändert nur wenig an den Tiefstkursen der Gemeinschaftswährung.Ein starker Franken verteuert die Exporte der Schweizer Firmen ins Ausland. Sie werden durch die hohen Preise gegenüber der ausländischen Konkurrenz benachteiligt. Historisch hatte das meist erhebliche Folgen für den Werkplatz. Beispielsweise hatte eine ähnliche Aufwertung des Frankens gegenüber der damaligen D-Mark von über 25 Prozent zwischen April 1977 und September 1978 die Wachstumsdynamik empfindlich belastet. Aufgrund solcher Erfahrungen wäre eigentlich zu erwarten, dass die Schweizer Exporte jetzt um rund 15 Prozent schrumpfen sollten.
Doch in der Realität ist es umgekehrt. Die Schweizer Wirtschaft wächst weiter in hohem Tempo und auch die Exporte halten sich erstaunlich robust. Dies überrascht offenbar selbst die Ökonomen des Bundes, hat doch das Seco Mitte Juni die Schätzung für das Exportwachstum im laufenden Jahr nochmals nach oben angepasst. Erwartet wird nun eine Zunahme der Exporte im laufenden Jahr um 4,6 Prozent.
Effekt überschätzt?
In dieselbe Richtung deutet eine diese Woche von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich publizierte Studie. Sie kommt zum überraschenden Schluss, dass die negativen Folgen des starken Frankens für die Schweizer Ausfuhren überschätzt werden. In der Studie werden mehrere Gründe dafür genannt, dass die Schweizer Firmen derzeit relativ wenig auf die Wechselkurs-Schwankungen reagieren.Erstens sei die Schweizer Industrie dank Innovationen und Spezialisierungen dem Preiswettbewerb relativ wenig ausgesetzt. Zweitens hätten sich die Exporteure vermehrt auf andere Regionen als die Eurozone, beispielsweise auf Asien, ausgerichtet. Drittens profitierten die Schweizerischen Exporte auch von einer günstigen Nachfrage in wichtigen Ländern wie Deutschland, den Schwellenländern und den Vereinigten Staaten
Die Autoren der KOF-Studie räumen jedoch ein, dass die Branchen sehr unterschiedlich von der Frankenstärke tangiert seien. Ein Wechselkursschock spiele nur in den Branchen Maschinen, Apparate und Elektronik sowie Präzisionsinstrumente, Uhren und Bijouterie eine Rolle. Deren Anteil am Exportvolumen sei indessen in den letzten zwei Jahrzehnten von 26 Prozent auf 20 Prozent bzw. von 19 Prozent auf 16 Prozent gesunken. Umgekehrt habe sich gezeigt, dass die Bereiche Chemie und Pharma kaum vom Wechselkurs abgängig seien.
Düsterste Szenarien
Trotzdem malen Wirtschaftsvertreter düsterste Szenarien an die Wand. «Diese Währungskrise dürfte entgegen gewissen Verharmlosungen gravierender ausfallen als die in den Siebzigerjahren», erklärte Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer in einem Artikel in der «Finanz und Wirtschaft».Besonders eindringlich sind die Warnungen der Exportbranchen. «Unser Haus steht in Flammen», warnte etwa am Mittwoch Hans Hess, der Präsident der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem). Bereits jeder dritte Betrieb befinde sich wegen des starken Frankens in der Verlustzone.
Innovative Firmen
Wie erklärt sich dieser paradoxe Zustand von erwarteten Einbussen, dem Aufschrei der Exportfirmen und den Zahlen, die keine effektiven Rückgänge zeigen? Auch David Marmet, Leiter Volkswirtschaft Schweiz bei der ZKB, hat die Resistenz der Schweizer Wirtschaft überrascht. Die Schweizer Wirtschaft sei sehr innovativ und spezialisiert. Damit seien die Firmen weit weniger dem Preiswettbewerb ausgesetzt als Unternehmen, die leicht austauschbare Produkte für Massenmärkte herstellten.Trotzdem will er die Folgen der Frankenstärke nicht verharmlosen. Er weist darauf hin, dass die Zahlen zum Bruttoinlandprodukt (BIP) und die Exportstatistiken immer nur die Vergangenheit spiegeln. Das relativiere damit auch die Bedeutung der KOF-Studie.
