Der Verfassungsgerichtshof Österreich ist abermals aufgefordert den Österreicherinnen und Österreichern Rechtschutz zu geben.
Auszüge:
(...)Abschluss und Inhalt des ESMV erscheinen ferner unsachlich, weil sie der Staatszielbestimmung des Art. 13 Abs. 2 B-VG, einen nachhaltig geordneten Haushalt anzustreben, sowie Art. 126 Abs. 1 AEUV und Art. 1 des Protokolls (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (sog. „Maastrichtkriterien“) zuwiderlaufen. Ferner wird – schon mangels volkswirtschaftlicher Grundlagenforschung (siehe oben) – dem Gebot der sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltungsführung (Art. 126b Abs 5 B-VG) nicht hinreichend Rechnung getragen. Österreichs Schuldenstand liegt mit 74,2 % des BIP deutlich über dem höchstzulässigen Schuldenstand von 60 % des BIP. Mit der Teilnahme am ESM und der Erfüllung der Verpflichtungen nach Art. 8 Abs. 4 ESMV entfernt sich Österreich noch erheblich weiter von der Grenze unionsrechtlich zulässiger Staatsverschuldung und von der verfassungsrechtlichen Zielsetzung eines nachhaltig geordneten Haushalts (...)
(...)Gegen die Sachlichkeit der Regelungen des ESMV spricht ferner der Umstand, dass Österreich als „Hochsteuerland“, dessen Abgabenquote rund 42 % (2011) beträgt, an einem Finanzhilfsinstrumentarium für Staaten teilnimmt, die zumindest teilweise eine erheblich niedrigere Abgabenquote bzw. eine weniger effektive Finanzverwaltung aufweisen (wie dies etwa im Falle Griechenlands notorisch ist; vgl. etwa Knopp, NVwZ 2011, 1481). So liegen die Abgabenquoten dringender Kandidaten für ESM-Hilfen deutlich niedriger als jene Österreichs (Quelle: http://wko.at/statistik/Extranet/bench/abgab.pdf [unter Berufung auf die EU-Kommission] für 2011): Griechenland 31,6 %, Irland 28,9 %, Portugal 33,2 %, Spanien 31,1 % und Zypern 36,2 %. Mithin läuft der ESMV für die Republik Österreich letztlich darauf hinaus, mittels nationaler Abgabenerträge die Stabilitätshilfe von ESM-Mitgliedern zu finanzieren, die über eine deutlich niedrigere Abgabenquote bzw. über geringere Steuermoral verfügen (...)
(...)Schließlich ist zu bedenken, dass sich der österreichische Bundesgesetzgeber – im Gefolge des Verlustes des AAA-Ratings der Ratingagentur Standard & Poor´s – gerade erst im Frühjahr 2012 zu einem weitreichenden „Konsolidierungspaket 2012 – 2016“ (Steuererhöhungen und Einsparungen, einschließlich der Reduktion der staatlichen Bausparförderung; vgl. 1. Stabilitätsgesetz 2012, BGBl. I Nr. 22/2012, 2. Stabilitätsgesetz 2012, BGBl. Nr. I 35/2012) veranlasst gesehen hat. Dieses „Sparpaket“ umfasst – gerechnet auf vier Jahre – ein Volumen von rund 26 Mrd. Euro. Nur wenige Monate später geht jedoch die Republik Österreich mit der Ratifikation des ESMV eine Haftungsverpflichtung in der Höhe von ca. 19,5 Mrd. Euro ein. Das skizzierte zeitliche Naheverhältnis zwischen dem „Konsolidierungspaket 2012 – 2016“, dem Verlust des AAA-Ratings sowie der Ratifikation des ESMV legen nahe, dass die Teilnahme am ESM erhebliche Gegensteuerungs-maßnahmen erforderlich gemacht hat. Da sich nach dem Motivenbericht zu Art. 13 Abs. 2 B-VG (RV 203 BlgStenProtNR XXIII. GP, S. 5) die Staatszielbestimmung zu nachhaltig geordneten Haushalten gerade auf eine Haushaltsführung richtet, „die mittel- bis langfristig ohne erhebliche Gegensteuerungsmaßnahmen aufrecht erhaltbar ist“, wird evident, dass das Eingehen der Verpflichtungen des ESMV der Verfassungsvorgabe eines nachhaltig geordneten Haushaltes widerspricht (...)
