„Deutschland wurde nie richtig souverän“
Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider über die internationale Stellung der Bundesrepublik und warum die Parteien und der „Kampf gegen rechts“ gegen das Grundgesetz verstoßen
Das Grundgesetz ist ein Provisorium, das nun schon seit 60 Jahren besteht. Wie lebt es sich damit?
Karl Albrecht Schachtschneider: Mit dem
Grundgesetz würde es sich gut leben lassen, und ich halte es für eine
gute Verfassung. Am Anfang waren die Grundprinzipien des Rechts – also
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Demokratie – gut verwirklicht.
Aber seit den späten 60er Jahren stimmt unsere Verfassungswirklichkeit
zunehmend weniger mit dem Grundgesetz überein, ja man kann sagen, daß
das Grundgesetz gegenwärtig eigentlich bedeutungslos geworden ist.
Und was ist der Grund dafür?
Schachtschneider: Der Grund ist natürlich
die Integration in die Europäische Union. Denn ein erklärtes Ziel der
ganzen europäischen Integration war ja immer die Einbindung
Deutschlands, weil die Mächtigen dieser Welt nie bereit waren,
Deutschland eigenständig werden zu lassen.
Wirklich souverän ist Deutschland nie geworden,
trotz des Deutschlandvertrages 1955 und auch nicht durch den 2+4-Vertrag
1990. Das zeigt sich schon daran, daß Deutschland sich nicht
eigenständig militärisch entfalten kann, also z. B. gar nicht in der
Lage wäre, sich zu verteidigen, es kann sich nicht so bewaffnen, wie
gegebenenfalls Angreifer bewaffnet wären, und ein solches Land ist nicht
wirklich eigenständig souverän. Aber die Europäische Integration diente
ganz entschieden auch der Einbindung Deutschlands, weil man auch ohne
Deutschland schlecht Europa beherrschen kann und ohne Europa schlecht
Eurasien und ohne Eurasien schlecht die Welt.
Ohne die Zustimmung der Westmächte gäbe es
das Grundgesetz nicht und damit keine Bundesrepublik wie wir sie heute
kennen. Ist die Bundesrepublik, provokant formuliert, so ein Projekt der
Sieger des Zweiten Weltkrieges?
Schachtschneider: Das ist sie zumindest
auch. Aber man darf auch nicht übersehen, daß sehr viele kulturelle
Elemente Deutschlands da eingeflossen sind. Der Text wäre
höchstwahrscheinlich nicht viel anders gewesen, wenn die Alliierten
keinen Einfluß genommen hätten. Die hatten die Besatzungsmacht und die
Hoheit, aber die deutschen Parlamentarier, also der Parlamentarische
Rat, haben großen Einfluß gehabt und den Alliierten viel abgerungen,
insbesondere Carlo Schmid, der wesentliche Aspekte formuliert hat. Daher
würde ich sagen, daß nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs das
Grundgesetz eine Fortsetzung der nie in Kraft getretenen Verfassung von
1849 und auch der Weimarer Reichsverfassung ist und in der Kontinuität
deutscher Verfassungsgeschichte steht und keine oktroyierte Verfassung
ist. Wenn man z. B. die Definition der Freiheit nimmt, dann wird sie mit
dem Sittengesetz definiert uns ist nun mal reiner Kantianismus und sehr
deutsch. Und der Föderalismus ist amerikanisch, aber auch deutsch und
auch österreichisch.
In der Charta der Vereinigten Nationen gibt
es noch immer die Feindstaatenklausel. Ist Deutschland eigentlich ein
Mitglied zweiter Klasse der internationalen Gemeinschaft?
Schachtschneider: Ja, allemal! Solange die
Feindstaatenklausel in der Charta der Vereinten Nationen steht, ist
Deutschland kein voll akzeptiertes Mitglied.
Und was sind die Folgen?
Schachtschneider: Die Folgen sind
sicherlich die schon angedeutete Politik, daß man eben darauf achtet,
daß Deutschland militärisch nicht eigenständig ist, weil Deutschland als
Problem empfunden wird. Ich denke, daß im Ernstfall auf Deutschland,
falls es die Einbindung in die europäische Integration aufkündigen
würde, ein ganz erheblicher Druck, auch von den Vereinigten Staaten
ausgeübt werden würde. Und sollte Deutschland bei dieser Politik
bleiben, dann bestünde die Gefahr militärischer Maßnahmen. Also ist
Deutschland zu dieser Politik gezwungen und kann nicht Mitglied des
Sicherheitsrates mit vollem Stimmrecht sein und vieles andere mehr.
