2014-12-01

Warum geht es der Schweiz so gut?

Direkte Demokratie garantiert massvollen Umgang mit Steuergeldern

von Dr. iur. Marianne Wüthrich
Heute sind viele Staaten überschuldet und nicht imstande, ihren Haushalt in Ordnung zu bringen. Dass es der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern gut geht, stört offenbar manche Politiker und Journalisten im Ausland. Weil sie das Schweizer Staatsmodell nicht kennen, meinen sie, der Wohlstand der Schweiz habe seinen Ursprung vorwiegend im Finanzplatz. Das stimmt nicht.
Die Schweizer Wirtschaftskraft basiert vor allem auf den Kleinen und Mittleren Unternehmungen (KMU)
Der Wohlstand der Schweiz beruht nur zu einem kleinen Teil auf der Wertschöpfung der Banken.
So war vor einem halben Jahr, gestützt auf den Bankenbericht der Schweizerischen Nationalbank, in der Tagespresse zu lesen:
«Die Wertschöpfung der Schweizer Banken sinkt kontinuierlich: Ende 2012 betrug sie noch 35 Mrd. Franken, was einem Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) von knapp 6 Prozent entspricht.» (vgl. «20 Minuten» vom 17. Juni 2013)
Tatsächlich basiert die Schweizer Wirtschaftskraft in erster Linie auf den Kleinen und Mittleren Unternehmungen (KMU), die über 90 Prozent der Betriebe ausmachen.
Auch die meisten Schweizer Banken sind KMU.

Gründe der hohen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Schweiz

Die Gründe der hohen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Schweiz sind unter anderem gute Bildung und Leistungswille der Arbeitskräfte, Zuverlässigkeit der Betriebe und hohe Qualität der Produkte. Zwei besonders wichtige Faktoren kommen dazu:
–    Kleinräumige, dezentrale Wirtschaft: Analog zur föderalistischen Struktur der Schweiz sind auch die Unternehmungen nicht nur in den Städten zusammengeballt, sondern viele gute kleinere und mittlere Betriebe haben sich auf dem Land niedergelassen, die Firmenleitung ist in ihrer Gemeinde und ihrem Kanton verankert und fühlt sich mitverantwortlich für das Gedeihen des Standortes Schweiz.
–    Starkes duales Berufsbildungssystem: Über zwei Drittel der Schweizer Jugendlichen absolvieren eine Berufslehre. Fast alle KMU und alle Grossbetriebe bilden Lehrlinge aus. Das ist für sie ein selbstverständlicher Beitrag zur Wohlfahrt des Landes, gleichzeitig aber auch zur Heranbildung der jungen Generation zu verantwortungsbewussten Berufsleuten und zu Bürgern, die fähig und willens sind, ihren Platz im direktdemokratischen Gefüge einzunehmen.

Direkte Demokratie und Staatshaushalt

Warum hat die Schweiz so wenig Schulden?
Das direktdemokratische Staatsgefüge hat massgebenden Einfluss auf den finanziellen Zustand des Schweizer Staatswesens.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten hat die Schweiz einen relativ ausgeglichenen Staatshaushalt, und zwar im Bund, in den Kantonen und in den Gemeinden. Dafür sind insbesondere drei Faktoren verantwortlich:

