Zum neuen Forschungsband von Dr. René Roca: «Die schweizerische direkte Demokratie in Theorie und Praxis»
von Tobias Salander, Historiker
Die direkte Demokratie der Schweiz – ein
Erfolgsmodell, gerade auch in Zeiten der Wirtschaftskrise. Während viele
Bürger in den europäischen Ländern ebenfalls Bestrebungen unternehmen,
mehr Mitbestimmung zu erhalten, diese aber in mühseliger Arbeit den
selbsternannten Eliten abtrotzen müssen, lohnt sich auch ein Blick in
die Geschichte. Wie hat sich denn in der Schweiz dieses Modell eines
Aufbaus von unten nach oben entwickelt? Und warum nennt sich die Schweiz
auch «Eidgenossenschaft»? Welche Elemente spielten in der Geschichte
zusammen, dass schon früh eine Mitbestimmung der Bürger Tatsache wurde,
als andere Länder noch stark monarchistisch und/oder aristokratisch
strukturiert waren? Der Blick in die Forschung an Schweizer
Universitäten zeigt, dass diesbezüglich erstaunlicherweise tiefe Lücken
klaffen. Und dass bisher auch wenig unternommen wurde, diesen Notstand
zu beheben. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Wer ein
direktdemokratisches, von unten nach oben aufgebautes und
friedensliebendes Gemeinwesen in ein von oben nach unten zentralistisch
von Finanzoligarchen und Lobbyisten dirigiertes Monster wie die EU
eingliedern will, muss der zu unterjochenden Bevölkerung ihre Würde, ihr
Selbstbewusstsein und vor allem ihr Geschichtsbewusstsein nehmen:
Gelingt es in einem Land zu erwirken, dass Gelder für die seriöse
wissenschaftliche Erforschung der eigenen Geschichte und ihrer
Besonderheiten nicht oder nur zögerlich bewilligt werden, ist ein
wichtiger Teil in diesem Gehirnwäscheprogramm geleistet … Wenn man dabei
wie bis dato noch auf die willfährige Unterstützung einer einheimischen
fünften Kolonne zählen darf, macht dies die Sache für die Plutokraten
nur um so einfacher!
Um so erfreulicher ist es deshalb, dass im folgenden ein Forscher und sein neuestes Werk vorgestellt werden dürfen, der eine liberale Siegergeschichtsschreibung, entstanden nach dem Sieg im Sonderbundskrieg und der liberalen Bundesstaatsgründung von 1848, kritisch hinterfragt, damit implizit aber auch einer ideologiegeleiteten Pro-EU-Historie im Gefolge des Bergier-Berichts eine Absage erteilt und zu Erkenntnissen gelangt, die gerade heute wichtig sind für den Zusammenhalt der Schweiz: denn gerade auch den besiegten Katholisch-Konservativen hat es die moderne Schweiz zu verdanken, dass alte genossenschaftliche Traditionen und ein an der Würde des Menschen orientiertes personales Menschenbild im 19. Jahrhundert für die Entstehung der direkten Demokratie nutzbar gemacht werden konnten, indem auf diesem Boden den einer wahrhaften Volkssouveränität gemäss Rousseau abgeneigten Liberalen Instrumente abgerungen werden konnten, die heute unter dem Namen Referendum und Initiative Wesensmerkmale des Sonderfalls Schweiz sind. Eine Forschungsarbeit, die Mut macht, allen am Modell Schweiz Beteiligten die Würde zurückgibt, geeignet ist, eine Abwehrfront gegen den Dauerbeschuss unseres Landes von seiten der EU und insbesondere Deutschlands aufzubauen, und zu weiteren Forschungen auffordert.
Um so erfreulicher ist es deshalb, dass im folgenden ein Forscher und sein neuestes Werk vorgestellt werden dürfen, der eine liberale Siegergeschichtsschreibung, entstanden nach dem Sieg im Sonderbundskrieg und der liberalen Bundesstaatsgründung von 1848, kritisch hinterfragt, damit implizit aber auch einer ideologiegeleiteten Pro-EU-Historie im Gefolge des Bergier-Berichts eine Absage erteilt und zu Erkenntnissen gelangt, die gerade heute wichtig sind für den Zusammenhalt der Schweiz: denn gerade auch den besiegten Katholisch-Konservativen hat es die moderne Schweiz zu verdanken, dass alte genossenschaftliche Traditionen und ein an der Würde des Menschen orientiertes personales Menschenbild im 19. Jahrhundert für die Entstehung der direkten Demokratie nutzbar gemacht werden konnten, indem auf diesem Boden den einer wahrhaften Volkssouveränität gemäss Rousseau abgeneigten Liberalen Instrumente abgerungen werden konnten, die heute unter dem Namen Referendum und Initiative Wesensmerkmale des Sonderfalls Schweiz sind. Eine Forschungsarbeit, die Mut macht, allen am Modell Schweiz Beteiligten die Würde zurückgibt, geeignet ist, eine Abwehrfront gegen den Dauerbeschuss unseres Landes von seiten der EU und insbesondere Deutschlands aufzubauen, und zu weiteren Forschungen auffordert.
Im Jahre 2007 gründete der Historiker Dr. René Roca
das «Forum zur Erforschung der direkten Demokratie» und veranstaltete
jedes Jahr Arbeitstagungen zum Thema. In Zusammenarbeit mit dem Zentrum
für Demokratie Aarau führte er im Jahr 2010 die vielbeachtete Konferenz
«Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen» durch,
deren Resultate in einem Tagungsband publiziert wurden. (Vgl. Roca,
René; Auer, Andreas [Hg.]: «Wege zur direkten Demokratie in den
schweizerischen Kantonen», Schriften zur Demokratieforschung, Band 3,
Zürich 2011.)
