2015-01-17

Die Personenfreizügigkeit der EU ist kein humanitäres Projekt

Ein Beitrag zur Diskussion über die Abstimmung vom 9. Februar 2014

von Dieter Sprock
Mit dem Ja zur Volksinitiative gegen die Masseneinwanderung haben die Stimmbürger ihrem Willen Ausdruck verliehen, dass sie die Einwanderung in die Schweiz wieder selber bestimmen und regulieren wollen. Nicht mehr und nicht weniger! Es bedarf keiner grossen Anstrengung, um zu verstehen, dass eine Zuwanderung von jährlich Hunderttausend für ein kleines Land wie die Schweiz mit acht Millionen Einwohnern schwer zu verkraften ist. Deutschland, mit seinen achtzig Millionen Einwohnern, müsste vergleichsweise eine Millionen Zuwanderer aufnehmen, kommt aber mit den heute real Vierhunderttausend bereits an seine Grenzen. Und in anderen umliegenden Ländern der EU stellen sich ähnliche Probleme.
Die Abstimmung gegen die Masseneinwanderung wurde deshalb auch in den EU-Ländern mit grossem Interesse verfolgt, und es ist davon auszugehen, dass die Zustimmung dort noch höher ausgefallen wäre, wenn die Bürger die Möglichkeit gehabt hätten, über diese Frage abzustimmen.
Die Abstimmung war im Februar letzten Jahres. Seither ist kaum ein Tag vergangen, an dem das Ja der Schweizer Stimmbürger nicht in irgendeinem der grossen Leitmedien im In- und Ausland zum Thema gemacht worden wäre, häufig in Verbindung mit den bilateralen Verträgen und der Personenfreizügigkeit. Dabei kommt es zu wüsten Beschimpfungen und absurden Unterstellungen. Die Ja-Stimmer, und das ist immerhin die Mehrheit, werden in die rechte Ecke gestellt und als rechtsextrem, fremdenfeindlich oder gar rassistisch beschimpft, und unser Land wird als isolationistisch und menschenfeindlich dargestellt.
Die Personenfreizügigkeit ist aber kein humanitäres Projekt. Sie gehört wie die Kapitalverkehrsfreiheit und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr zu den «vier Grundfreiheiten» des EU-Binnenmarktes. Alle vier «Freiheiten», die in Wirklichkeit ein Diktat der Finanzwelt sind, dienen vor allem der Verwirklichung eines schrankenlosen Binnenmarktes innerhalb der EU und nicht der Anhebung des Freiheitsniveaus der einzelnen Bürger. Im Gegenteil, sie schränken die Möglichkeiten der Bürger, die Politik und Ausgestaltung der Wirtschaft im eigenen Land zu bestimmen, stark ein und führen so zu einem massiven Abbau an Demokratie. Dies gilt auch für die Schweiz, die sich durch bilaterale Verträge die Teilnahme am europäischen Binnenmarkt erkauft hat.

Folgen der Personenfreizügigkeit

In den wirtschaftlich schwachen Ländern führt die Personenfreizügigkeit zu einer Abwanderung der stärksten und am besten ausgebildeten Kräfte, die dann beim Aufbau einer eigenen Wirtschaft und Infrastruktur ihres Landes fehlen. Und umgekehrt können in den reicheren Ländern die Löhne gedrückt werden, da man geradezu unbegrenzt auf neue Arbeitskräfte zurückgreifen kann. Wie sich heute zeigt, hat diese Entwicklung dazu geführt, dass die Ausbildung in einigen Ländern sträflich vernachlässigt wurde. Ein Teufelskreis, aus dem sich ohne Änderungen des Systems kaum ein Ausweg finden wird.
Die EU allerdings beharrt nach dem Schweizer Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative auf der Einhaltung der Personenfreizügigkeit, obwohl oder vielleicht gerade weil sich bereits mehrere EU-Länder nicht mehr daran halten wollen. Sie will mit ihrer sturen Haltung gegenüber der Schweiz offenbar ein Exempel statuieren, um das Prinzip der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU aufrechtzuerhalten.

Fragen an Linke und Grüne

Wenn sich manche Vertreter der Finanz- und Wirtschaftswelt für den Erhalt der Personenfreizügigkeit einsetzen, kann man das noch verstehen, schliesslich geht es um Geld, um viel Geld und Macht. Wenn jedoch Linke und Grüne sich für die Personenfreizügigkeit stark machen, so wirft das allerdings einige Fragen auf, denn schliess­lich nehmen sie doch für sich in Anspruch, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten.
Es ist wohl unbestritten, dass sich in diesem System, in welchem die Personenfreizügigkeit ein wichtiger Baustein ist, die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter öffnet. So gesehen müsste die Initiative zum Stopp der Masseneinwanderung eigentlich von Linken und Grünen kommen. Warum dieser Aufwand gegen die Interessen der eigenen Wählerschaft?    •

Quelle: Zeit-Fragen








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