(...)Bedenken im Hinblick auf die Übertragung von Hoheitsrechten
Insbesondere folgende Hoheitsrechte werden durch den ESVM an internationale Organe übertragen:
• der Abruf von genehmigtem, nicht eingezahltem Stammkapital gemäß Art. 9 Abs. 1 bis 3 ESMV (zur Sanktionierung siehe Art. 4 Abs. 8 ESMV);
• die Erhöhung des genehmigten Stammkapitals gemäß Art. 10 ESMV und die damit verbundene Änderung von Art. 8 und Anhang II ESMV;
• Delegation von Aufgaben an die Europäische Kommission im Benehmen mit der EZB (Art. 13 Abs. 1 und 3 ESMV);
• Dispositionen über die ebenfalls durch die Republik Österreich zur Verfügung gestellten Kapitalanteile (passim; siehe insbesondere Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 ff ESMV);
• Erlassung von Leitlinien für Modalitäten der einzelnen Finanzhilfefazilitäten (siehe die Art. 14 Abs. 4, 15 Abs. 4, 16 Abs. 4, 17 Abs. 4 und 18 Abs. 5 ESMV);
• Änderung der Liste der Finanzhilfeinstrumente nach den Art. 14 bis 18 ESMV (Ergänzung um nicht näher determinierte, weitere Instrumente) durch Beschluss des Gouverneursrats (siehe Art. 19 ESMV);
• Überwachung der Einhaltung der Auflagen, die bei Gewährung der Finanzhilfefazilität auferlegt wurden (siehe Art. 13 Abs. 7 ESMV);
• der jederzeit mögliche und verbindliche revidierte erhöhte Kapitalabruf gemäß Art. 25 Abs. 2 ESMV;
• die Entscheidung über alle Auslegungs- und Streitfragen aus dem völkerrechtlichen Vertragsverhältnis. Hiebei sind (außerösterreichischen) zwischenstaatlichen Einrichtungen folgende Befugnisse übertragen:
o Alle Fragen der Auslegung und Anwendung des ESMV und der ESM-Satzung zwischen Österreich und dem ESM oder zwischen ESM-Mitgliedern werden dem Direktorium des ESM vorgelegt (Art. 37 Abs. 1).
o Über Streitigkeiten betreffend die Auslegung und Anwendung des ESMV zwischen Österreich und dem ESM und/oder weiteren ESM-Mitgliedern entscheidet der Gouverneursrat (Art. 37 Abs. 2); dies gilt gleichfalls für Streitigkeiten darüber, ob Beschlüsse von ESM-Organen mit dem ESMV vereinbar sind. Wenn solche Entscheidungen Österreich betreffen, käme Österreich im Gouverneursrat kein Stimmrecht zu (Art. 37 Abs. 2 letzter Satz ESMV).
o Über die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen des Gouverneursrats urteilt der EuGH endgültig und für die Streitparteien „verbindlich“ mit Folgeleistungspflicht (Art. 37 Abs. 3 ESMV).
Die Auslegungs- und Streitbeilegungsregelungen erfassen zentrale Fragen des ESMV, wie beispielsweise die Nachschusspflicht bei Zahlungsunfähigkeit einzelner Mitglieder (Art. 25 Abs. 2 ESMV) oder die Änderung (Ausweitung) der Finanzhilfeinstrumente des ESM (Art. 19 ESMV).
Mit der dargestellten Übertragung einer Vielzahl von Hoheitsrechten an internationale Organe wird das Maß „einzelner“ übertragbarer Hoheitsrechte im Sinne des Art. 9 Abs. 2 B-VG erheblich überschritten. Die Übertragung von Hoheitsrechten fällt umso mehr ins Gewicht, als der ESMV einerseits ein Austritts- oder Kündigungsrecht nicht vorsieht und andererseits einzelne der an die ESM-Organe erteilten Ermächtigungen einer inhaltlichen Determinierung entbehren und damit auf eine formalgesetzliche Delegation hinauslaufen (siehe die Eventualanträge zu Art. 8 Abs. 2 letzter Satz und Art. 19 ESMV). Der ESMV erscheint daher auch im Licht des Art. 9 Abs. 2 B-VG – und zwar mangels Herauslösbarkeit: in seiner Gesamtheit – verfassungswidrig.
Die Möglichkeit, dass die Republik Österreich im Fall eines Kapitalabrufs nach Art. 9 Abs. 2 oder 3 ESMV unter Umständen auch gegen ihren Willen zur Einzahlung verhalten wäre, kann dazu führen, dass die Mitwirkungsbefugnis des Nationalrates in Angelegenheiten des ESM nach Art. 50a und Art. 50b Z 2 B-VG leer läuft (...)
gesamte Klage hier>>
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