2012-07-06

Das Recht geht nicht vom Volk aus, sondern von der Alternativenlosigkeit


Die Geschichte der Eurorettung gleicht einer langen Kette gebrochener Versprechen. Die politische Kreditwürdigkeit der Regierenden ist kleiner als jene Griechenlands.

Hätten die Österreicher vor der Volksabstimmung über den EU-Beitritt 1995 gewusst, dass ihnen dieses Votum – neben zahllosen günstigen Auswirkungen – im Jahr 2012 plötzlich via Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) Haftungen für spanische Banken und andere Pleitekandidaten im südlichen Europa in Höhe von knapp 300 Milliarden Schilling in damaliger Währung aufhalsen wird, so wäre Österreich vermutlich heute noch nicht Mitglied der Europäischen Union. Denn der ESM ist so ziemlich genau das inhaltliche Gegenteil der damaligen politischen Eide, nie und nimmer für die Verbindlichkeiten anderer EU-Partner haften zu müssen, mit denen damals die Euro-Skeptiker sediert worden sind.
Ob die Einwendung der Regierung und der ihres grünen Wurmfortsatzes, die Alternative zum Bruch dieses politischen Versprechens sei ein apokalyptischer Zusammenbruch der ganzen Eurozone samt anschließendem Ausbruch mittelalterlicher Zustände, zutrifft oder nicht, werden wir naturgemäß nie erfahren. Die Behauptung, es habe überhaupt keine Alternative zum ESM gegeben, stimmt so jedenfalls nicht. (Der finnische Vorschlag, die Schuldenkrisenländer hätten durch Ausgabe von Anleihen, die durch Vermögenswerte gedeckt sind, ebenfalls den erwünschten Effekt sinkender Zinsen erreichen können, hat viel für sich).
Es sind aber letzten Endes weniger ökonomische Gründe, die ziemlich viele Menschen ziemlich skeptisch gegenüber den nun beschlossenen Milliardenhaftungen stimmen. Viel mehr dürfte sie stören, und das ist durchaus nachvollziehbar, dass die ganze Geschichte der Eurorettung mittlerweile eine täglich länger werdende Kette gebrochener Versprechen darstellt; stets argumentiert mit dem unbeweisbaren wie unwiderlegbaren Verweis auf die vermeintliche Alternativenlosigkeit.
Das Recht, sagt die Verfassung bekanntlich, „geht vom Volk aus“. Bloß: Das Volk hat sich nie, weder direkt noch indirekt, für die Entwicklung der Europäischen Union zu einer Haftungsunion aller für alle ausgesprochen; und deswegen murrt das Volk recht hörbar. Deswegen wächst auch die weit verbreitete Angst, der ESM könne sich am Ende tatsächlich zu einem Fass ohne Boden weit jenseits der vertraglich vereinbarten 19 Milliarden Euro Österreich-Anteil entwickeln, natürlich immer aus Gründen der Alternativenlosigkeit.
Denn zwar ist im Vertragstext klipp und klar festgeschrieben, dass die Haftung „unter keinen Umständen“ höher werden kann (außer natürlich, Österreich stimmt zu). Nur hat sich halt blöderweise in den vergangenen Jahren der Eurorettung herausgestellt, dass „unter keinen Umständen“ in diesem Kontext ins Deutsche übersetzt heißt: unter keinen Umständen, außer jenen, die den Bruch dieser Zusage leider, leider als alternativenlos erscheinen lassen. Das war bei der No-Bail-out-Klausel so, beim Verbot der Staatsfinanzierung durch die EZB und bei der Zusicherung, die Griechenland-Hilfe werde ein Supergeschäft – die Liste ist nahezu beliebig verlängerbar.
Einen Grund anzunehmen, warum „unter keinen Umständen“ diesmal wirklich „unter keinen Umständen“ heißen soll, gibt es nicht. Der in solchen Fällen an sich angebrachte Vertrauensvorschuss ist nicht nur aufgebraucht, sondern schon längst überzogen. Vertrauensmäßig ist die Regierung ungefähr so pleite wie Lehman Brothers.

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