aus Zeit-Fragen Nr. 20/21 v. 12.6.2013
von Jochen Scholz
Im Berliner Hotel Interconti traf man am 14. April
auf der Gründungsversammlung der Alternative für Deutschland (AfD) neben
vielen Mittvierzigern, die bisher auf regionaler und kommunaler Ebene
bei CDU, FDP oder auch SPD politisch aktiv waren, den früheren
Präsidenten des Bundesverbands der deutschen Industrie, Hans Olaf
Henkel, hauptsächlich bekannt als sozialpolitischer Scharfmacher. Auch
die gewählte Führungsmannschaft der neuen Partei ist ideologisch und
konzeptionell im Umfeld der «Initiative neue Soziale Marktwirtschaft» zu
verorten, wo man entschlossen ist, dem Sozialstaatsprinzip des
Grundgesetzes den Garaus zu machen. Doch für dieses Vorhaben bedarf es
keiner Währungsreform. Das Motiv der Parteigründer war zweifellos die
Sorge um ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Euro-Zone, falls
die bisherige Rettungspolitik fortgesetzt würde. Sie befürchten, dass
sich Deutschland an den Verpflichtungen zur Stabilisierung der Euro-Zone
überheben könnte.
Ihr Verdienst ist es, schon seit Mitte 2012 unter dem Label «Wahlalternative für 2013» eine Debatte über die angeblich alternativlose Euro-Rettungspolitik der Troika aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds angestossen zu haben, der sich auch die hinter der Troika stehenden Parteien in Deutschland nicht mehr entziehen können. An Schwung gewinnt diese Debatte durch die sich permanent verschlechternden Wirtschaftsdaten der Euro-Länder, deren gesellschaftlicher Zusammenhalt infolge dieser Politik auf dem Spiel steht.
Jetzt findet auch der einsame Rufer in der Euro-Wüste, Wilhelm Hankel, der nicht der AfD angehört, wieder mehr mediale Aufmerksamkeit. Schon bei seiner ersten, gescheiterten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Währungsunion hatte er vor den Folgen gewarnt, die eine zentrale Geldpolitik für völlig heterogene Volkswirtschaften zeitigen würde. Seine Prognosen sind inzwischen von der Realität weit überholt worden. Die 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien oder die 62 Prozent in Griechenland mögen hier als Beispiele genügen. Der Sozialdemokrat alten Schlages, wie es ihn in der SPD nicht mehr gibt, hat nun vor wenigen Wochen das Konzept eines dualen Währungssystems vorgestellt, das den Spaltungsprozess in der Euro-Zone stoppen und gleichzeitig kohäsiv für die gesamte EU wirken könnte. Der Euro wird nicht aufgegeben, sondern fungiert als Referenzwährung für die nationalen Währungen und als paralleles Zahlungsmittel. Die Staaten erhalten die Fähigkeit zurück, die ihren Volkswirtschaften angemessene Geldpolitik selbst zu bestimmen und gegebenenfalls ihre Nachteile gegenüber Stärkeren durch Abwertungen auszugleichen.
Oskar Lafontaine hat mit seinem jüngsten Plädoyer für ein europäisches Währungssystem nicht nur die Nase im Wind, sondern trägt auch der Tatsache Rechnung, dass eine interne Abwertung in den Südländern (weitere massive Lohnkürzungen) unverantwortlich wäre und eine interne Aufwertung (deutliche Lohnerhöhungen, Erhöhung der Staatsausgaben) in Deutschland politisch nicht durchsetzbar ist.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, bahnt sich auch in der Bundesregierung ein zaghaftes Umdenken an. Die Bundeskanzlerin ist nicht für unbedachte öffentliche Äusserungen bekannt. Im Vorfeld der jüngsten Senkung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank sagte sie beim Deutschen Sparkassentag: «Für Deutschland müsste die Europäische Zentralbank die Zinsen eigentlich erhöhen.» Eine richtige volkswirtschaftliche Erkenntnis, die sich jedoch wegen der zentralen Geldpolitik in der Währungsunion nicht umsetzen lässt. Auch die laue Reaktion des Bundesfinanzministers auf die Stellungnahme der Bundesbank für die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht Mitte Juni anlässlich der Klage gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gibt zu denken. Denn die Bundesbank rechnet in drastischen Worten mit der bisherigen Rettungspolitik ab.
Nach dem Fall der Mauer glaubten die europäischen Partner, mit der Währungsunion mittelfristig ein dominantes vereinigtes Deutschland einhegen und die geldpolitische Dominanz der Bundesbank brechen zu können. Mit diesem Irrglauben geriet die Europäische Union auf einen fatalen Irrweg. Der Euro erwies sich als ungeeignetes Mittel zu diesem strategischen Zweck. Dass es bei der Grundsatzentscheidung für die Einführung einer gemeinsamen Währung beim Strassburger EU-Gipfel am 8. Dezember 1989 um alles andere als sachliche ökonomische, sondern ausschliesslich um strategische Überlegungen ging, machte der Rückgriff des damaligen französischen Präsidenten Mitterand auf historische Muster von 1907 deutlich. Zu Bundesaussenminister Genscher sagte er für den Fall, dass Deutschland seinen Widerstand gegen die Währungsunion nicht aufgebe: «Stellen Sie sich auf die Einkreisung durch eine Tripelallianz aus Frankreich, Grossbritannien und der Sowjetunion ein.» (David Marsh, Friedrich Griese [Ü.], «Der Euro», S. 203). Da wusste Helmut Kohl, welchen Preis er für die Wiedervereinigung zu zahlen hatte.
