2014-03-19

Bundesverfassungsgericht erklärt die Staatsfinanzierung der Europäischen Zentralbank für offensichtliches Unrecht


Stellungnahme zum Vorlagebeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2014

Karl Albrecht Schachtschneider

Ohne die Käufe der Staatsanleihen der schwachen Volkswirtschaften des Eurogebietes durch das System der Europäischen Zentralbanken (ESZB) und die Europäische Zentralbank (EZB) von den Geschäftsbanken, welche diese Anleihen von den Staaten erworben haben, wäre das Eurogebiet schon zerfallen, im Zweifel das Euroabenteuer schon beendet. Allein die Anleihekäufe der EZB hätten jedoch nicht genügt, um die Kreditmärkte zu beruhigen und die Zinssätze so zu senken, daß sie für alle Mitglieder der Eurozone tragfähig sind. Am 6. September 2012 hat die EZB darum beschlossen, daß sie dauerhaft und unbegrenzt Staatsanleihen der Staaten, welche sich unter einen Rettungsschirm, sei es die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), begeben haben, am Sekundärmarkt ankaufen werde, wenn diese Staaten die ihnen von EFSF oder vom ESM auferlegten strengen Konditionen erfüllen. Das Projekt nennt die EZB Outright Monetary Transactions, OMT. Das hat die Kreditmärkte beruhigt und zunächst einmal den betroffenen Staaten die Schuldentragfähigkeit dadurch ermöglicht, daß das ESZB und die EZB die Schulden über den Ankauf der Staatsanleihen zu geringen Zinssätzen übernehmen und letztlich als Verluste abschreiben.

Die EZB hat also die unbegrenzte und dauerhafte monetäre Staatsfinanzierung zugesagt, anders formuliert: die Finanzierung der Staatshaushalte aus dem Nichts. Das ist der EZB als Notenbank möglich, weil sie die Befugnis zur Geldschöpfung hat. Allerdings müssen die Staaten, welche Vergünstigen des OMT-Programms in Anspruch nehmen wollen, die mit der EFSF oder dem ESM in einem „memorandum of understanding“ vereinbarten „strengen Auflagen“ für ihre Wirtschaftspolitik ertragen. Diese Auflagen werden zwar von den Staaten durch Gesetze verbindlich gemacht, aber die gesetzgebenden Parlamente werden dazu mittels des (vermeintlich) goldenen Zügels genötigt. Diese knebelnde Hilfstechnik folgt der Praxis des Internationalen Währungsfonds. Derartige Auflagen sind Haushaltsspar-, Privatisierungs-, Lohnsenkungsprogramme und anderes. Sie zwingen zu einer Austeritätspolitik, welche das betroffene Land nach aller Erfahrung auch in der gegenwärtigen Finanz- und Währungskrise in große Not und politische Instabilität stürzt. Die (sogenannten) Rettungsmaßnahmen für Griechenland machen das offenkundig.

Gegen die monetäre Staatsfinanzierung, zumal gegen das OMT-Programm habe ich namens der Professoren Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty und auch namens Dr. Bruno Bandulet, aber auch im eigenen Namen Verfassungsbeschwerde beim deutschen Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt. Es gibt weitere Beschwerdeführer. Die Beschwerden sind mit Beschwerden gegen die anderen Eurorettungsmaßnahmen verbunden, nämlich gegen den neu in den Vertrag aufgenommenen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der den ESM ermöglicht, gegen den ESM, das ESM-Finanzierungsgesetz, den Fiskalpakt, den Euro-plus-Pakt, die Unionsrechtsakte, die eine Wirtschaftsregierung eingerichtet haben, und das TARGET 2- System.
Das BVerfG hat am 14. Januar 2014, bekanntgegeben am 7. Februar 2014, die europarechtlichen Fragen, welche das OMT-Programm aufwirft, gemäß Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt, das Verfahren insoweit von den anderen Verfahren abgetrennt und bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt. Zu den anderen Beschwerdegegenständen wird am 18. März 2014 ein Urteil verkündet.

Das ist eine gute Nachricht.