Mit der nun hier anzuzeigenden Studie von Dr. Roca mit dem Titel «Wenn die Volkssouveränität wirklich eine Wahrheit werden soll … Die schweizerische direkte Demokratie in Theorie und Praxis – Das Beispiel des Kantons Luzern» verfolgt der auch als Gymnasiallehrer Tätige und als Gemeinderat einer ländlichen Gemeinde im Kanton Aargau Amtende – mithin also in seiner Person Theorie und Praxis der direkten Demokratie aufs Schönste vereinend – das Anliegen, die Wurzeln der direkten Demokratie in ihrer theoretischen und historischen Dimension zu erforschen und am Beispiel Luzerns die gewonnenen Erkenntnisse am Exempel darzustellen. Darüber hinaus schlägt der Autor vor, mit weiteren kantonalen Studien die direkte Demokratie in der Schweiz umfassend zu dokumentieren. Der Ansatz, den René Roca wählt, ist der Hermeneutik verpflichtet, wonach möglichst quellennah durch Analyse und Interpretation die historischen Entwicklungslinien nachgezeichnet werden. Ein bewährter wissenschaftlicher Ansatz, der jüngeren Historikern kaum mehr geläufig ist, beherrschen doch der sogenannte Strukturalismus, der Dekonstruktivismus und was an «-ismen» sonst noch vorhanden ist, die universitären Lehrstühle, welche den Ideologieverdacht der genannten modernistischen Ansätze nie zu widerlegen wussten und von späteren Generationen wohl unter den Kapiteln «Peinlichkeiten» und «akademische Prostitution», wenn nicht gar «Kniefallsucht» subsumiert werden müssen.
Es spricht allein schon Bände, dass Rocas Forschungsband bis anhin noch nicht von mehreren Universitäten im Lande mit Handkuss als Habilitationsschrift entgegengenommen wurde. Da aber nach dem grossen Kladderadatsch in der Finanzbranche die Tage des neoliberalen Modells und der Durchgriff der Finanzoligarchie auf alle Lebens- und akademischen Felder gezählt sein dürften, wird die volle akademische Wertschätzung der Forschung zur direkten Demokratie lediglich eine Frage der Zeit sein. Denn: Ein Land, welches seine historischen Wurzeln nicht aufzuarbeiten bemüht wäre, verlöre letzten Endes jede Selbstachtung und verkännte auch seine Rolle in der Staatengemeinschaft. Ganz speziell gilt dies für das Modell der direkten Demokratie, die in ihrem genossenschaftlichen Aufbau von unten nach oben vielen krisengeschüttelten Ländern, aber nicht nur denen, Vorbild sein könnte in der Gestaltung eines menschenwürdigen, am Bonum commune orientierten Politisierens und Wirtschaftens.
Mit der nun hier anzuzeigenden Studie von Dr. Roca mit dem Titel «Wenn die Volkssouveränität wirklich eine Wahrheit werden soll … Die schweizerische direkte Demokratie in Theorie und Praxis – Das Beispiel des Kantons Luzern» verfolgt der auch als Gymnasiallehrer Tätige und als Gemeinderat einer ländlichen Gemeinde im Kanton Aargau Amtende – mithin also in seiner Person Theorie und Praxis der direkten Demokratie aufs Schönste vereinend – das Anliegen, die Wurzeln der direkten Demokratie in ihrer theoretischen und historischen Dimension zu erforschen und am Beispiel Luzerns die gewonnenen Erkenntnisse am Exempel darzustellen. Darüber hinaus schlägt der Autor vor, mit weiteren kantonalen Studien die direkte Demokratie in der Schweiz umfassend zu dokumentieren. Der Ansatz, den René Roca wählt, ist der Hermeneutik verpflichtet, wonach möglichst quellennah durch Analyse und Interpretation die historischen Entwicklungslinien nachgezeichnet werden. Ein bewährter wissenschaftlicher Ansatz, der jüngeren Historikern kaum mehr geläufig ist, beherrschen doch der sogenannte Strukturalismus, der Dekonstruktivismus und was an «-ismen» sonst noch vorhanden ist, die universitären Lehrstühle, welche den Ideologieverdacht der genannten modernistischen Ansätze nie zu widerlegen wussten und von späteren Generationen wohl unter den Kapiteln «Peinlichkeiten» und «akademische Prostitution», wenn nicht gar «Kniefallsucht» subsumiert werden müssen.
Es spricht allein schon Bände, dass Rocas Forschungsband bis anhin noch nicht von mehreren Universitäten im Lande mit Handkuss als Habilitationsschrift entgegengenommen wurde. Da aber nach dem grossen Kladderadatsch in der Finanzbranche die Tage des neoliberalen Modells und der Durchgriff der Finanzoligarchie auf alle Lebens- und akademischen Felder gezählt sein dürften, wird die volle akademische Wertschätzung der Forschung zur direkten Demokratie lediglich eine Frage der Zeit sein. Denn: Ein Land, welches seine historischen Wurzeln nicht aufzuarbeiten bemüht wäre, verlöre letzten Endes jede Selbstachtung und verkännte auch seine Rolle in der Staatengemeinschaft. Ganz speziell gilt dies für das Modell der direkten Demokratie, die in ihrem genossenschaftlichen Aufbau von unten nach oben vielen krisengeschüttelten Ländern, aber nicht nur denen, Vorbild sein könnte in der Gestaltung eines menschenwürdigen, am Bonum commune orientierten Politisierens und Wirtschaftens.
Wider eine ideologiegeleitete Geschichtsschreibung
Da es den Rahmen einer Rezension sprengen würde, die
Ausführungen des Autors über den «Weg zur naturrechtlich begründeten
Volkssouveränität und zur direkten Demokratie (16. bis 19. Jh.)
(Kapitel 2), die «Voraussetzungen für die Luzerner Demokratiedebatte»
(Kapitel 3), «Die Vetodebatte im Kanton Luzern» (Kapitel 4) und
schliesslich «Die Vetopraxis» (Kapitel 5) im Detail nachzuzeichnen,
seien hier nur die, aber um so gehaltvolleren, «Thesen zu Liberalismus
und katholischem Konservatismus» und «Elemente einer Theorie der
direkten Demokratie» aus dem Schlusswort von Rocas Arbeit in einer den
Umständen geschuldeten Verkürzung referiert.