Bremsspuren erwartet
Marmet geht davon aus, dass sich in der zweiten Jahreshälfte in den Zahlen der Firmen schon deutliche Bremsspuren feststellen lassen. Er weist auch darauf hin, dass viele Exportfirmen offenbar bei den Preisen grosse Konzessionen machen. Sie opfern damit ihre Gewinnmargen, um die Einbussen auf den Exportmärkten in Grenzen zu halten. Einen so hohen Preis für die Verteidigung der Marktanteile können sich die Firmen kaum auf lange Sicht leisten.Dass sich die grossen Schwierigkeiten einer Vielzahl von Exportunternehmen so wenig in den Gesamtstatistiken spiegeln, hängt auch damit zusammen, dass eher Kleinbetriebe mit dem starken Franken zu kämpfen haben. Grosskonzerne wie Novartis, Roche, Givaudan oder Clariant sind durch weltweite Produktionsnetze gegen Währungsverluste abgesichert. Dazu kommt, dass die Pharmabranche ohnehin den Währungsrisiken nur bedingt ausgesetzt ist, da hier die Preise zu einem grossen Teil stark reguliert sind.
Am meisten leiden derzeit wohl tatsächlich die Maschinen-, Elektro- und Metallfirmen. Ein Grossteil von ihnen erzielt die Erträge im schwachen Euro, muss die Löhne aber im starken Franken zahlen. Aus praktisch demselben Grund sei auch der Schweizer Tourismus vom starken Franken besonders betroffen.
Keine rasche Besserung
Auf eine rasche Besserung der Währungssituation zu hoffen, ist derzeit kaum realistisch. Bis Ende Jahr könne sich die Situation etwas beruhigen, sagt Marmet. In Zukunft müsse die Schweiz aber wohl mit einem noch stärkeren Franken als heute leben. Für das nächste Jahr geht er von etwa 1.25 Franken aus. Nach Berechnungen der ZKB beträgt der faire, der Kaufkraft entsprechende Wert des Euro derzeit 1.33 Franken. Aber auch dieser faire Wert werde weiter sinken, solange die Teuerung in den Euro-Ländern höher ist als in der Schweiz.Sollte sich die Euro-Krise weiter zuspitzen, schliesst Marmet nicht aus, dass Euro und Franken dereinst zum selben Preis gehandelt werden. Die Folgen einer solchen Parität sind noch kaum abzuschätzen. Plötzliche Kipp-Effekte sind nicht auszuschliessen. «Das ist kein linearer Prozess», hält der ZKB-Experte fest.
Tempo entscheidend
In der Vergangenheit wurden zahlreiche «Schmerzschwellen» des Euro-Kurses für die Schweizer Wirtschaft definiert. Einst waren es sogar 1.50 Franken. Diese Schwellen wurden laufend nach unten angepasst, ohne dass die Schmerzen ein alarmierendes Mass erreichten.Nach Ansicht Marmets ist es nicht sinnvoll, von einer Schmerzschwelle zu sprechen. «Viel entscheidender ist das Tempo der Wechselkursschwankungen», betont er. Das Tempo der Währungseffekte sei derzeit ausserordentlich hoch. Er wies darauf hin, dass der Franken noch 2006 stark unterbewertet war. Entscheidend sei, dass die Firmen genügend Zeit hätten, um sich auf die Veränderungen einzustellen.
Das Paradox der trotz starkem Franken erfolgreichen Schweizer Wirtschaft ist erstaunlich. Noch vor wenigen Jahren wäre ein Eurokurs von 1.20 Franken als Horrorszenario bezeichnet worden. Jetzt sind wir so weit und die Katastrophe ist ausgeblieben. Allerdings schliesst der Rückblick auf die Vergangenheit nicht aus, dass die Schweizer Wirtschaft die Verteuerung ihrer Produkte nicht doch noch hart zu spüren bekommt. So ist es kaum falsch, wenn sich Firmen, Verbände und Politik Gedanken zu möglichen Gegenmassnahmen machen – auch wenn es dazu keine Wunderwaffen gibt.
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