Der Beschluß des BVerfG, dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren die Gelegenheit zu geben, das OMT-Programm der EZB durch restriktive Auslegung dem Vertragswerk der Europäischen Union anzupassen, nimmt dem Programm ökonomisch die Wirksamkeit. Das BVerfG hat klargestellt, daß das Programm, so wie es formuliert ist, ein ausbrechender Rechtsakt ist. Er mißachtet das demokratierechtlich für die europäische Integration  wesentliche Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV), d. h. er geht über die Befugnisse hinaus, welche der EU zur gemeinschaftlichen Ausübung der mitgliedstaatlichen Hoheit übertragen sind, ist somit ultra vires.
Es ist zu erwarten, daß der EuGH diese Rechtsfrage anders beurteilt. Dieses „Gericht“ pflegt sich als Motor der Integration zu betätigen. So hat es die Eurorettungspolitik in seinem mehr als fragwürdigen ESM-Urteil (Thomas Pringle versus Ireland auf Vorlage des Supreme Courts Irlands) auch gegen das Bail-out-Verbot des Vertrages aus Art. 125 AEUV gestützt. Aber das BVerfG wird die deutsche Verfassungsidentität und damit die Souveränität Deutschlands auch gegen den EuGH zur Geltung bringen und bringen müssen. Entgegen der Verfassungsidentität dürfen nach Art. 79 Absatz 3 GG und auch nach dem Europaartikel 23 des Grundgesetzes keine Hoheitsrechte auf die EU übertragen werden. Die EU darf sich aber auch nicht Hoheitsbefugnisse anmaßen, die sie nicht hat. Das hat die EZB mit der monetären Staatsfinanzierung, die nach Art. 119, 123 und 127 AEUV nicht zu ihrem Aufgaben und Befugnissen gehört, offensichtlich getan.
Das BVerfG wird für Deutschland ultra-vires-Maßnahmen auch der EZB unterbinden, die allenfalls für die Geldpolitik demokratisch legitimiert ist. Es hat in dem Vorlagebeschluß ausdrücklich den Auslegungsspielraum, den es zu akzeptieren bereit ist, den Unionsverträgen gemäß eng eingeschränkt. Maßnahmen der EZB müssen, so das BVerfG, vorrangig die Preisstabilität gewährleisten. Allenfalls nachrangig dürfen sie die Wirtschaftspolitik der Union unterstützen, wenn das „ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist“ (Art. 127 Abs. 1 AEUV).

Die Übernahme der Staatsanleihen soll nach dem OMT-Programm (wie auch jetzt schon) selektiv, d. h. länderspezifisch, erfolgen. Sie soll insbesondere von der Erfüllung der Auflagen abhängen, welche der ESM dem hilfsbedürftigen Staat macht und vor einer gezielten, wenn auch formal mittelbaren, aber dennoch vertragswidrigen (Art. 123 AEUV), Staatsfinanzierung durch die EZB nach deren OMT-Programm gemacht haben muß. Das ist nicht mehr Geldpolitik, die für das Währungsgebiet einheitlich sein muß.
Das BVerfG hat zudem erkannt, daß die wirtschafts- und haushaltspolitische Konditionierung der Hilfsmaßnahmen mit dem Demokratieprinzip unvereinbar ist. Die Auflagen entmündigen die Antragsstaaten und deren notleidenden Völker. Derartige Maßnahmen haben Griechenland ins Unglück geführt, in Rezession und Deflation, Arbeitslosigkeit und Unruhen. Im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus wirken wir an dieser Demokratieverletzung in anderen Ländern mit. Das schadet der europäischen Integration und dem guten Einvernehmen der Völker schwer.

Die Staatsfinanzierung mit monetären Mitteln schwächt zudem den Einfluß des Bundestages und den des Bundesrates auf die Finanzpolitik. Auf die Vergabe von ESM-Mitteln hätte das Parlament nach den bisherigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu den Euro-Rettungsmaßnahmen bestimmenden Einfluss, auf das Handeln EZB hingegen wegen deren Unabhängigkeit überhaupt keinen. Die EZB maßt sich die Befugnisse der Regierungen und der Parlamente zugleich an. Eine demokratische Legitimation hat sie nicht, schon gar nicht eine solche für die bestimmende Wirtschafts- und Sozialpolitik über die als Währungspolitik kaschierte Finanzpolitik.