Aber dafür darf Deutschland zahlen.
Schachtschneider: Zahlen darf man immer!
Das ist ganz klar. Deutschland muß sich immer das Wohlwollen erkaufen
und leider ist die deutsche Öffentlichkeit da auch wenig informiert und
auch nicht so wirklich interessiert. Das ist durch einen erheblichen
Wohlstand ermöglicht worden und ich höre und hörte immer wieder den
Satz: „Wenn es uns doch gut geht, wen interessieren die politischen
Ereignisse“.
In Österreich wird immer kritisiert, daß die
Demokratie von einem Parteienstaat überdeckt und geschwächt wird.
Trifft dieser Befund auch auf die Bundesrepublik zu?
Schachtschneider: Uneingeschränkt! Also ich
halte den Parteienstaat, so wie wir ihn haben, für eine Fehlentwicklung
der Demokratie und eine Verfallserscheinung der Republik im alten
aristotelischen Sinne. Wären die Parteien anders strukturiert, nämlich
freiheitlich, dann wäre das in Ordnung. Es wird immer Parteien geben,
sie aber zu einem Strukturelement des politischen Systems zu machen, wie
es von der Gesetzgebung mit Förderung durch das
Bundesverfassungsgericht geschehen ist, widerspricht dem Grundgesetz,
wonach die Parteien bei der Willensbildung mitwirken. Das Problem ist,
daß die Parteien innerlich nicht offen, sondern festgefügt sind. Offene
Mitgliedschaften und innere Demokratie sind nicht durchgesetzt worden,
und statt dessen wurden – auch vom Bundesverfassungsgericht – Führung,
Geschlossenheit und Gefolgschaft zu Strukturprinzipien der Parteien
erklärt.
Und damit wären eigentlich die Parteien grundgesetzwidrig …
Schachtschneider: Ich halte es für
grundgesetzwidrig. Denn im Grundgesetz steht, die innere Ordnung der
Parteien muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Das tun sie aber
nicht, denn demokratische Grundsätze bedeuten nicht nur, daß die
Funktionäre gewählt werden, sondern zur Demokratie gehört auch, daß
demokratische Grundsätze gelebt werden, etwa das Recht der freien Rede.
Dieses Recht der freien Rede hat man aber nicht in der Partei, und es
gibt auch keinen Rechtsschutz. Die Parteigerichtsbarkeit geht in
Deutschland über drei Instanzen und erst danach können Sie mit sehr
geringen Rechtsschutzmaßstäben zu ordentlichen Gerichten gehen. Also
haben sie praktisch keinen Rechtsschutz in den Parteien den wichtigsten
politischen Institutionen.
Im politischen Leben der Bundesrepublik
spielt der sogenannte „Kampf gegen Rechts“ eine große Rolle. Inwieweit
ist dieser eigentlich mit dem Grundgesetz vereinbar?
Schachtschneider: Überhaupt nicht! Es ist
unfaßbar, daß sich das in dieser Formulierung etablieren konnte. Daß
extremistische Parteien, wenn sie die verfassungsmäßige Ordnung der
Bundesrepublik Deutschland oder die öffentliche Ordnung gefährden,
zurückgedrängt werden, steht im Grundgesetz und dafür gibt es ein
Verfahren. Aber wie schwer sich das Bundesverfassungsgericht bei
Verbotsverfahren tut, zeigte sich bei der NPD. Aus guten Gründen hat das
Bundesverfassungsgericht den Verbotsantrag abgelehnt, weil Äußerungen
nicht der NPD, sondern dem Verfassungsschutz zugeordnet werden mußten.
Und auch die Medien spielen eine unheilvolle Rolle: Anstatt die freie
Rede und das freie Wort zu pflegen, gibt es wieder diesen für
Deutschland typischen Moralismus – und Moralismus ist genau das
Gegenteil von Moral. Also das ist Robespierrescher Tugendterror,
natürlich sind die Terrormaßnahmen nicht ganz so schlimm, aber man wird
öffentlich ruiniert, und der Druck ist ganz enorm. Ich erfahre es ja
selbst, daß einem vorgeschrieben wird, wo man reden darf und wo nicht.
Aber ich nehme darauf keine Rücksicht, denn ich habe einfach die innere
Einstellung, mir nicht von irgendwelchen Zeitungen vorschreiben zu
lassen, mit wem ich reden darf.
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz (ZurZeit.at)
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