Herr Professor Schachtschneider, warum spricht man in der Bundesregierung in Sachen Euro-Krise plötzlich von Volksabstimmung?
Schachtschneider: Der Regierung ist klar
gemacht geworden, vielleicht durch einen dezenten Hinweis aus Kreisen
des Bundesverfassungsgerichts, daß durch die weiteren Schritte der
europäischen Integration, die aus Brüssel vorgeschlagen werden, nämlich
die Bankenunion, die Schuldenunion, Eurobonds und die gemeinschaftliche
Einlagensicherung der Banken die Grenze zum europäischen Bundesstaat
endgültig überschritten wird.
Das setzt eine neue Verfassung der Deutschen voraus,
die eines Verfassungsreferendums nach Artikel 146 Grundgesetz bedarf.
Das steht im Lissabon-Urteil. Schon die Verträge, die am Freitag
verabschiedet werden sollen, der ESM, der Fiskalpakt, der neue Artikel
136 Absatz 3 über die Arbeitsweise der EU gehen weit über die Grenze der
Souveränität hinaus.
Grundgesetz steht der Politik im Weg
Bisher hat die Politik Volksabstimmungen zu Euro- und EU-Fragen doch stets vermieden.
Schachtschneider: So ist es, und aus den
Andeutungen ergibt sich noch keinesfalls der ernsthafte Wille, das
Referendum einzuführen. Die SPD hat schon deutlich gemacht, daß das
längerer Vorbereitung bedürfe und die Eurorettungspolitik für den
Einstig in den Volksentscheid auf Bundesebene wenig geeignet sei.
Zielführend ist allein der Zwang des Bundesverfassungsgerichts.
Heißt das, der Politik steht das Grundgesetz inzwischen im Weg?
Schachtschneider: Ja, und zwar schon lange.
Die Europolitik hat sich bislang vom Grundgesetz nicht stören lassen.
Aber auch die Unionsverträge werden mißachtet. Der Rechtsschutz ist
minimal. Das mißbraucht die Politik.
Die Union darf nicht zum Bundesstaat werden
Was ist denn der „Knackpunkt“ in unserem Grundgesetz, der eine Volksabstimmung nötig macht?
Schachtschneider: Die Souveränität, die nur
eine begrenzte Übertragung von Hoheitsrechten zuläßt. Die Union darf
nicht zum Bundesstaat werden, auch nicht nur funktional.
Was wäre, wenn eine solche Volksabstimmung tatsächlich pro Aufhebung des Grundgesetzes ausginge, was kommt dann?
Schachtschneider: Wir stehen vor einer
historischen Weichenstellung. Deutschland würde dann ein Gliedstaat im
EU-Unionsbundesstaat und müßte seine Gliedstaatsverfassung der
Unionsverfassung anpassen. Diese wäre im Zweifel ein weiterer
Rückschritt an freiheitlicher Kultur. Die Kräfte, die Einfluß auf die
Politik haben, sind bekannt.
Das Grundprinzip würde der moralistische
Egalitarismus mit allen seinen Schrecknissen. Die europäischen
Nationalstaaten würden ihr Ende finden, insbesondere wäre das „Problem
Deutschland“ bewältigt. Aber die Deutschen würden in einer Welt
aufwachen, die ihnen wenig Freude machen wird.
Der begrenzte Wohlstand wäre dahin
Warum?
Schachtschneider: Der durchaus begrenzte Wohlstand wäre allemal dahin. Letztlich wird ein Großstaat Europa sozialistisch sein.
Was, wenn die Abstimmung scheitern würde und die
Deutschen beim Grundgesetz bleiben wollen? Ist die Sache dann vom Tisch
oder würde so lange abgestimmt, bis das „richtige“ Ergebnis herauskommt,
wie man es etwa mit der EU-Verfassung, die heute Lissabon-Vertrag
heißt, gemacht hat?
Schachtschneider: Es ginge vordergründig um
den Euro. Die Versuche, diesen zu retten, wären gescheitert. Es würden
die nationalen Währungen wiederbelebt. Ökonomisch wäre das für alle
Mitgliedstaaten vernünftig. Die Union würde daran nicht zerbrechen.
Die Versuche, das alte Ziel der Vereinigten Staaten
von Europa zu erreichen, würden in andere Weise fortgesetzt werden. Das
zeigt das Beispiel der Schweiz. Die Bürokratie gibt nicht auf. Sie lebt
davon und weitet sich stetig aus. Die Brüsseler Bürokratie muß aufgelöst
werden. Aber auf lange Zeit wäre das Abenteuer einer einheitlichen
Währung unterbrochen und vorerst das größte Unglück abgewendet.
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Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider,
Jahrgang 1940, leitete den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der
Universität Erlangen-Nürnberg und ist einer der prominentesten
EU-Kritiker Deutschlands. Er formulierte eine Vielzahl von
Verfassungsklagen, darunter gegen den Vertrag von Maastricht, die
EU-Verfassung, die Euro-Einführung und die Griechenlandhilfen. Auch
gegen den ESM-Vertrag will der Jurist vor das Bundesverfassungsgericht
ziehen.
Quelle: Junge Freiheit
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