Zuvor müssen aber einer nicht in der vorherrschenden Historikerzunft sozialisierten Leserschaft zur besseren Verständlichkeit des Folgenden die peinlichen Gemeinplätze einer liberal-utilitaristischen wie auch sozialistisch-materialistischen, mithin also einer ideologielastigen Geschichtsschreibung präsentiert werden. Einerseits ist die Schweiz von und nach 1848 von der liberalen Geschichtsschreibung in der Manier einer Siegergeschichtsschreibung als allein dem Liberalismus geschuldetes Fortschrittsmodell dargestellt worden, wohingegen die Verlierer des Sonderbundskrieges von 1847/48, die katholisch-konservativen und ländlichen Bevölkerungsgruppen, als rückständig, ewiggestrig und dem Ancien régime verhaftet karikiert wurden. Dass dieses Narrativ, welches noch im 21. Jahrhundert die Schulgeschichtsbücher prägt, mitnichten mit der Entwicklung der direkten Demokratie zu tun hat, zeigt Roca in seiner Arbeit differenziert auf. Aber auch die Vorstellung der Gegenseite, einer irgendwie «links»-gefiederten, materialistischen Denkschule, die Schweiz habe sich nie als Sonderfall verstehen dürfen, sei immer gleich absolutistisch gewesen wie die sie umgebenden Länder und erst Napoleon habe uns in die Moderne gestossen, entkräftet Roca mit wenigen Sätzen. Der aufmerksame Leser erahnt, dass diese Geschichtsklitterung nur einen Zweck verfolgt: totalitären Systemen wie der heutigen EU, wenn nicht gar dem US-Imperium und seinen Finanzeliten zuzudienen, indem man die Schweizer von ihrer Tradition trennen und sie in ihrer Würde niederdrücken will. Da stimmt weder die Quellenbasis noch das zugrundeliegende Menschenbild: Beide, so macht Roca deutlich, der liberale wie auch der andere Ansatz, verkennen den Menschen in seiner Natur, die ihn als Person und soziales Wesen in Zielrichtung auf das Bonum commune Erfüllung suchen lassen. Der Mensch als «Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse», wie dies Karl Marx formulierte, verfehlt ihn in seiner Natur genauso wie der utilitaristische Ansatz vieler Liberaler, die dem Schema des Homo oeconomicus anhängen – mithin derjenigen Ideologie, die seit Lehman Brothers von der Geschichte abgestraft wurde.
Zuvor müssen aber einer nicht in der vorherrschenden Historikerzunft sozialisierten Leserschaft zur besseren Verständlichkeit des Folgenden die peinlichen Gemeinplätze einer liberal-utilitaristischen wie auch sozialistisch-materialistischen, mithin also einer ideologielastigen Geschichtsschreibung präsentiert werden. Einerseits ist die Schweiz von und nach 1848 von der liberalen Geschichtsschreibung in der Manier einer Siegergeschichtsschreibung als allein dem Liberalismus geschuldetes Fortschrittsmodell dargestellt worden, wohingegen die Verlierer des Sonderbundskrieges von 1847/48, die katholisch-konservativen und ländlichen Bevölkerungsgruppen, als rückständig, ewiggestrig und dem Ancien régime verhaftet karikiert wurden. Dass dieses Narrativ, welches noch im 21. Jahrhundert die Schulgeschichtsbücher prägt, mitnichten mit der Entwicklung der direkten Demokratie zu tun hat, zeigt Roca in seiner Arbeit differenziert auf. Aber auch die Vorstellung der Gegenseite, einer irgendwie «links»-gefiederten, materialistischen Denkschule, die Schweiz habe sich nie als Sonderfall verstehen dürfen, sei immer gleich absolutistisch gewesen wie die sie umgebenden Länder und erst Napoleon habe uns in die Moderne gestossen, entkräftet Roca mit wenigen Sätzen. Der aufmerksame Leser erahnt, dass diese Geschichtsklitterung nur einen Zweck verfolgt: totalitären Systemen wie der heutigen EU, wenn nicht gar dem US-Imperium und seinen Finanzeliten zuzudienen, indem man die Schweizer von ihrer Tradition trennen und sie in ihrer Würde niederdrücken will. Da stimmt weder die Quellenbasis noch das zugrundeliegende Menschenbild: Beide, so macht Roca deutlich, der liberale wie auch der andere Ansatz, verkennen den Menschen in seiner Natur, die ihn als Person und soziales Wesen in Zielrichtung auf das Bonum commune Erfüllung suchen lassen. Der Mensch als «Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse», wie dies Karl Marx formulierte, verfehlt ihn in seiner Natur genauso wie der utilitaristische Ansatz vieler Liberaler, die dem Schema des Homo oeconomicus anhängen – mithin derjenigen Ideologie, die seit Lehman Brothers von der Geschichte abgestraft wurde.
Die Mühen des Liberalismus mit der Volkssouveränität
Beide Ansätze in der Geschichtsforschung verkennen,
dass die Gründung des modernen Bundesstaates von 1848 auf den
Traditionen der vielfältigen Genossenschaften aufbauen konnte, die seit
Jahrhunderten von unten her eine Schulung in direkter Demokratie und
Mitbestimmung leisteten, die dann im 19. Jahrhundert fruchtbar genutzt
werden konnte. Der Boden war bereitet, und zwar von unten, durch langes
Training im Aushandeln unter gleichwertigen Genossenschaftern, welche
nach dem Grundsatz der drei «Selbst», der Selbstverwaltung, der
Selbstbestimmung und der Selbsthilfe, ihre Angelegenheiten ohne
Einmischung von aussen im würdigen Miteinander regelten.
