Der Weg bis hin zum Ersten Weltkrieg, dessen Ausbruch sich heuer zum 100. Male jährt, war in der Geschichte des mitteleuropäischen Zentralraumes geprägt vom deutschen Dualismus zwischen Brandenburg-Preußen und der Habsburger Monarchie. Das 18.und 19. Jahrhundert brachte immer wieder unselige Bruderkämpfe,in die sich auch auswärtige Mächte einmischten, allen voran Frankreich, aber auch Rußland und England, oft verbündet mit deutschen Reichsfürsten. Ein Bild der Zerrissenheit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation von den verschiedenen Erbfolgekriegen über die Befreiungskriege gegen die napoleonische Usurpation bis zum deutsch-französischen Krieg von 1870/71 als einen der Höhepunkte der „Erbfeindschaft“. Ergebnis dieser Auseinandersetzung war die Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles. Alle deutschen Fürstentümer und Länder waren nun in einem Reich vereinigt, wie es nach dem Ende des Ersten Reiches im Jahre 1806 vor allem im Revolutionsjahr 1848 erträumt worden war.
Ausgeschlossen vom deutschen Nationalstaat blieben freilich die Deutschen in Österreich-Ungarn: nach dem letzten Bruderkrieg von 1866 hatte Bismarck die Habsburger zugunsten der Hohenzollern aus der deutschen Politik verdrängt, sicher auch bedingt durch die Inkonsequenz Österreichs. Wie schon 1648 wurde nun verstärkt in südosteuropäische Bereiche abgedrängt, wobei sich der Balkan rasch zu einem europäischen Krisenherd ersten Ranges entwickeln sollte.
Hatten sich im Verlauf des 19.Jahrhunderts die meisten Balkanstaaten von der osmanisch-türkischen Herrschaft befreien können, so blieben doch territoriale Probleme bestehen. Das Königreich Serbien entwickelte sich zu einem entscheidenden Machtfaktor vor allem gegen Österreich. Der Berliner Kongreß von 1878 wurde durch den Reichskanzler Bismarck Schauplatz wichtiger Entscheidungen für diese Region: neben der Vereinigung der Moldau und Walachei zum rumänischen Staat wurde Bosnien-Herzegowina durch Österreich okkupiert. Das brachte eine von Deutschen und Ungarn ungern gesehene Verstärkung des slawischen Elements mit sich, aber auch die Gegnerschaft Serbiens, da in den beiden Regionen neben Kroaten und Muselmanen viele orthodoxe Serben außerhalb ihres Mutterlandes verblieben. Als quasi natürlicher Verbündeter Serbiens etablierte sich bis 1914 Rußland: der Zar als geistliches Oberhaupt aller Orthodoxen, der aber auch imperialistische Ziele im Hinblick auf die begehrenswerten Meerengen Bosporus-Dardanellen verfolgte. Andererseits war mit dem 1871 geschlagenen Frankreich zu rechnen: hier blieb bis 1914 die Frage Elsaß-Lothringen virulent, die beiden urdeutschen Länder, die nach 1648 zu Frankreich und eben 1871 an Deutschland gekommen waren; der französische Revanchismus wurde immer wieder betont.
In dieser Situation wurde am 7.Oktober 1879 der Zweibund zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn abgeschlossen, ein geheimer Defensivvertrag, dem 1882 auch das geeinigte Königreich Italien beitrat. Mit Russland schloß Deutschland im Juni 1887einen Rückversicherungsvertrag ab, der allerdings durch den persönlichkeitsbedingt oft martialisch auftretenden Kaiser Wilhelm II. nach 1890 nicht mehr erneuert wurde. Auf der anderen Seitebeendeten 1904 Frankreich und England durch die „Entente cordiale“ ihre alten Differenzen und bereiteten damit ein Defensivbündnis gegen das Reich vor. 1907 trat Rußland diesem Bündnis bei und rundete mit dieser „Triple Entente“ die Mächtekonstellation ab.
