2014-08-13

Direkte Demokratie auch in Deutschland

Für die Einreichung des neuen EU-Austritts-Volksbegehrens benötigen die Proponenten noch rund 3000 Unterschriften. Ein Volksbegehren in Österreich erfolgreich und damit ein Gesetzesantrag des Volkes, wenn es mit mindestens 100.000 Unterschriften unterstützt wird. Für die Einreichung werden 1 Promille der Wahlberechtigten gefordert. Bis Anfang Dezember ist noch Zeit, um der Politik ein Zeichen zu setzen, dass Österreich mehrheitlich mit der EU nicht zufrieden ist. Wenn schon die Vereinigten Staaten der EU geschaffen werden - nach den Verträgen von Lissabon, der Einführung der EU-Grundrechtecharta, dem Euro-"Rettungschirmen", der damit geschaffenen Schulden und Haftungsunion, der EZB-Inflationspolitik und den kommenden Knebel-Ausbeuterverträgen TIPS/TTIP bzw. CETA kann das de facto niemand mehr bezweifeln - ,  kann das demokratisch nur eine Mehrheit in einer österreichweiten Volksabstimmung legitimieren. Allein dafür lohnt es sich die vielleicht zehn Minuten zu opfern und das laufende EU-Austritts-Volksbegehren zu unterschreiben. Mit der EU würde Österreich auch aus der EU austreten. Das ist auch Deutschland, der "Zahlmeister" der EU, zu empfehlen. Austritt aus der EU! Aber die unten beschriebene  Initiative in Deutschland "Austritt aus dem ESM" ist sehr zu begrüßen:

 Auf den Spuren demokratischen Denkens in Deutschland 

Unterschriftensammeln für die «Volksinitiative für den ESM-Austritt» im Juni 2014 in Thüringen