Nicht, dass in Rocas Schrift die Leistung und demokratiefördernden Ansätze von Frühsozialisten oder Frühliberalen geschmälert würden, ganz im Gegenteil: So würdigen seine «Thesen zu Liberalismus und katholischem Konservatismus» durchaus den Beitrag der Liberalen für die Entwicklung der Demokratie in der Schweiz, wenn es da heisst: So «errangen die Liberalen für das schweizerische Staatswesen die Gleichberechtigung der Kantone, individuelle Freiheitsrechte, die Volkssouveränität im Sinne der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes, das Repräsentativprinzip sowie die Rechtsgleichheit. Daneben leisteten sie unverzichtbare Aufbauarbeit für die Volksschule […]» Negativ zu Buche allerdings schlägt Folgendes: «Neben einem Hang zur Aristokratisierung ist der liberalen Theorie inhärent, dass sie Gefahr laufen kann, das moderne Naturrecht zu negieren.» Sie verfalle so dem Rechtspositivismus und favorisiere ein utilitaristisches Prinzip, «das ihr letztlich die ethische Basis entzieht und zu antidemokratischen und rassistischen Theorien […] führen kann. Gegenwärtige neoliberale Ansätze führen das deutlich vor Augen» (S.221), so Roca in aller Klarheit und einem grossen Überblick und unter Erwähnung eines bekannten Schweizer Frühliberalen, dessen rassistische Ausführungen hier nicht weiter behandelt werden müssen. Auch war es der grossen Mehrheit der Liberalen eigen, sich ständig gegen ein Mehr an Volksrechten zu verwahren, befürchteten sie doch auf Grund ihres unsachgemässen Menschenbildes eine Pöbelherrschaft – Stimmen, die man auch heute in repräsentativen Demokratien hört, wie zum Beispiel in Deutschland, wo die Regierung ihrem Volk nicht über den Weg traut und etwa in Fragen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr über die 80% Nein-Stimmen in der Bevölkerung hinweggeht mit dem Argument, man müsse in gewissen Situationen dem Volke schon auch mal den richtigen Weg weisen. …
Dass eine gewisse «intellektuelle Forschheit» der Liberalen die Kluft zur Landbevölkerung auch in der Schweiz des 19. Jahrhunderts vertiefte, streicht Roca klar heraus.
Nicht, dass in Rocas Schrift die Leistung und demokratiefördernden Ansätze von Frühsozialisten oder Frühliberalen geschmälert würden, ganz im Gegenteil: So würdigen seine «Thesen zu Liberalismus und katholischem Konservatismus» durchaus den Beitrag der Liberalen für die Entwicklung der Demokratie in der Schweiz, wenn es da heisst: So «errangen die Liberalen für das schweizerische Staatswesen die Gleichberechtigung der Kantone, individuelle Freiheitsrechte, die Volkssouveränität im Sinne der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes, das Repräsentativprinzip sowie die Rechtsgleichheit. Daneben leisteten sie unverzichtbare Aufbauarbeit für die Volksschule […]» Negativ zu Buche allerdings schlägt Folgendes: «Neben einem Hang zur Aristokratisierung ist der liberalen Theorie inhärent, dass sie Gefahr laufen kann, das moderne Naturrecht zu negieren.» Sie verfalle so dem Rechtspositivismus und favorisiere ein utilitaristisches Prinzip, «das ihr letztlich die ethische Basis entzieht und zu antidemokratischen und rassistischen Theorien […] führen kann. Gegenwärtige neoliberale Ansätze führen das deutlich vor Augen» (S.221), so Roca in aller Klarheit und einem grossen Überblick und unter Erwähnung eines bekannten Schweizer Frühliberalen, dessen rassistische Ausführungen hier nicht weiter behandelt werden müssen. Auch war es der grossen Mehrheit der Liberalen eigen, sich ständig gegen ein Mehr an Volksrechten zu verwahren, befürchteten sie doch auf Grund ihres unsachgemässen Menschenbildes eine Pöbelherrschaft – Stimmen, die man auch heute in repräsentativen Demokratien hört, wie zum Beispiel in Deutschland, wo die Regierung ihrem Volk nicht über den Weg traut und etwa in Fragen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr über die 80% Nein-Stimmen in der Bevölkerung hinweggeht mit dem Argument, man müsse in gewissen Situationen dem Volke schon auch mal den richtigen Weg weisen. …
Dass eine gewisse «intellektuelle Forschheit» der Liberalen die Kluft zur Landbevölkerung auch in der Schweiz des 19. Jahrhunderts vertiefte, streicht Roca klar heraus.
Ohne Katholisch-Konservative keine direkte Demokratie in der Schweiz
Am Beispiel Luzerns, doch dies liesse sich wohl auch
in anderen Kantonen der Schweiz zeigen, so sie denn wie von Roca
postuliert, erforscht würden, am Beispiel Luzerns gelingt es dem Autor,
die Bedeutung des katholischen Konservatismus für die Entwicklung der
direkten Demokratie aufzuzeigen. In einem über hundert Seiten und
mehrere Jahrhunderte zusammenfassenden Absatz gelingt es Roca
meisterhaft, die Zusammenhänge ins Lot zu bringen – mögen auch die
ideologiegeleiteten Historiker darob mit den Zähnen knirschen oder
zugeben, dass sie diese Sachverhalte noch nie so gehört haben.
Intellektuelle Redlichkeit wäre auch eine Tugend …
So schreibt Roca in Würdigung der Verlierer des Sonderbundskrieges: «In diesem Sinne wäre die Schweiz kein föderalistisches und direktdemokratisches Staatswesen geworden, wenn sich die radikal-liberalen, antiklerikalen und zum Teil auch zentralistischen Elemente widerstandslos durchgesetzt hätten», und holt dann etwas weiter aus, die Erneuerungskraft und Weltoffenheit der katholischen Kirche würdigend: «Gerade weil sich die katholische Kirche spätestens seit der Gründung der ‹Schule von Salamanca› mit der Verbindung von christlichem und modernem Naturrecht auseinandersetzte und das personale Menschenbild in den Vordergrund rückte, gelang katholisch-konservativen Kreisen – im Kanton Luzern waren es ab 1831 die ländlichen Demokraten – die christliche Sozialethik mit einer modernen direktdemokratischen Verfassung fruchtbar zu verbinden.» (S. 222f.) Diese Zusammenschau, diesen Überblick Rocas muss der geneigte Leser, auch und vor allem der zünftisch-historisch ausgebildete, eventuell zusätzlich mit einem antiklerikalen Reflex behaftete, erst einmal nachvollziehen. In dieser Tiefenschärfe hat dies vor Roca wohl noch niemand geleistet, und manch einer der vorher Angesprochenen, stamme er nun aus der liberalen Küche oder einer wie auch immer linken, wird sich wohl etwas Zeit nehmen müssen, diese Aussage in ihrer Tragweite wirklich entgegenzunehmen. Insbesondere auch linke Zeitgenossen, so sie denn wirklich sozial gesinnt sind und das Herz wirklich auf dem richtigen Fleck tragen, nämlich links, dürften sich aber mit Gewinn in die profunden Ausführungen Rocas vertiefen, fänden sie im oben Zitierten und in der im folgenden von Roca erwähnten katholischen Soziallehre doch ideale Verbündete gegen eine menschenunwürdige, ausbeuterische, den Profit über alles stellende Wirtschaftsordnung – so wie sie heute auch das breit abgestützte Bündnis der eidgenössischen Volksinitiative «Für eine Wirtschaft zum Nutzen aller» kritisiert (siehe auch Zeit-Fragen Nr. 3 vom 14. Januar 2013). Aber auch moderne Liberale, die sich von den Auswüchsen des Chicago-Neoliberalismus angewidert abwenden und sich wieder einem am Menschen orientierten Ordoliberalismus zuwenden, ihr Menschenbild korrigieren und dem Volk effektiv die Souveränität zugestehen, können sich diesen Einsichten nicht wirklich verschliessen.