Nachdem der Mitkläger Wilhelm Hankel nun rechtzeitig zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ein durchdachtes Konzept zur Stabilisierung der gesamten EU vorgelegt hat, sollte das Gericht seine bisherigen Befürchtungen ablegen, für das Scheitern des Euro verantwortlich gemacht zu werden. Der Euro würde auch scheitern, wenn das Gericht den Fall an den Europäischen Gerichtshof abgeben würde. Die Euro-Zone übersteht die dort übliche Verfahrensdauer von zwei Jahren nicht. Es spricht sich herum: Um sich von der Euro-Zone zu verabschieden, muss man kein Nationalist, kein Europa-Feind sein. •
Quelle: Ossietzky 11/2013
Mit freundlicher Genehmigung des Ossietzky-Verlages.
Ihr Verdienst ist es, schon seit Mitte 2012 unter dem Label «Wahlalternative für 2013» eine Debatte über die angeblich alternativlose Euro-Rettungspolitik der Troika aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds angestossen zu haben, der sich auch die hinter der Troika stehenden Parteien in Deutschland nicht mehr entziehen können. An Schwung gewinnt diese Debatte durch die sich permanent verschlechternden Wirtschaftsdaten der Euro-Länder, deren gesellschaftlicher Zusammenhalt infolge dieser Politik auf dem Spiel steht.
Jetzt findet auch der einsame Rufer in der Euro-Wüste, Wilhelm Hankel, der nicht der AfD angehört, wieder mehr mediale Aufmerksamkeit. Schon bei seiner ersten, gescheiterten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Währungsunion hatte er vor den Folgen gewarnt, die eine zentrale Geldpolitik für völlig heterogene Volkswirtschaften zeitigen würde. Seine Prognosen sind inzwischen von der Realität weit überholt worden. Die 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien oder die 62 Prozent in Griechenland mögen hier als Beispiele genügen. Der Sozialdemokrat alten Schlages, wie es ihn in der SPD nicht mehr gibt, hat nun vor wenigen Wochen das Konzept eines dualen Währungssystems vorgestellt, das den Spaltungsprozess in der Euro-Zone stoppen und gleichzeitig kohäsiv für die gesamte EU wirken könnte. Der Euro wird nicht aufgegeben, sondern fungiert als Referenzwährung für die nationalen Währungen und als paralleles Zahlungsmittel. Die Staaten erhalten die Fähigkeit zurück, die ihren Volkswirtschaften angemessene Geldpolitik selbst zu bestimmen und gegebenenfalls ihre Nachteile gegenüber Stärkeren durch Abwertungen auszugleichen.
Oskar Lafontaine hat mit seinem jüngsten Plädoyer für ein europäisches Währungssystem nicht nur die Nase im Wind, sondern trägt auch der Tatsache Rechnung, dass eine interne Abwertung in den Südländern (weitere massive Lohnkürzungen) unverantwortlich wäre und eine interne Aufwertung (deutliche Lohnerhöhungen, Erhöhung der Staatsausgaben) in Deutschland politisch nicht durchsetzbar ist.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, bahnt sich auch in der Bundesregierung ein zaghaftes Umdenken an. Die Bundeskanzlerin ist nicht für unbedachte öffentliche Äusserungen bekannt. Im Vorfeld der jüngsten Senkung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank sagte sie beim Deutschen Sparkassentag: «Für Deutschland müsste die Europäische Zentralbank die Zinsen eigentlich erhöhen.» Eine richtige volkswirtschaftliche Erkenntnis, die sich jedoch wegen der zentralen Geldpolitik in der Währungsunion nicht umsetzen lässt. Auch die laue Reaktion des Bundesfinanzministers auf die Stellungnahme der Bundesbank für die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht Mitte Juni anlässlich der Klage gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gibt zu denken. Denn die Bundesbank rechnet in drastischen Worten mit der bisherigen Rettungspolitik ab.
Nach dem Fall der Mauer glaubten die europäischen Partner, mit der Währungsunion mittelfristig ein dominantes vereinigtes Deutschland einhegen und die geldpolitische Dominanz der Bundesbank brechen zu können. Mit diesem Irrglauben geriet die Europäische Union auf einen fatalen Irrweg. Der Euro erwies sich als ungeeignetes Mittel zu diesem strategischen Zweck. Dass es bei der Grundsatzentscheidung für die Einführung einer gemeinsamen Währung beim Strassburger EU-Gipfel am 8. Dezember 1989 um alles andere als sachliche ökonomische, sondern ausschliesslich um strategische Überlegungen ging, machte der Rückgriff des damaligen französischen Präsidenten Mitterand auf historische Muster von 1907 deutlich. Zu Bundesaussenminister Genscher sagte er für den Fall, dass Deutschland seinen Widerstand gegen die Währungsunion nicht aufgebe: «Stellen Sie sich auf die Einkreisung durch eine Tripelallianz aus Frankreich, Grossbritannien und der Sowjetunion ein.» (David Marsh, Friedrich Griese [Ü.], «Der Euro», S. 203). Da wusste Helmut Kohl, welchen Preis er für die Wiedervereinigung zu zahlen hatte.
Nachdem der Mitkläger Wilhelm Hankel nun rechtzeitig zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ein durchdachtes Konzept zur Stabilisierung der gesamten EU vorgelegt hat, sollte das Gericht seine bisherigen Befürchtungen ablegen, für das Scheitern des Euro verantwortlich gemacht zu werden. Der Euro würde auch scheitern, wenn das Gericht den Fall an den Europäischen Gerichtshof abgeben würde. Die Euro-Zone übersteht die dort übliche Verfahrensdauer von zwei Jahren nicht. Es spricht sich herum: Um sich von der Euro-Zone zu verabschieden, muss man kein Nationalist, kein Europa-Feind sein. •
Quelle: Ossietzky 11/2013
Mit freundlicher Genehmigung des Ossietzky-Verlages.
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