1. Bürger entscheiden über die Staatsausgaben

Alle Kantone und Gemeinden kennen entweder das obligatorische oder das fakultative Finanzreferendum. Die Stimmbürger entscheiden also direkt über die Staatsausgaben. Wenn sie eine Ausgabe unnötig oder überrissen finden, stimmen sie Nein. Das kommt häufig vor. Als Beispiele werden hier die grösste Gemeinde der Schweiz, die Stadt Zürich, und der Kanton Zürich als einwohnerreichster Kanton ausgewählt sowie ein kleines Dorf im Kanton Schaffhausen.
–    Stadt Zürich, 400 000 Einwohner:
Obligatorisches Finanzreferendum
Gemeindeordnung Artikel 10: Der Abstimmung durch die Gemeinde [das heisst durch die Stimmbürger, d.V.] sind obligatorisch unterstellt: […]
d) einmalige Ausgaben für einen bestimmten Zweck von über 20 000 000 Franken oder jährlich wiederkehrende Ausgaben für einen bestimmten Zweck von über 1 000 000 Franken.
Beispiel: Gemeindeabstimmung vom 22. September 2013 über einen Kredit der Stadt von 216 Million Franken für den Bau eines Stadions, vom Volk mit 50,8% Nein gegen 49,2% knapp abgelehnt.
–    Kanton Zürich, 1,4 Mio Einwohner:
      Fakultatives Finanzreferendum
      Kantonsverfassung Artikel 33: Dem Volk werden auf Verlangen zur Abstimmung          unterbreitet:
      d. Beschlüsse des Kantonsrates über:
      1. neue einmalige Ausgaben von mehr als 6 Millionen Franken,
      2. neue wiederkehrende Ausgaben von jährlich mehr als 600 000 Franken
      Das fakultative Referendum kann im Kanton Zürich mit der geringen Zahl von
      3 000 Unterschriften ergriffen werden (KV Art. 33).
–    Gemeinde Büttenhardt SH, 354 Einwohner:
      Gemeindeversammlung
      Der Gemeindeversammlung kommen [neben vielen anderen, d.V.] folgende   
      Geschäfte zu:
    - Beschluss über die Bewilligung von neuen einmaligen Ausgaben über 20 000  
      Franken
    - Beschluss über die Bewilligung jährlich wiederkehrender Ausgaben über 5 000
      Franken.
    - Bewilligung zum Erwerb, Tausch oder Verkauf von Grundstücken oder Einräumung eines Baurechts über 30 000 Franken.
In Gemeinden mit Gemeindeversammlung stimmen die Bürger zudem jedes Jahr über den Voranschlag ab. Sie können Ausgaben­posten streichen, so zum Beispiel die Gemeinde Büttenhardt (neben vielen anderen Gemeinden) am 29. November 2012 den Beitrag von 1 100 Franken an den geplanten Naturpark Schaffhausen.
2. Bürger entscheiden über die Steuern
In Bund, Kantonen und Gemeinden entscheiden die Stimmbürger über die Einführung neuer Steuern oder über die Erhöhung oder Herabsetzung bestehender Steuern.
–    Beispiel Bund: Eidgenössische Volksabstimmung vom 27. September 2009 über die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der Invalidenversicherung
    Volk und Stände stimmten einer befristeten Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7,6 auf 8% zu.
–    Beispiel Kanton Zürich:
Obligatorische Abstimmung über Steuern
    Artikel 32 der Kantonsverfassung: Dem Volk werden zur Abstimmung unterbreitet: […] f. Steuergesetze […] und ihre Änderungen, die neue Steuern einführen oder für die Einzelnen höhere Steuerbelastungen zur Folge haben.
–    Beispiel Gemeinde Büttenhardt:
    Alljährliche Abstimmung der Gemeindeversammlung über den Gemeindesteuerfuss.
    Wenn ein neues Schulhaus gebaut werden muss, setzen die Bürger den Steuerfuss hinauf oder sie sanieren das bestehende Schulhaus – so einfach ist das.
Folge des direkten Entscheidungsrechts der Bürger, vor allem in den Gemeinden: Die Schweizer Gemeinden schreiben mehrheitlich schwarze Zahlen.

