Stellungnahme zum Vorlagebeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2014
Karl Albrecht Schachtschneider
Ohne
die Käufe der Staatsanleihen der schwachen Volkswirtschaften des
Eurogebietes durch das System der Europäischen Zentralbanken (ESZB) und
die Europäische Zentralbank (EZB) von den Geschäftsbanken, welche diese
Anleihen von den Staaten erworben haben, wäre das Eurogebiet schon
zerfallen, im Zweifel das Euroabenteuer schon beendet. Allein die
Anleihekäufe der EZB hätten jedoch nicht genügt, um die Kreditmärkte zu
beruhigen und die Zinssätze so zu senken, daß sie für alle Mitglieder
der Eurozone tragfähig sind. Am 6. September 2012 hat die EZB darum
beschlossen, daß sie dauerhaft und unbegrenzt Staatsanleihen der
Staaten, welche sich unter einen Rettungsschirm, sei es die Europäische
Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder der Europäische
Stabilitätsmechanismus (ESM), begeben
haben, am Sekundärmarkt ankaufen werde, wenn diese Staaten die ihnen
von EFSF oder vom ESM auferlegten strengen Konditionen erfüllen. Das
Projekt nennt die EZB Outright Monetary Transactions, OMT. Das hat die
Kreditmärkte beruhigt und zunächst einmal den betroffenen Staaten die
Schuldentragfähigkeit dadurch ermöglicht, daß das ESZB und die EZB die
Schulden über den Ankauf der Staatsanleihen zu geringen Zinssätzen
übernehmen und letztlich als Verluste abschreiben.
Die EZB hat also die unbegrenzte und
dauerhafte monetäre Staatsfinanzierung zugesagt, anders formuliert: die
Finanzierung der Staatshaushalte aus dem Nichts. Das ist der EZB als
Notenbank möglich, weil sie die Befugnis zur Geldschöpfung hat.
Allerdings müssen die Staaten, welche Vergünstigen des OMT-Programms in
Anspruch nehmen wollen, die mit
der EFSF oder dem ESM in einem „memorandum of understanding“
vereinbarten „strengen Auflagen“ für ihre Wirtschaftspolitik ertragen.
Diese Auflagen werden zwar von den Staaten durch Gesetze verbindlich
gemacht, aber die gesetzgebenden Parlamente werden dazu mittels des
(vermeintlich) goldenen Zügels genötigt. Diese knebelnde Hilfstechnik
folgt der Praxis des Internationalen Währungsfonds. Derartige Auflagen
sind Haushaltsspar-, Privatisierungs-, Lohnsenkungsprogramme und
anderes. Sie zwingen zu einer Austeritätspolitik, welche das betroffene
Land nach aller Erfahrung auch in der gegenwärtigen Finanz- und
Währungskrise in große Not und politische Instabilität stürzt. Die
(sogenannten) Rettungsmaßnahmen für Griechenland machen das offenkundig.
Gegen
die monetäre Staatsfinanzierung, zumal gegen das OMT-Programm habe ich
namens der Professoren Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim
Starbatty und auch namens Dr. Bruno Bandulet, aber auch im eigenen Namen Verfassungsbeschwerde
beim deutschen Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt. Es gibt
weitere Beschwerdeführer. Die Beschwerden sind mit Beschwerden gegen die
anderen Eurorettungsmaßnahmen verbunden, nämlich gegen den neu in den
Vertrag aufgenommenen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der den ESM ermöglicht,
gegen den ESM, das ESM-Finanzierungsgesetz, den Fiskalpakt, den
Euro-plus-Pakt, die Unionsrechtsakte, die eine Wirtschaftsregierung
eingerichtet haben, und das TARGET 2- System.
Das
BVerfG hat am 14. Januar 2014, bekanntgegeben am 7. Februar 2014, die
europarechtlichen Fragen, welche das OMT-Programm aufwirft, gemäß Art.
267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung
vorgelegt, das Verfahren insoweit von den anderen Verfahren abgetrennt
und bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt. Zu den anderen
Beschwerdegegenständen wird am 18. März 2014 ein Urteil verkündet.