Zitieren wir Roca aber weiter: «Später gipfelten solche ersten politischen Erfahrungen in theoretischen Abhandlungen der katholischen Soziallehre, die auch im II. Vatikanischen Konzil zum Ausdruck kamen und bis heute weiterwirken.» Man würde es den bereits mehrfach zitierten, Schlüsselstellen in den Medien und die universitären Lehrstühle besetzt Haltenden wünschen, sich vertieft mit päpstlichen Enzykliken zur sozialen Frage zu befassen statt sich dem offensichtlich imperialgeheimdienstlich gesteuerten derzeitigen «Vatikan-Bashing» zu verschreiben!
So schreibt Roca in Würdigung der Verlierer des Sonderbundskrieges: «In diesem Sinne wäre die Schweiz kein föderalistisches und direktdemokratisches Staatswesen geworden, wenn sich die radikal-liberalen, antiklerikalen und zum Teil auch zentralistischen Elemente widerstandslos durchgesetzt hätten», und holt dann etwas weiter aus, die Erneuerungskraft und Weltoffenheit der katholischen Kirche würdigend: «Gerade weil sich die katholische Kirche spätestens seit der Gründung der ‹Schule von Salamanca› mit der Verbindung von christlichem und modernem Naturrecht auseinandersetzte und das personale Menschenbild in den Vordergrund rückte, gelang katholisch-konservativen Kreisen – im Kanton Luzern waren es ab 1831 die ländlichen Demokraten – die christliche Sozialethik mit einer modernen direktdemokratischen Verfassung fruchtbar zu verbinden.» (S. 222f.) Diese Zusammenschau, diesen Überblick Rocas muss der geneigte Leser, auch und vor allem der zünftisch-historisch ausgebildete, eventuell zusätzlich mit einem antiklerikalen Reflex behaftete, erst einmal nachvollziehen. In dieser Tiefenschärfe hat dies vor Roca wohl noch niemand geleistet, und manch einer der vorher Angesprochenen, stamme er nun aus der liberalen Küche oder einer wie auch immer linken, wird sich wohl etwas Zeit nehmen müssen, diese Aussage in ihrer Tragweite wirklich entgegenzunehmen. Insbesondere auch linke Zeitgenossen, so sie denn wirklich sozial gesinnt sind und das Herz wirklich auf dem richtigen Fleck tragen, nämlich links, dürften sich aber mit Gewinn in die profunden Ausführungen Rocas vertiefen, fänden sie im oben Zitierten und in der im folgenden von Roca erwähnten katholischen Soziallehre doch ideale Verbündete gegen eine menschenunwürdige, ausbeuterische, den Profit über alles stellende Wirtschaftsordnung – so wie sie heute auch das breit abgestützte Bündnis der eidgenössischen Volksinitiative «Für eine Wirtschaft zum Nutzen aller» kritisiert (siehe auch Zeit-Fragen Nr. 3 vom 14. Januar 2013). Aber auch moderne Liberale, die sich von den Auswüchsen des Chicago-Neoliberalismus angewidert abwenden und sich wieder einem am Menschen orientierten Ordoliberalismus zuwenden, ihr Menschenbild korrigieren und dem Volk effektiv die Souveränität zugestehen, können sich diesen Einsichten nicht wirklich verschliessen.
Zitieren wir Roca aber weiter: «Später gipfelten solche ersten politischen Erfahrungen in theoretischen Abhandlungen der katholischen Soziallehre, die auch im II. Vatikanischen Konzil zum Ausdruck kamen und bis heute weiterwirken.» Man würde es den bereits mehrfach zitierten, Schlüsselstellen in den Medien und die universitären Lehrstühle besetzt Haltenden wünschen, sich vertieft mit päpstlichen Enzykliken zur sozialen Frage zu befassen statt sich dem offensichtlich imperialgeheimdienstlich gesteuerten derzeitigen «Vatikan-Bashing» zu verschreiben!
Drei Elemente einer Theorie der direkten Demokratie
In seinem dritten Kapitel des Schlusswortes mit dem
Titel «Elemente einer Theorie der direkten Demokratie» erläutert Roca
schliesslich nebst dem Genossenschaftsprinzip und der Volkssouveränität
auch den Begriff des bereits oben erwähnten und vielen Zunfthistorikern
unbekannten Naturrechts – unbekannt (oder unbeliebt?), weil weder der
neoliberal-utilitaristischen noch der sozialistisch-materialistischen
Ideologie zudienend. Auch hier schlägt Roca einen Bogen, der so vieles
umfasst, Sachverhalte in Zusammenhang bringt, welche man so wohl noch
nie dargestellt bekommen hat. Der Brillanz der Ausführungen wegen seien
auch hier wieder längere Textpassagen wörtlich zitiert – um die Aussagen
wirklich vertieft zu erfassen, ist die Lektüre der 200 vorangegangenen
Seiten seines Buches natürlich unumgänglich.