Die Staatsfinanzierung mit monetären Mitteln hat ökonomische Wirkungen, die noch keiner richtig erfaßt hat. Diese können jedenfalls mittelfristig Inflationen bewirken, aber auch Deflationen verstärken, wie das Beispiel Griechenland zeigt, jedenfalls wenn die Mittel nicht in die Realwirtschaft, sondern in die Vermögenswerte fließen, die bereits hochinflationär sind. Auch die enorme private Geldschöpfung hat nicht zu relevanter Inflation geführt, sondern zu den Insolvenzgefahren in der Finanzwirtschaft, welche die EZB auch mit ihrem OMT-Programm abzuwehren versucht. Bisher hat niemand für die gegenwärtige Lage eine stringente Inflationstheorie entwickelt.

Es hat klargestellt, daß das Programm so, wie es formuliert ist, die Befugnisse der EZB evident und entgegen dem Kompetenzgefüge der Union verletzt. Das besagt, daß die hohen Hürden, die das BVerfG einer Verfassungsbeschwerde gegen Urteile des EuGH wegen Verletzung der Souveränität Deutschlands oder eben des Rechts der Deutschen auf Demokratie entgegenstellt, überschritten würden, wenn der EuGH das OMT-Programm der EZB ganz oder im Wesentlichen für vertragsgemäß erklären sollte. Ohne eine vertragskonforme und damit restriktive Interpretation des OMT-Programms durch den EuGH wird die Verfassungsbeschwerde gegen dieses „voraussichtlich Erfolg“ haben, sagt das deutsche Gericht. In der Substanz ist die Entscheidung gefallen.

Damit fällt das OMT-Programm in sich zusammen. Ein gemäß den Grenzen, die das BVerfG gezogen hat, gestutztes Programm kann die Marktwirkungen nicht entfalten, welche die unbegrenzte so gut wie kostenlose Finanzierungszusage für Mitgliedstaaten bewirkt. Darüber kann der EuGH nicht hinweghelfen. Das Verfahren dauert jetzt nur länger, so daß noch mehr Zeit für den Euro gewonnen ist. Die Märkte werden jedoch schnell reagieren.

Das BVerfG hat sich seiner Verantwortung für die deutsche Verfassungsidentität und die Souveränität Deutschlands nicht entzogen, sondern der Union gewissermaßen wegen des Kooperationsverhältnisses zwischen den Höchstgerichten eine Mitwirkungsmöglichkeit offeriert. Am letzten Wort in Sachen des Rechts in Deutschland, also des Schutzes der Prinzipien, die nicht zur Disposition der Integrationspolitik stehen, wie allem voran der Kern des demokratischen Prinzips, hält das deutsche Gericht fest, mit vollem Recht.
Der Beschluß gibt den Verfassungsbeschwerden gegen das OMT-Programm und gegen die monetäre Staatsfinanzierung überhaupt in vollem Umfang Recht. Das ist ein großer Erfolg vor allem für die von mir vertretene Beschwerde, weil wir ausführlich die ökonomischen Implikationen der Maßnahmen der EZB in das Verfahren eingebracht haben. Das Verhältnis von Geldpolitik und monetärer Finanzpolitik war und ist die Kernproblematik dieses jetzt abgetrennten Verfahrens. Die Vorlage beim EuGH habe ich erwartet. Sie genügt der verfahrensrechtlichen Lage. Sie irritiert mich nicht. Das Euroabenteuer geht mit den klaren Grenzen, die das BVerfG den monetären Maßnahmen der EZB zur eurorettenden Staatsfinanzierung (der Sache nach eine Bankensanierung) gezogen hat, unerbittlich seinem Ende entgegen, trotz aller Vorteile der für Deutschland unterbewerteten Währung für die deutsche Exportwirtschaft. Diese ist die eigentliche Verletzung der europäischen Solidarität, weil sie den Ländern mit überbewerteter Währung keine Wettbewerbschance in der Union und auf dem Weltmarkt läßt.

Das Verfassungsgericht der Deutschen hat seine Pflicht getan.




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