Das ist eine gute Nachricht.
Der
Beschluß des BVerfG, dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren die
Gelegenheit zu geben, das OMT-Programm der EZB durch restriktive
Auslegung dem Vertragswerk der Europäischen Union anzupassen, nimmt dem
Programm ökonomisch die Wirksamkeit. Das BVerfG hat klargestellt, daß
das Programm, so wie es formuliert ist, ein ausbrechender Rechtsakt ist.
Er mißachtet das demokratierechtlich für die europäische Integration
wesentliche Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1
und 2 EUV), d. h. er geht über die Befugnisse hinaus, welche der EU zur
gemeinschaftlichen Ausübung der mitgliedstaatlichen Hoheit übertragen
sind, ist somit ultra vires.
Es
ist zu erwarten, daß der EuGH diese Rechtsfrage anders beurteilt.
Dieses „Gericht“ pflegt sich als Motor der Integration zu betätigen. So
hat es die Eurorettungspolitik in seinem mehr als fragwürdigen
ESM-Urteil (Thomas Pringle versus Ireland auf Vorlage des Supreme Courts
Irlands) auch gegen das Bail-out-Verbot des Vertrages aus Art. 125 AEUV
gestützt. Aber das BVerfG wird die deutsche Verfassungsidentität und
damit die Souveränität Deutschlands auch gegen den EuGH zur Geltung
bringen und bringen müssen. Entgegen der Verfassungsidentität dürfen
nach Art. 79 Absatz 3 GG und auch nach dem Europaartikel 23 des
Grundgesetzes keine Hoheitsrechte auf die EU übertragen werden. Die EU
darf sich aber auch nicht Hoheitsbefugnisse anmaßen, die sie nicht hat.
Das hat die EZB mit der monetären Staatsfinanzierung, die nach Art. 119,
123 und 127 AEUV nicht zu ihrem Aufgaben und Befugnissen gehört,
offensichtlich getan.
Das BVerfG wird für Deutschland ultra-vires-Maßnahmen auch der EZB unterbinden, die allenfalls
für die Geldpolitik demokratisch legitimiert ist. Es hat in dem
Vorlagebeschluß ausdrücklich den Auslegungsspielraum, den es zu
akzeptieren bereit ist, den Unionsverträgen gemäß eng eingeschränkt.
Maßnahmen der EZB müssen, so das BVerfG, vorrangig die Preisstabilität
gewährleisten. Allenfalls nachrangig dürfen sie die Wirtschaftspolitik
der Union unterstützen, wenn das „ohne Beeinträchtigung des Zieles der
Preisstabilität möglich ist“ (Art. 127 Abs. 1 AEUV).
Die
Übernahme der Staatsanleihen soll nach dem OMT-Programm (wie auch jetzt
schon) selektiv, d. h. länderspezifisch, erfolgen. Sie soll
insbesondere von der Erfüllung der Auflagen abhängen, welche der ESM dem
hilfsbedürftigen Staat macht und vor einer gezielten, wenn auch formal
mittelbaren, aber dennoch vertragswidrigen (Art. 123 AEUV),
Staatsfinanzierung durch die EZB nach deren OMT-Programm gemacht haben
muß. Das ist nicht mehr Geldpolitik, die für das Währungsgebiet
einheitlich sein muß.
Das BVerfG hat zudem
erkannt, daß die wirtschafts- und haushaltspolitische Konditionierung
der Hilfsmaßnahmen mit dem Demokratieprinzip unvereinbar ist. Die
Auflagen entmündigen die Antragsstaaten und deren notleidenden Völker.
Derartige Maßnahmen haben Griechenland ins Unglück geführt, in Rezession
und Deflation, Arbeitslosigkeit und Unruhen. Im Rahmen des Europäischen
Stabilitätsmechanismus wirken wir an dieser Demokratieverletzung in
anderen Ländern mit. Das schadet der europäischen Integration und dem
guten Einvernehmen der Völker schwer.