von Doris und Gerhard Feigenbutz, Susanne und Matthias Klaus, Andrea Dylla und Volker Schmitz
Am Rande des Marktplatzes von Eisenach stehen 6 Personen mit Faltblättern und Unterschriftenlisten in der Hand sowie einem Plakat mit der Aufschrift «Volksinitiative für den ESM-Austritt». «Wollen Sie, dass wir mit unseren Steuergeldern Banken und Spekulanten retten?» Über diese und ähnliche Fragen kommen wir mit Eisenachern und Touristen ins Gespräch. Einige mussten wir ausführlich informieren, andere – besonders junge Mitbürger – waren gut informiert über die nicht den Europäischen Verträgen entsprechende und auch nicht demokratisch legitimierte Schuldenfinanzierung durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Häufig entwickelten sich längere Gespräche, wobei das Interesse durchaus von gegenseitiger Natur war. Wie leben die Eisenacher, was bewegt sie? Und warum verbringen 6 süddeutsche Touristen ihren Urlaub hier mit Unterschriftensammeln? «Meinen Sie, das nützt was?» werden wir gefragt und erfahren im Gegenzug von niedrigen Renten, Arbeitslosigkeit, vom Leben am Existenzminimum oder schlecht bezahlter Leiharbeit, alles in zunehmendem Masse.
«Wer will schon für sechs Euro die Stunde im Vierschichtbetrieb arbeiten? Die Jungen wandern ab, die Alten bleiben da. Schulen schliessen, Wohnraum steht leer.» Letzteres war uns auch schon aufgefallen. Schlendert man durch die Bezirke zwischen Stadtkern und Wartburg, wird man prächtiger, wunderschön renovierter Gebäude ansichtig. Im Reiseführer lesen wir, dass Eisenach das grösste zusammenhängende Villenviertel Deutschlands aus der Gründerzeit und dem Jugendstil besitzt. Im Altstadtkern mit den aneinandergereihten ebenso schön renovierten Fachwerkhäusern findet sich immer wieder ein leerstehendes, heruntergekommenes Haus mit einem Hinweisschild der Stadt, dass dieses Gebäude im Privatbesitz sei, dass man aber mit dem Besitzer in Verhandlung sei. Investitionen in Instandhaltung – insbesondere unter Beachtung des Denkmalschutzes – lohnen sich eben nur, wenn zahlungskräftige Mieter und Käufer vorhanden sind. Die Bevölkerung Eisenachs schrumpft jedoch beständig. Zwischen 1990 und 2011 hat sie um 17 Prozent abgenommen. Andere Orte Thüringens weisen ähnliche Zahlen auf. Ein Einheimischer beklagte insbesondere die Abwanderung von Ärzten. «Ich sollte mich dringend mal von einem Kardiologen untersuchen lassen. Aber wissen Sie, wie lange ich auf einen Termin warten muss? Ein Jahr!» Menschen mit solchen Sorgen tut es sichtlich gut, auf interessierte Zuhörer zu stossen. Sie erzählen von ihren erwachsenen Kindern, denen sie selbst geraten haben, Thüringen zu verlassen, weil Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten woanders besser sind. Ein älterer Herr meint: «Wissen Sie, wir hören in den Nachrichten, wie gut es Deutschland momentan geht, aber dieser Wohlstand kommt bei vielen hier nicht an!» «Natürlich ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland und Spanien viel schlimmer. Aber wie sind diese Länder denn in diese Situation gekommen? Doch nicht durch uns!» bringt sich seine Frau ins Gespräch ein. «Und jetzt zahlen wir den kreditgebenden deutschen und spanischen Banken Milliarden, und wieder kommt das wenigste davon bei den Menschen an. Und an den Bürgschaften über 190 Milliarden Euro werden die nächsten Generationen schwer tragen», ergänzt der Unterschriftensammler und fährt fort: «Die Griechen haben derartige Auflagen erfüllen müssen, dass sie sich jetzt das Geld lieber selbst auf dem internationalen Kapitalmarkt leihen, als weiter vom ESM geknebelt zu werden. Im übrigen – sollte der Gouverneursrat, der über die Verwendung der Milliarden der Geberländer befindet, sich irren, kann er von keinem Gericht der Welt zur Rechenschaft gezogen werden. Finden Sie das in Ordnung?» Kopfschütteln. «Nein, das kann nicht gutgehen. Geben Sie her, ich unterschreibe das.» Es gibt aber auch Mitbürger, die finden, der Rettungsschirm sei eingerichtet, jetzt müsse man ihn auch durchziehen. Manche haben auch Bedenken, eine Unterschrift zu geben, «Ich unterschreibe nichts mehr» und gehen.
Nach eineinhalb bis zwei Stunden wird es uns in der Mittagssonne zu warm. Wir lassen uns von Einheimischen Tips geben für ein Lokal mit hiesigen Spezialitäten wie Thüringer Klösse mit Kräuterbraten oder Würzfleisch. Wachen Auges schlendern wir durch die beschaulichen Strassen. Man sieht keine verwahrlosten Jugendlichen, aber manch deprimiert wirkenden Älteren. Es gibt noch viel Einzelhandel in kleinen Geschäften hier und weniger gestylte Ladeneinrichtungen als zum Beispiel bei uns in Baden-Württemberg. Es ist ratsam, den Blick auf den Boden zu richten. Das alte Basaltpflaster müsste dringend ausgebessert werden. Aber wie uns ein Anwohner erzählt, sollen sich die Anrainer finanziell beteiligen. Das aber kann nicht jeder, und damit bleibt wohl alles, so wie es ist. Um die Stossdämpfer eines Pkw zu schonen, ist daher die Beachtung der Geschwindigkeitsempfehlung «20km/h» ratsam. Der Strassenbelag und die prächtigen Villen stammen wohl aus der Blüte der Industrialisierung im auslaufenden 19. Jahrhundert, als aufsteigende Firmen wie die Fahrzeugfabrik Eisenach für Arbeitsplätze sorgten. Unzählige so zu Wohlstand gekommene Bürger wählten damals hier ihren Wohnsitz. Ein Fahrzeugmuseum gibt Zeugnis von diesen Zeiten. Kluge Köpfe gab es hier, musikalische und Rebellen. Im historischen Bach-Haus mit Bach-Museum findet sich an Musik interessiertes Publikum aus aller Welt ein. Freunde des Wohltemperierten Klaviers, der Präludien, Fugen und Passionen kommen hier voll auf ihre Kosten. Höhepunkt und Ohrenschmaus der Führung bildet das Spiel eines Organisten auf historischen Instrumenten: zwei Orgeln, einem Cembalo und einem Klavikord. Es klingt wunderbar. Unweit entfernt besuchte Bach wie auch 200 Jahre vor ihm Martin Luther das heute nach letzterem benannte Gymnasium. Sein Abiturzeugnis bekommt ein Eisenacher Gymnasiast heute übrigens im Festsaal der Wartburg überreicht. Ein Besuch dieses Weltkulturerbes darf natürlich nicht fehlen, jenes geschichtsträchtigen Ortes, in dem Martin Luther in Schutzhaft genommenen wurde und in nur 11 Wochen das neue Testament vom Griechischen ins Deutsche übersetzte, was die Grundlage für unsere Schriftsprache bildete. Er wurde nicht Jurist, wie sein gestrenger Vater es gerne gesehen hätte. Aber sein Rechtsempfinden hat ihn zeitlebens geleitet, insbesondere als Ablasshändler durch die Lande zogen, die den Menschen ihre letzten Taler aus der Tasche zogen, um sich von ihren Sünden freizukaufen. Als Luther auch 1521 vor dem Reichstag in Worms seine Lehren nicht widerrief, wurde er zum «vogelfreien Kirchenspalter» erklärt. Friedrich der Weise rettete ihm das Leben, indem er ihn auf der Rückreise entführen und inkognito als «Junker Jörg» für 10 Monate auf die Wartburg bringen liess. Ein Musical, dessen Premiere wir in Eisenach erleben durften, erzählt die wechselvolle Biografie des «Rebells wider Willen». Das Luther-Haus können wir wegen Renovierung gerade nicht besichtigen.
Auf dem Hügel gegenüber der Wartburg thront das Burschenschaftsdenkmal. Hier stehend und Eisenach überblickend empfindet man das Gefühl der Freiheit, um das es jenen Burschenschaftern ging, die sich am 18. Oktober 1817 zum Wartburgfest versammelten. Es wurde eine Protestkundgebung gegen reaktionäre Politik und Kleinstaaterei für einen Nationalstaat mit eigener Verfassung.
Am letzten Abend sichten wir unsere Unterschriftenbögen, ergänzen noch die eine oder andere Postleitzahl und packen unsere Köfferchen. Am Morgen danach verlassen wir sechs mit Kind und Hund das «Alte Bach-Haus» in Eisenach, unser geschmackvoll renoviertes Ferienwohnungsdomizil. Einst war es das Wohnhaus von Johann Ambrosius Bach, dem Vater von Johann Sebastian.
Schön war’s, Land und Leute kennenzulernen, Kultur und Geschichte zu erfahren beim gemeinsamen Unterschriftensammeln. Bereichert fahren wir nach Hause.    •