1. Element: Naturrecht
Roca betont: «Das moderne Naturrecht ist mit seinem
personalen Menschenbild eine Conditio sine qua non für die Einrichtung
demokratischer und insbesondere direktdemokratischer Strukturen. Das
moderne Naturrecht, das seinen Ausgang im 16. Jahrhundert nahm, besitzt
theologische Wurzeln. Die ‹Säkularisierung› des Naturrechts war ein
ungemein komplexer Prozess, wobei Juristen und Theologen (Dominikaner
und Jesuiten) die theologische Tradition sehr frei und eigenwillig
weiterentwickelten.» Mag der wie auch immer Gefiederte hier ob der
Würdigung der Jesuiten kopfscheu werden, ist ihm zu raten, die
Scheuklappen abzulegen und vorurteilsfrei einen neuen Blick auf die
Geschichte zu wagen. Es lohnt sich. Roca weiter: «Die Verbindung von
christlichem und modernem Naturrecht vollzogen sie auf der Basis des
Personalitätsprinzips, das die Aufklärer des 18. Jahrhunderts zumeist
adaptierten. Das aus dem Personalitätsprinzip resultierende personale
Menschenbild war ein entscheidendes Grundprinzip einer demokratischen
Gesellschaftslehre.» (S.223) Gelingt es Roca in diesen wenigen, aber um
so dichteren Sätzen, scheinbar gegensätzliche Strömungen in der
Geistesgeschichte zusammenzubringen und zu versöhnen, schlicht, weil dem
so war, dass sich eins aus dem anderen heraus entwickelte und sich
gegenseitig befruchtete, so zeigt er im folgenden Absatz, wie sich
genossenschaftliche Ansätze und das Gedankengut der Aufklärung
verquickten und die Grundlage für ein erstes direktdemokratisches
Instrument in den Händen der Bevölkerung schufen, das Gesetzesveto,
welches nebst Luzern 1841 vorher schon St. Gallen, Baselland und das
Wallis in den 1830er Jahren via Verfassung eingeführt hatten und welches
einen wichtigen Schritt hin zum modernen Institut des Referendums
darstellt. Roca schreibt: «Das Gesetzesveto beinhaltete als
direktdemokratisches Instrument die folgenreiche Verschmelzung zwischen
der genossenschaftlichen (Lands-)Gemeindedemokratie, die auf dem
christlichen Naturrecht beruhte, und dem Naturrechtsgedanken der
Aufklärung, der dem Einzelnen individuelle Rechte zusprach.»
Dass sich die Liberalen in Luzern mit dem Veto als Volksrecht schwer taten, verwundert auf Grund ihres Menschenbildes nicht; dass sich die Frühsozialisten hingegen dafür einsetzten, gereicht ihnen zur Ehre und lässt sich durch Rocas Analyse ihrer Zeitschrift gut nachvollziehen – mag aber auch den heutigen Spät-Sozialisten oder sozialen Demokraten Ansporn sein, sich auf dieses zarte Glied der eigenen Wurzeln zu besinnen ...
Dass sich die Liberalen in Luzern mit dem Veto als Volksrecht schwer taten, verwundert auf Grund ihres Menschenbildes nicht; dass sich die Frühsozialisten hingegen dafür einsetzten, gereicht ihnen zur Ehre und lässt sich durch Rocas Analyse ihrer Zeitschrift gut nachvollziehen – mag aber auch den heutigen Spät-Sozialisten oder sozialen Demokraten Ansporn sein, sich auf dieses zarte Glied der eigenen Wurzeln zu besinnen ...
2. Element: Genossenschaftsprinzip
Als zweites Theorie-Element der direkten Demokratie
nennt Roca das Genossenschaftsprinzip. In klarer Abgrenzung zur
ideologiegeleiteten Historikerzunft, die der Eidgenossenschaft eine
eigenständige Entwicklung absprechen will und Napoleon als grossen
Promotor von Neuerungen propagiert – mit der oben schon genannten,
seiner Niedertracht wegen hier aber wiederholten durchsichtigen
Zielsetzung, die Schweiz heute für den EU- und/oder Nato-Beitritt ihrer
Würde zu berauben –, lässt der Autor unter anderen Adolf Gasser zu Worte
kommen, mithin den grossen Erforscher der Gemeindeautonomie. Gasser
schreibt: «Im Gegensatz zu den monarchischen Staatssystemen, wie
England, Frankreich oder Deutsches Reich, lag also die ursprüngliche
Staatsgewalt nicht bei der Krone von Gottes Gnaden, sondern in den
dezentralisierten Einheiten. In der Schweiz darf deshalb mit Fug
behauptet werden, dass sich die Grundlage der modernen Staatsgewalt und
Souveränität aus der Volkssouveränität der Gemeinde und des Kantons von
unten nach oben entwickelt hat.»
Roca betont, dass die Willensnation Schweiz, wie wir sie heute schätzen, nie hätte entstehen können, wenn nicht die Genossenschaften gemeinschaftsbildend und integrierend gewirkt hätten, und dies schon im Ancien régime, zu einer Zeit, als in Europa feudale Herrschaftsordnungen vorherrschend waren. Was damals schon als Gegenmodell zum Herrschaftsprinzip mit seinem Top-down-Zugriff, also dem Befehlen von oben nach unten, aufgefasst und von den Herrschaftsstaatsvertretern argwöhnisch beobachtet und erwähnt wurde – um wieviel mehr ist der in den Gemeinden konkretisierte genossenschaftliche Aufbau von unten nach oben heute ein Dorn im Auge derer, die die Bevölkerung nicht als souverän, sondern lediglich als Stimmvieh und Konsumenten sehen und sie in utilitaristischer Manier zur Ausbeutung bzw. gar zum Abschuss freigeben. So geschehen in den ressourcenreichen Ländern, wohl aber bald auch in den südlichen Ländern der EU, wenn die Plünderungen durch die Banken so weitergehen und die Bevölkerung sich zu wehren beginnt. Eurogendfor, die schnelle Eingreiftruppe der EU und damit der Finanzoligarchen, steht Gewehr bei Fuss bereit.
Dass die soziale Frage und deren Lösung immer auch mit dem Grad an direkter Demokratie verknüpft ist, ist nicht nur heute ein brennendes Thema, es war dies auch im 19. Jahrhundert, war doch die Gemeindefreiheit immer auch von der Dimension einer kommunalen Gemeinschaftsethik geprägt, wie Roca aufzeigt. Ohne die Entwicklung und Diskussion von Tugenden, die durch Volks- und Gemütsbildung auf der Grundlage von Johann Heinrich Pestalozzis humanistischen Erziehungsidealen zu stiften waren, wäre ein Aufbau von unten nach oben, der immer auch das Gemeinwohl, das Bonum commune im Auge behält, damals nicht denkbar gewesen und ist es auch heute nicht.