Die oft beklagte Einkreisung der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn war perfekt! Überdies fand im Sommer 1909 in der russischen Hauptstadt St. Petersburg ein Slawen-Kongreß statt: die am 5. Oktober 1908 erfolgte Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Österreich wurde als Provokation empfunden und dagegen ein panslawistisches Bündnis unter russischer Führung projektiert. In den Jahren 1912 und 1913 tobten zwei Balkankriege, denen ein antitürkisches und dann antiösterreichisches Bündnis unter bulgarischer und dann serbischer Führung vorausgegangen war. Die dominante Stellung Serbiens konnte nur gegen Österreich gerichtet sein, und so fielen am 28. Juni 1914 die verhängnisvollen Schüsse von Sarajewo: der proslawische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin wurden vom Serben Gavrillo Princip ermordet; im Hintergrund stand ganz offensichtlich der serbische Geheimbund „Schwarze Hand“, der bis in die höchsten Regierungskreise reichte. Aber auch andere europäische Geheimbünde und internationale Finanzkreise hatten ihre Hände im Spiel. Von Politikern und Historikern wurden seither immer wieder Fragen nach der „Kriegsschuld“ auf geworfen und Vorwürfe erhoben, vor allem freilich als politisches Instrument gegen die Verlierer des großen Krieges.
Meistens wurde und wird der Nationalismus als treibende Kraft angeklagt, neuerdings werden neben der reichsdeutschen Seite vor allem Kaiser Franz Josef und der Generalstabschef Conrad von Hötzendorf als Kriegstreiber schlechthin apostrophiert! Tatsächliche „Schuld“ haben freilich – und das sei ausdrücklich betont – a l l e am Ersten Weltkrieg beteiligten Staaten auf sich geladen. War der Besuch des Thronfolgers ausgerechnet an dem für die Serben in Erinnerung an die Schlacht am Amselfeld von 1389 heiligen Veitstag eine Provokation, so war das österreichische Ultimatum vom 23. Juli 1914 in der Formulierung sicher auch kein diplomatisches Glanzstück. Ob aber die europäischen Politiker wie „Schlafwandler“ in den Krieg gegangen sind, wie unlängst ein australischer Autor getitelt hat, sei dahingestellt. Sehr bald erfolgten russische und deutsche Unterstützungserklärungen für die eine und andere Seite, Ende Juli gab es in St. Petersburg französisch-russische Geheimgespräche mit Bekenntnissen zur serbischen Souveränität. Am 25. Juli beschloß der russische Kronrat in Krasnoje Selo die direkte Unterstützung Serbiens, und am 28. erfolgte schließlich trotz deutscher und anderer Vermittlungsversuche die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien.
Zwei Tage später erfolgte die russische Generalmobilmachung, einen Tag darauf die österreichisch- ungarische und französische. Nach dem Deutschland von Rußland die Aufhebung der Mobilmachung gefordert und darauf keine Antwort erhalten hatte, erfolgte am 1. August die deutsche Generalmobilmachung und die Kriegserklärung an Rußland und wenig später an Frankreich.
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien, wie es der deutsche Generalstab aus strategischen Gründen gemäß dem Schlieffen-Plan gefordert hatte, stellte England, ein erklärter Gegner deutscher Wirtschaftsexpansion und der Flottenaufrüstung durch Tirpitz, ein Ultimatum an das Reich, in dem die Respektierung der Neutralität Belgiens gefordert wurde, die allerdings zu diesem Zeitpunkt durch die Zusammenarbeit mit Frankreich mehr als fraglich geworden war .Dieses Ultimatum bedeutete nichts anderes als die englische Kriegserklärung an Deutschland, worauf sich weitere wechselseitige Kriegserklärungen förmlich überschlugen.
Zum Weltkrieg wurde der militärische Konflikt bereits am 23. August 1914 durch die Kriegserklärung Japans an Deutschland und im November durch die russische-englisch-französische Kriegserklärung an die jetzt überwiegend asiatische Türkei. Folgenschwer für die Mittelmächte war das Übergehen des bisherigen Verbündeten Italien auf die Seite der Alliierten: der Londoner Vertrag vom April 1915 hatte den Italienern die Brennergrenze, Istrien, Dalmatien, Libyen und Gebiete in Kleinasien zugesichert; im Mai bzw. im August erfolgten die Kriegserklärungen an Österreich-Ungarn und Deutschland. Im gleichen Jahr schloß sich Bulgarien diesen beiden Ländern an, während Rumänien, dem Siebenbürgen und das Banat in Aussicht gestellt wurde, 1916 und Griechenland 1917 auf die Seite der Alliierten traten.