3. Schuldenbremse

Die Stimmbürger im Bund und in den meisten Kantonen sowie in vielen Städten haben in Volksabstimmungen eine sogenannte Schuldenbremse eingeführt.
«Entgegen dem weltweiten Trend hat der Schweizer Staat in der jüngeren Vergangenheit Schulden abgebaut. Bis zum Jahr 2016 könnte die Staatsschuldenquote (Bund, Kantone, Gemeinden und Sozialversicherungen) auf unter 30% sinken, während vielerorts Werte von 100% und mehr verzeichnet werden. Ein grosses Verdienst kommt dabei der 2003 eingeführten Schuldenbremse zu.» (vgl. «Neue Zürcher Zeitung» vom 15.11.2012)
–    Schuldenbremse im Bund:
    Bundesverfassung Art. 126 Haushaltführung
    1    Der Bund hält seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht.
    2    Der Höchstbetrag der im Voranschlag zu bewilligenden Gesamtausgaben richtet sich unter Berücksichtigung der Wirtschaftslage nach den geschätzten Einnahmen.
    3    Bei ausserordentlichem Zahlungsbedarf kann der Höchstbetrag nach Absatz 2 angemessen erhöht werden. Über eine Erhöhung beschliesst die Bundesversammlung nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe c.
    4    Überschreiten die in der Staatsrechnung ausgewiesenen Gesamtausgaben den Höchstbetrag nach Absatz 2 oder 3, so sind die Mehrausgaben in den Folgejahren zu kompensieren.

–    Schuldenbremsen in den Kantonen
    Die Kantone haben vielfältige Regelungen getroffen. Appenzell Innerrhoden zum Beispiel hat keine Schuldenbremse, denn die Appenzeller haushalten auch ohne eine solche sehr sparsam.
Zwei Beispiele:
    Im Kanton Luzern darf die laufende Rechnung gemäss Kantonsverfassung kein Defizit aufweisen. Allfällige Defizite sind innert vier bis acht Jahren abzutragen, wobei die Konjunkturlage zu berücksichtigen ist.
    Im Kanton St. Gallen wird ein Ausgleich der laufenden Rechnung angestrebt. Übersteigen die Ausgaben die Budgetlimite, ist eine Steuererhöhung vorgeschrieben.1

Fazit

Der gute Zustand des Schweizer Staatshaushaltes ist die Folge der direkten Demokratie und deren sorgsamer Ausübung durch die Stimmbevölkerung in Bund, Kantonen und Gemeinden.
Jeder Bürger in der Schweiz oder im Ausland ist aufgerufen, herumspukende Irrtümer über den Ursprung des wohlbestellten Schweizer Haushaltes zu korrigieren.    •
1     Quelle: Fiskalische Budgetbeschränkungen zur Stabilisierung öffentlicher Haushalte, in: Die Volkswirtschaft. Das Magazin für Wirtschafts­politik 2-2004, von Dr. Christoph A. Schaltegger, Wirtschaftspolitischer Berater in der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV), Bern

Erziehung zum Staatsbürger als unabdingbare Grundlage der direkten Demokratie

An der Gemeindeversammlung der Gemeinde Büttenhardt begrüsst die Gemeindepräsidentin die drei Jungbürger, die in diesem Jahr 18 Jahre alt geworden sind und damit neu das Stimm- und Wahlrecht besitzen. Ihre Worte bringen zum Ausdruck, was Erziehung zum Staatsbürger ausmacht.
N.G., F.M. und S.R. können als Stimmbürgerinnen und Stimmbürger offiziell aufgenommen werden.
Die gemeinsame Jungbürgerfeier der Gemeinden Lohn, Stetten und Büttenhardt fand traditionsgemäss bereits im Sommer auf dem Schiff statt. Die Vorsitzende weist die Jungbürger darauf hin, dass sie mit der Volljährigkeit einerseits viele Rechte, aber andererseits auch viele Pflichten erhalten hätten. So werde im Beruf oder in der Schule viel Wille und Ausdauer verlangt. Die Ideen und Ansichten der jüngsten Stimmberechtigten seien sehr wertvoll, und es wäre schön, wenn sich auch Jungbürgerinnen und Jungbürger aktiv mitbestimmen oder sich für Funktionen in der Gemeinde zur Verfügung stellen würden.
Die Gemeindepräsidentin wünscht den Jungbürgern viel Kraft, Glück und gute Gesundheit. Die Versammlung nimmt die Jungbürger mit Akklamation in ihre Reihen auf.
Quelle: Protokoll der Gemeindeversammlung von Büttenhardt vom 29. November 2012

(Quelle: Zeit-Fragen Nr. 1/2014)

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