Roca betont, dass die Willensnation Schweiz, wie wir sie heute schätzen, nie hätte entstehen können, wenn nicht die Genossenschaften gemeinschaftsbildend und integrierend gewirkt hätten, und dies schon im Ancien régime, zu einer Zeit, als in Europa feudale Herrschaftsordnungen vorherrschend waren. Was damals schon als Gegenmodell zum Herrschaftsprinzip mit seinem Top-down-Zugriff, also dem Befehlen von oben nach unten, aufgefasst und von den Herrschaftsstaatsvertretern argwöhnisch beobachtet und erwähnt wurde – um wieviel mehr ist der in den Gemeinden konkretisierte genossenschaftliche Aufbau von unten nach oben heute ein Dorn im Auge derer, die die Bevölkerung nicht als souverän, sondern lediglich als Stimmvieh und Konsumenten sehen und sie in utilitaristischer Manier zur Ausbeutung bzw. gar zum Abschuss freigeben. So geschehen in den ressourcenreichen Ländern, wohl aber bald auch in den südlichen Ländern der EU, wenn die Plünderungen durch die Banken so weitergehen und die Bevölkerung sich zu wehren beginnt. Eurogendfor, die schnelle Eingreiftruppe der EU und damit der Finanzoligarchen, steht Gewehr bei Fuss bereit.
Dass die soziale Frage und deren Lösung immer auch mit dem Grad an direkter Demokratie verknüpft ist, ist nicht nur heute ein brennendes Thema, es war dies auch im 19. Jahrhundert, war doch die Gemeindefreiheit immer auch von der Dimension einer kommunalen Gemeinschaftsethik geprägt, wie Roca aufzeigt. Ohne die Entwicklung und Diskussion von Tugenden, die durch Volks- und Gemütsbildung auf der Grundlage von Johann Heinrich Pestalozzis humanistischen Erziehungsidealen zu stiften waren, wäre ein Aufbau von unten nach oben, der immer auch das Gemeinwohl, das Bonum commune im Auge behält, damals nicht denkbar gewesen und ist es auch heute nicht.
3. Element: Volkssouveränität
Das dritte Element von Rocas Theorie der direkten
Demokratie bildet die Volkssouveränität. Will die Volkssouveränität
wirklich gelebt werden und nicht bloss ein Schatten ihrer selbst
bleiben, muss sie gemäss Roca auf der Praxis von autonomen,
genossenschaftlich verankerten Gemeinden aufbauen und mit den
Instrumenten des obengenannten Vetos oder des Referendums, später auch
der Initiative, konkretisiert werden, und zwar auf Kantons- wie auf
Bundesebene.
Wenn sich die frühen Liberalen auf die Volkssouveränität beriefen, war dies zwar ein Fortschritt in der damaligen Zeit, ging aber nie über die Vorstellung hinaus, dass nicht etwa das Volk als Summe der Bürger souverän sei, sondern immer nur die Vernunft an sich, die sich lediglich in den Repräsentanten des Volkes ausdrücken könne – sprich in liberalen Repräsentanten, die immerhin vom Volk gewählt sind. Danach, nach dem Wahlakt, springe die Souveränität dann aber für die Zeit der Amtsperiode auf die Volksvertreter über – so der fast metaphysisch anmutende Deutungsansatz der doch sonst so rational und der Aufklärung verpflichteten liberalen Eliten. Nur die Radikalen innerhalb der liberalen Bewegung gingen hier bis 1848 einen Schritt weiter, das Misstrauen der liberalen Mehrheit gegenüber dem Volk aber blieb bestehen und schuf sich Raum in Äusserungen über die zu befürchtende Ochlokratie, die Pöbelherrschaft.
Ganz anders, und darauf legt Roca besonderen Wert, die sogenannten ländlichen Demokraten in Luzern, die dem katholisch-konservativen Segment der Bevölkerung angehörten, für die liberale Nach-Sonderbunds-Siegergeschichtsschreibung also die «reaktionären Ewiggestrigen». Aber gerade diese katholisch-konservative Gruppe, so Roca weiter, war es, die den direktdemokratischen Ansatz Rousseaus mit seiner «volonté générale» in die politische Realität übertrug. So schrieben sie in einer ihrer Zeitungen: «Faktisch kann aber nur dasjenige Volk souverän genannt werden, welches über dem seinen keinen fremden Willen als Gesetzgeber anerkennt.» Und weiter: Die Volkssouveränität folge einer «Lehre, welche aus der Natur des Menschen hin zur Bildung des gesellschaftlichen Zustandes fliesst und die das gute liebe Volk nur zum Herrn seiner selbst macht». Aussagen, die ohne Nennung der Autorenschaft von der Mehrheit der heutigen Bürger wohl spontan, das heisst als Resultat der liberalen Siegergeschichtsschreibung sogenannt «fortschrittlichen» Gruppen zugeordnet würden. Ein Umstand, der deutlich werden lässt, wie dringend die von Roca initiierte Forschungsarbeit für den Bestand unserer Willensnation Schweiz ist, denn ohne die Kenntnis der eigenen Vergangenheit, die Würdigung der Leistungen aller Beteiligten, hier also nicht nur der Liberalen und Frühsozialisten, sondern eben auch der Katholisch-Konservativen, aber auch der welschen Schule der Naturrechtslehre, ohne diese vertieften Kenntnisse wird es heute nicht gelingen, die Menschen in anderen Landesteilen, Menschen anderen Glaubens, anderer politischer Überzeugung und anderer Sprache als Teil eines Ganzen zu verstehen und zu würdigen: und zwar als Teil eines grossartigen Experiments, welches allen Menschen auf dieser Welt zu wünschen wäre: als Teil des Modells der direkten Demokratie.
Wenn sich die frühen Liberalen auf die Volkssouveränität beriefen, war dies zwar ein Fortschritt in der damaligen Zeit, ging aber nie über die Vorstellung hinaus, dass nicht etwa das Volk als Summe der Bürger souverän sei, sondern immer nur die Vernunft an sich, die sich lediglich in den Repräsentanten des Volkes ausdrücken könne – sprich in liberalen Repräsentanten, die immerhin vom Volk gewählt sind. Danach, nach dem Wahlakt, springe die Souveränität dann aber für die Zeit der Amtsperiode auf die Volksvertreter über – so der fast metaphysisch anmutende Deutungsansatz der doch sonst so rational und der Aufklärung verpflichteten liberalen Eliten. Nur die Radikalen innerhalb der liberalen Bewegung gingen hier bis 1848 einen Schritt weiter, das Misstrauen der liberalen Mehrheit gegenüber dem Volk aber blieb bestehen und schuf sich Raum in Äusserungen über die zu befürchtende Ochlokratie, die Pöbelherrschaft.