Noch folgenschwerer wurde der fadenscheinig mit dem deutschen U-Boot-Krieg begründete Kriegseintritt der USA im gleichen Jahr; Wilsons 14-Punkte-Programm sollte sich später als verhängnisvoll erweisen.
So verbluteten in vier Kriegsjahren die europäischen Völker auf den Schlachtfeldern und im Stellungskrieg in Frankreich – Verdun wurde zu einem Fanal des Grauens, - in Flandern – hier war es Langemarck - , in Galizien, in den Dolomiten und am Balkan. Der erste moderne Krieg der Weltgeschichte wurde technisiert nun auch in der Luft geführt, die Meere sahen Schlachten wie am Skagerrak, es wurden die ersten U-Boote eingesetzt und am Festland die ersten Tanks bzw. Panzer. Leidtragende waren nicht nur die Soldaten, sondern zunehmend auch die Zivilbevölkerung. Besonders in Deutschland und in Österreich brach die Versorgung der Menschen, also vor allem der Kinder, Frauen und alten Leute zusammen; die seit Februar 1915 einsetzende völkerrechtswidrige Hungerblockade der Engländer wirkte sich bis in die Nachkriegszeit verheerend aus. Rußland brach 1917 als erstes zusammen, nach einer bürgerlichen und einer bolschewistischen Revolution wurde der Zar abgesetzt und später ermordet, mit dem Frieden von Brest-Litowsk schied es aus dem Krieg aus. Die Mittelmächte durften jetzt hoffen, nachdem sie bereits1916 mit der Wiedererrichtung Polens eine Befriedungsaktion eingeleitet hatten. Letztendlich waren aber alle Anstrengungen umsonst, die Materialüberlegenheit vor allem der USA wirkte sich kriegsentscheidend aus. Friedensfühler der Mittelmächte wurden ignoriert oder waren einfach lächerlich, wie die Aktion des letzten österreichischen Kaisers Karl, der in der „Sixtusaffäre“ einen Vertrauensbruch an deutschen Bundesgenossen beging. Das Ende kam schnell. Nach dem Waffenstillstand vom November 1918 folgten die Zertrümmerung der mitteleuropäischen Monarchien und mit den Pariser Vororteverträgen von Versailles, Saint Germain und Trianon die Friedensdiktate. Österreich-Ungarn wurde in Nationalstaaten aufgeteilt, Millionen Deutsche wie Ungarn wurden fremden Staaten unterstellt, dem deutschen Rest-Österreich ohne Südtirol und Untersteiermark der Anschluß an Deutschland verboten. Den Deutschen im Reich, von denen es nach Ansicht französischer Politiker 20 Millionen zu viel gab, wurden bedeutende Gebietsabtretungen von Elsaß-Lothringen, Nordschleswig bis nach Westpreußen und Oberschlesien diktiert, sinnlosungeheuerliche Reparationen bis in die 80erJahre des vorigen Jahrhunderts auferlegt, Industrieanlagen demontiert und das Heer auf 100.000 Mannabgerüstet. Diese „Friedens“-Diktate führten zu einem völligen politisch- wirtschaftlich- moralischen Niedergang der deutschen Mitte Europasund legten den Keim zum nächsten Weltkrieg, der den „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“ abschloß und mit dem völligen Zusammenbruch Deutschlands enden sollte.
Der Autor Univ.Prof.i.R. Dr.Reinhard R. HEINISCH ist Historiker und wirkte ab 1967 am Institut für Geschichte der Universität Salzburg, ab 1980 als a.o. Professor. Er ist auch Präsident der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde.
(Quelle: Wegwarte 3 /2014)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen