von Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
A Austrittsrecht
i Europäische Union
Bis zum Maastricht-Urteil vom 12.
Oktober 1993, das ich namens Manfred Brunners erstritten habe, wurde das Austrittsrecht aus der
Europäischen Gemeinschaft abgelehnt. Die Integration galt als unumkehrbar. Das Bundesverfassungsgericht hat das Austrittsrecht klargestellt. Es beruht auf dem
völkerrechtlichen Grundsatz der
ständigen Freiwilligkeit der
Mitgliedschaft in einer völkerrechtlichen Organisation (BVerfGE 89, 155 (190))1.
Das ist die Union, obwohl sie eine supranationale Vereinigung sui generis
sein will. Das deutsche höchste Gericht hat gegen den Europäischen Gerichtshof die Souveränität der Völker zur Geltung gebracht und im Austrittsrecht ein
unverzichtbares Prinzip der Souveränität erkannt. Nur die Völker unmittelbar können ihre Souveränität aufgeben und durch eine neue Verfassungsgebung ein
neues Volk und einen neuen Staat bilden, den Unionsstaat. Die Vertreter der Völker haben diese Befugnis nicht. Alle Völker, die diesen Schritt gehen
wollen, in Deutschland auch die
Völker der Länder, weil diese souverän sind, müßten dahingehende Volksentscheide beschließen und dann gemeinsam mit
den anderen Völkern das neue Verfassungsgesetz beschließen, das den Unionsstaat begründet. Das Bundesverfassungsgericht hat das endlich im Lissabon-Urteil, ebenfalls auf Grund meines Vortrages in
der Verfassungsbeschwerde namens
Peter Gauweiler, klargestellt. Es
spricht von der „umkehrbaren Selbstbindung“ durch die Mitgliedschaft.
Aber der
Lissabon-Vertrag hat das Austrittsrecht auch explizit im Art. 50 EUV
geregelt und nähere Verfahrensvorschriften getroffen. Diese dienen der
vertraglichen Auseinandersetzung, können aber den Austritt nicht
verhindern.
In Österreich war, der
Rechtserkenntnis des deutschen Verfassungsgerichts folgend, das Austrittsrecht von
den staatlichen Organen anerkannt und in einem Volksbegehren vom
Jahre 2000 zur Geltung gebracht. Darum geht es auch jetzt wieder, nachdem
der Verfassungsgerichtshof
2009 im Verfassungsprozeß auf Grund der Verfassungsklage
gegen den Vertrag von Lissabon und
mittelbar
gegen die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union, die ich verfaßt hatte, mit kurzer und
in keiner Weise überzeugender Begründung ein subjektives Recht der Verfassungskläger,
die Verletzung der
Bundes-Verfassungsgesetze durch den Vertrag und die Mitgliedschaft Österreichs
in der Europäischen Union zur Geltung
zu bringen2, zurückgewiesen
hat.
ii Währungsunion
Aber auch der
bloße Austritt aus der Währungsunion ist möglich. Eine Rückkehr
Österreichs zu einer eigenen Währung wäre rechtens. Das deutsche
Bundesverfassungsgericht hat wiederum bereits im Maastricht-Urteil vom 12.
Oktober 1993 ausgesprochen,
daß Deutschland ultima ratio auch die Währungsunion
verlassen könne, wenn diese keine Stabilitätsgemeinschaft zu sein
verspreche (BVerfGE 89, 155 (200 ff., 204))3. Das ist auch für
Österreich richtig, weil das Prinzip
wirtschaftlicher Stabilität höchsten Verfassungsrang aus dem
Sozialprinzip, das in Österreich als Verfassungsprinzip
anerkannt ist4, hat. Im übrigen stehen die Verträge
der Europäischen Union
völkerrechtlich und staatsrechtlich zur Disposition
der Mitgliedstaaten, weil ihre innerstaatliche Anwendbarkeit von den nationalen Rechtsanwendungsbefehlen in den
Zustimmungsgesetzen abhängt, die nicht nur
aufgehoben5, sondern auch geändert werden können, allemal
wenn die Vertragslage sich wesentlich
verändert hat (clausula rebus sic stantibus, Art. 62 WVRK) oder weil wesentliche Bestimmungen des
Vertrages verletzt worden sind (Art. 60 WVRK).
Die Lage des Euroverbundes hat sich allein schon durch die Eurorettungsmaßnahmen vor allem des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und
durch die Staatsfinanzierung durch das Europäische System der Zentralbanken
(ESZB), aber auch durch Hilfsmaßnahmen für
den Staatshaushalt einzelner Mitgliedstaaten der Eurozone grundlegend verändert. Insbesondere werden das systembestimmende Bail-out-Verbot
des Art. 125 AEUV und das Staatsfinanzierungsverbot
für das Zentralbankensystem aus Art.
123 AEUV mißachtet. Die Haushaltsdisziplin, die das System der Währungsunion qualifiziert (Art. 126 AEUV in Verbindung mit dem Protokoll über
das
Verfahren bei einem übermäßigen Defizit) ist von fast allen Mitgliedstaaten
stetig verletzt worden. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro
ist, „einen Stabilitätsmechanismus einzurichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar
ist, um die Stabilität des
Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren“,
durch Art. 136 Abs. 3 AEUV hebt die allgemeinen Vertragspflichten nicht auf6.
1 Bestätigt in BVerfGE 99, 145 (158); 123, 267, Abs. 242,
233, 299, 329 f., 333, 335, 339, 343; BVerwGE 110, 363 (366)); K. A. Schachtschneider,
Die Souveränität Deutschlands, S. 165 ff.; grundlegend ders.,
Verfassungsbeschwerde (2 BvR 2134/92) gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992, vom 18.
Dezember 1992 mit Schriftsätzen vom 29. März 1993 und vom 22. Juni 1993, S. 131; ders., Die Staatlichkeit der Europäischen
Gemeinschaft, in: M. Vollkommer (Hrsg.), Auf dem Weg in ein vereintes Europa, Atzelsberger Gespräche, 1992, S. 81 ff., 88 ff.; u.ö.
2 Die Verfassungsklage vom 3. Oktober 2008 ist in meiner Home-Page: www.KASchachtschneider.de
unter Downloads veröffentlicht. Sie wird im Folgenden
als „Verfassungsklage“ zitiert.
3 Näher K. A. Schachtschneider, Das Recht und die Pflicht zum Ausstieg aus
der Währungsunion, in: W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Illusion. Ist Europa noch zu
retten? 2001, S. 314 ff.
4 Vgl. K. A. Schachtschneider, Verfassungsklage, S. 146 ff., 163 ff., 172
ff., 217 ff.; so im Ergebnis auch P. Pernthaler, Über Begriff und Standort der
leistenden Verwaltung in der österreichischen Rechtsordnung, JBL 1965, 57, 62;
ders., Österreichisches Bundesstaatsrecht, 2004, S. 690; L. Fröhler, Die verfassungsrechtliche Grundlegung des
sozialen Rechtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland und in der Republik Österreich, 1967, S. 22 ff.
5 Vgl. für
Deutschland BVerfGE 45, 142 (169); 52, 187 (199); 73, 339 (367 f., 375); 89,
155 (190); 123, 267, Abs. 242, 333, 335, 339, 343; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 75 ff.
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