Ganz anders, und darauf legt Roca besonderen Wert, die sogenannten ländlichen Demokraten in Luzern, die dem katholisch-konservativen Segment der Bevölkerung angehörten, für die liberale Nach-Sonderbunds-Siegergeschichtsschreibung also die «reaktionären Ewiggestrigen». Aber gerade diese katholisch-konservative Gruppe, so Roca weiter, war es, die den direktdemokratischen Ansatz Rousseaus mit seiner «volonté générale» in die politische Realität übertrug. So schrieben sie in einer ihrer Zeitungen: «Faktisch kann aber nur dasjenige Volk souverän genannt werden, welches über dem seinen keinen fremden Willen als Gesetzgeber anerkennt.» Und weiter: Die Volkssouveränität folge einer «Lehre, welche aus der Natur des Menschen hin zur Bildung des gesellschaftlichen Zustandes fliesst und die das gute liebe Volk nur zum Herrn seiner selbst macht». Aussagen, die ohne Nennung der Autorenschaft von der Mehrheit der heutigen Bürger wohl spontan, das heisst als Resultat der liberalen Siegergeschichtsschreibung sogenannt «fortschrittlichen» Gruppen zugeordnet würden. Ein Umstand, der deutlich werden lässt, wie dringend die von Roca initiierte Forschungsarbeit für den Bestand unserer Willensnation Schweiz ist, denn ohne die Kenntnis der eigenen Vergangenheit, die Würdigung der Leistungen aller Beteiligten, hier also nicht nur der Liberalen und Frühsozialisten, sondern eben auch der Katholisch-Konservativen, aber auch der welschen Schule der Naturrechtslehre, ohne diese vertieften Kenntnisse wird es heute nicht gelingen, die Menschen in anderen Landesteilen, Menschen anderen Glaubens, anderer politischer Überzeugung und anderer Sprache als Teil eines Ganzen zu verstehen und zu würdigen: und zwar als Teil eines grossartigen Experiments, welches allen Menschen auf dieser Welt zu wünschen wäre: als Teil des Modells der direkten Demokratie.
Direkte Demokratie: ein Friedensmodell auch für andere Länder
Möge Rocas Forschungen Erfolg beschieden sein, zur
Bestärkung des Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins, aber auch
der Selbstachtung der Schweizer Bevölkerung, zur Würdigung des
Sonderfalles Schweiz, und zwar in zweierlei Hinsicht: dass er, der
Sonderfall, uns als Friedensmodell, nicht zuletzt auch in
sozioökonomischer Hinsicht, erhalten bleibe, dass er aber auch
ausstrahlen möge auf das übrige Europa und darüber hinaus – wenn dann
der Sonderfall keiner mehr sein sollte, weil Usus auch in anderen
Ländern, wäre niemand glücklicher darüber als die Schweizer: aber nur,
wenn das Umfeld sich ebenfalls darum bemüht, die Souveränität wirklich
zur Bevölkerung zurückzuholen. Dass dies lange dauern kann, zeigt Roca
in seiner Arbeit zur Genüge. Dass man sich vor Rückschlägen nicht
abhalten lassen darf, muss klar sein. Dass es sich aber lohnt, zeigt die
Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Bürger in unserem Lande.
Wollen sich die übrigen Bürger der umliegenden Länder diese Freiheiten
und Rechte ebenfalls erkämpfen und der Elite abtrotzen, werden die
Schweizer Bürger noch so gerne die Bruderhand reichen. Zum Aufbau einer
Diktatur, wie dies gegenwärtig in der EU mit dem ESM geschieht, hingegen
nie und nimmer! •
Roca, René. Wenn die Volkssouveränität wirklich
eine Wahrheit werden soll … Die schweizerische direkte Demokratie in
Theorie und Praxis – Das Beispiel des Kantons Luzern. Schriften zur
Demokratieforschung, Band 6. Herausgegeben durch das Zentrum für
Demokratie Aarau. Zürich 2012. ISBN 978-3-7255-6694-5.
«In diesem Sinne wäre die Schweiz kein
föderalistisches und direktdemokratisches Staatswesen geworden, wenn
sich die radikal-liberalen, antiklerikalen und zum Teil auch
zentralistischen Elemente widerstandslos durchgesetzt hätten. Gerade
weil sich die katholische Kirche spätestens seit der Gründung der
«Schule von Salamanca» mit der Verbindung von christlichem und modernem
Naturrecht auseinandersetzte und das personale Menschenbild in den
Vordergrund rückte, gelang katholisch-konservativen Kreisen – im Kanton
Luzern waren es ab 1831 die ländlichen Demokraten – die christliche
Sozialethik mit einer modernen direktdemokratischen Verfassung fruchtbar
zu verbinden.» (Roca, S.222f.)
«Das moderne Naturrecht ist mit seinem personalen
Menschenbild eine Conditio sine qua non für die Einrichtung
demokratischer und insbesondere direktdemokratischer Strukturen. Das
moderne Naturrecht, das seinen Ausgang im 16. Jahrhundert nahm, besitzt
theologische Wurzeln. Die ‹Säkularisierung› des Naturrechts war ein
ungemein komplexer Prozess, wobei Juristen und Theologen (Dominikaner
und Jesuiten) die theologische Tradition sehr frei und eigenwillig
weiterentwickelten. Die Verbindung von christlichem und modernem
Naturrecht vollzogen sie auf der Basis des Personalitätsprinzips, das
die Aufklärer des 18. Jahrhunderts zumeist adaptierten. Das aus dem
Personalitätsprinzip resultierende personale Menschenbild war ein
entscheidendes Grundprinzip einer demokratischen Gesellschaftslehre.»
(Roca, S.223)
(Quelle: Zeit-Fragen)
(Quelle: Zeit-Fragen)
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