Die Staatsfinanzierung
mit monetären Mitteln hat ökonomische Wirkungen, die noch keiner
richtig erfaßt hat. Diese können jedenfalls mittelfristig Inflationen
bewirken, aber auch Deflationen verstärken, wie das Beispiel
Griechenland zeigt, jedenfalls wenn die Mittel nicht in die
Realwirtschaft, sondern in die
Vermögenswerte fließen, die bereits hochinflationär sind. Auch die
enorme private Geldschöpfung hat nicht zu relevanter Inflation geführt,
sondern zu den Insolvenzgefahren in der Finanzwirtschaft, welche die EZB
auch mit ihrem OMT-Programm abzuwehren versucht. Bisher hat niemand für
die gegenwärtige Lage eine stringente Inflationstheorie entwickelt.
Es
hat klargestellt, daß das Programm so, wie es formuliert ist, die
Befugnisse der EZB evident und entgegen dem Kompetenzgefüge der Union
verletzt. Das besagt, daß die hohen Hürden, die das BVerfG einer
Verfassungsbeschwerde gegen Urteile des EuGH wegen Verletzung der
Souveränität Deutschlands oder eben des Rechts der Deutschen auf
Demokratie entgegenstellt, überschritten
würden, wenn der EuGH das OMT-Programm der EZB ganz oder im
Wesentlichen für vertragsgemäß erklären sollte. Ohne eine
vertragskonforme und damit restriktive Interpretation des OMT-Programms
durch den EuGH wird die Verfassungsbeschwerde gegen dieses
„voraussichtlich Erfolg“ haben, sagt das deutsche Gericht. In der
Substanz ist die Entscheidung gefallen.
Damit
fällt das OMT-Programm in sich zusammen. Ein gemäß den Grenzen, die das
BVerfG gezogen hat, gestutztes Programm kann die Marktwirkungen nicht
entfalten, welche die unbegrenzte so gut wie kostenlose
Finanzierungszusage für Mitgliedstaaten bewirkt. Darüber kann der EuGH
nicht hinweghelfen. Das Verfahren dauert jetzt nur länger, so daß noch
mehr Zeit für den Euro gewonnen ist. Die Märkte werden jedoch schnell
reagieren.
Das
BVerfG hat sich seiner Verantwortung für die deutsche
Verfassungsidentität und die Souveränität Deutschlands nicht entzogen,
sondern der Union gewissermaßen wegen des Kooperationsverhältnisses
zwischen den Höchstgerichten eine Mitwirkungsmöglichkeit offeriert. Am
letzten Wort in Sachen des Rechts in Deutschland, also des Schutzes der
Prinzipien, die nicht zur Disposition der Integrationspolitik stehen,
wie allem voran der Kern des demokratischen Prinzips, hält das deutsche
Gericht fest, mit vollem Recht.
Der
Beschluß gibt den Verfassungsbeschwerden gegen das OMT-Programm und
gegen die monetäre Staatsfinanzierung überhaupt in vollem Umfang Recht.
Das ist ein großer Erfolg vor allem für die von mir vertretene
Beschwerde, weil wir ausführlich die ökonomischen Implikationen der
Maßnahmen der EZB in das Verfahren eingebracht haben. Das Verhältnis von
Geldpolitik und monetärer Finanzpolitik war und ist die Kernproblematik
dieses jetzt abgetrennten Verfahrens. Die Vorlage beim EuGH habe ich
erwartet. Sie genügt der verfahrensrechtlichen Lage. Sie irritiert mich
nicht. Das Euroabenteuer geht mit den klaren Grenzen, die das BVerfG den
monetären Maßnahmen der EZB zur eurorettenden Staatsfinanzierung (der
Sache nach eine Bankensanierung) gezogen hat, unerbittlich seinem Ende
entgegen, trotz aller Vorteile der für Deutschland unterbewerteten
Währung für die deutsche Exportwirtschaft. Diese ist die eigentliche
Verletzung der europäischen Solidarität, weil sie den Ländern mit
überbewerteter Währung keine Wettbewerbschance in der Union und auf dem Weltmarkt läßt.
Das Verfassungsgericht der Deutschen hat seine Pflicht getan.
Quelle: www.kaschachtschneider.de
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