von Professor Karl Albrecht Schachtschneider
Existentielle Entmachtung der
Österreicher
Der Vertrag
von Lissabon hat die politischen Verhältnisse in Österreich (und in den
anderen Mitgliedstaaten) umgewälzt7, vor allem weil funktional
die Einzelstaaten nur
noch Gliedstaaten im Unionsstaat, dem Europäischen
Bundesstaat, sind. Existentielle staatliche Aufgaben und Befugnisse
sind Sache dieses Unionsstaates. Das ist mit
der Souveränität der Bürger Österreichs unvereinbar. Der Schritt zu diesem Unionsstaat hätte in Österreich rechtens wegen Art. 1 und 2 B-VG nur
aufgrund einer neuen Verfassung
gegangen werden können, welche die
existentielle Staatlichkeit Österreichs zu Lasten der Souveränität Österreichs derart weitgehend auf den Unionsstaat zu übertragen erlaubt, wie es
der Vertrag vorsieht. Ein neues Verfassungsgesetz Österreichs ist eine Gesamtänderung der
Bundesverfassung gemäß Art. 44 Abs. 3
B-VG8, die (u.a.) der Abstimmung des gesamten Bundesvolkes bedarf. Die Politik des Vertrages von
Lissabon hat die Befugnisse der Verfassungsorgane Österreichs überschritten. Die menschheitliche Verfassung der Österreicher, nämlich deren Freiheit
und Gleichheit als Menschen und
Bürger und deren Brüderlichkeit
(Solidarität) als Volk, stehen nicht zur Disposition der Politik, letzteres jedenfalls solange nicht,
als nicht ein Unionsvolk verfaßt ist.
Diese Verfassung sichert die Strukturprinzipien,
also die Demokratie, den Rechtsstaat und
den Sozialstaat, aber auch den Bundesstaat. Auch eine Gesamtänderung der
Bundesverfassung muß diese fundamentalen
Prinzipien der Republik respektieren. Bereits
der Beitrittsvertrag Österreichs zur Europäischen Union vom 26. April 1994 hat diese
Strukturprinzipien mißachtet und konnte darum durch das Beitrittsverfassungsgesetz vom 9. September 1994 nicht
legalisiert werden, obwohl das
Bundesvolk dem zugestimmt hat. Die
tiefgreifende Umwälzung der Bundesverfassung war den Bürgern Österreichs nicht bekannt, jedenfalls war die
Gesamtänderung der Bundesverfassung nicht zur Abstimmung gestellt. Nur der
Beitritt Österreichs zur Europäischen Union
ist nach Art. 44 Abs. 3 B-VG abgestimmt
worden, nicht der Beitrittsvertrag, nicht das Vertragswerk der Europäischen Union, nicht der Vertrag von Maastricht. Einen Integrationsartikel
(Europaartikel) hat Österreich
anders als Deutschland nicht in die Bundesverfassung aufgenommen,
sondern durch das EU-Begleitgesetz vom 21.
Dezember 1994 in Art. 23a ff. B-VG,
geändert durch das Bundesverfassungsgesetz zum Vertrag von Lissabon vom 27.7.2010 (Lissabon-Begleitnovelle, BGBl I Nr. 57/2010) geregelt.
Nicht nur Art. 44 Abs. 3 B-VG war
dadurch verletzt, sondern vor allem
die unabänderlichen Strukturprinzipien der Verfassung Österreichs waren
mißachtet. Die weiteren Unionsverträge
von Amsterdam und Nizza haben diese Mängel nicht behoben, diese sind nicht einmal nach Art. 44 Abs. 3 B-VG abgestimmt worden. Die wichtigste
Grenze ist die, daß in Österreich
das Recht vom Volk ausgeht (Art. 1
S. 2 B-VG). Das gebietet die durchgehende demokratische Legitimation aller Hoheitsgewalt, die in Österreich ausgeübt wird, durch das Österreichische
Volk. Das wird nur gewährleistet,
wenn bei der Übertragung der
Hoheitsrechte auf die Union zur gemeinschaftlichen Ausübung der nationalen Staatsgewalten das
Prinzip der begrenzten Ermächtigung9
eingehalten wird, weil nur dadurch die Politik der Unionsorgane voraussehbar
und von den nationalen Parlamenten, dem Nationalrat, aber auch dem Bundesrat verantwortbar und dadurch demokratisch legitimiert ist (vgl. für Deutschland
BVerfGE 89, 155 (181, 187, 191 ff.)).
Die durch die Unionsverträge auf die
Europäische Union übertragenen Aufgaben und Befugnisse sind aber weit und offen. Insbesondere werden der Union Befugnisse eingeräumt, diese selbst
zu bestimmen, um ihre Ziele zu
verwirklichen (KompetenzKompetenzen)10.
Die Ermächtigungen ermöglichen in der
Praxis der Unionsorgane eine umwälzende und nicht erwartete oder auch nur erwartbare Politik, die somit keine demokratische Legitimation hat. Die
Union kann all ihre weitgesteckten
Ziele durchsetzen, ohne dass die
Völker und deren Vertretungsorgane noch einmal gefragt werden müssten.
7 Dazu umfassend K.
A. Schachtschneider, Verfassungsklage, 2. Teil. S. 39 ff.
8 K. A.
Schachtschneider, Verfassungsklage, S. 28 ff.
9 Dazu näher K. A.
Schachtschneider, Souveränität, i. E., Zehnter Teil C. S. 376 ff.; aber auch
das Subsidiaritätsprinzip, Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG, dazu 11.
10 Dazu K. A.
Schachtschneider, Verfassungsklage, 2. Tel H, S. 281 ff.
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