Leiharbeit

«Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.» (Artikel 23 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) Jeder? Zwar wird dieser Grundsatz auch in der Richtlinie 2008/104/EG der EU bestätigt, jedoch hat Deutschland auf Druck der Industrie eine Ausnahmeregelung erwirkt. Im Durchschnitt erhalten hier Leiharbeitnehmer nur etwa die Hälfte des Lohns von Festangestellten, kein Urlaubs- und kein Weihnachtsgeld oder sonstige Leistungen. Im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil von Leiharbeitnehmern unter drei Prozent, im Kreis Eisenach sind es fast dreimal so viele. In den letzten zehn Jahren ist ihre Zahl bundesweit auf das Zweieinhalbfache gestiegen (so die Bundesagentur für Arbeit). Jeder Vierte arbeitet in Deutschland im Niedriglohnsektor, in Ostdeutschland sind es rund vierzig Prozent der Beschäftigten.

Das Wartburgfest 1817

Am 14. Oktober 1806 schlug Napoleon siegreich die preussischen und sächsischen Armeen in der Schlacht bei Jena. Da die Gefechte auch der Universität schwere Schäden zufügten, entwickelte sich in den Folgejahren unter Professoren und Studenten in Jena starker Widerstand gegen das napoleonische Joch. Viele von ihnen – vor allem Studenten – traten in Scharen dem Lützowschen Freikorps bei. Sie forderten, dass alle Deutschen frei und gleich an Rechten leben können sollten.
Elf Jahre später, am 18. und 19. Oktober 1817, fand in Eisenach anlässlich des 300. Jahrestages des Thesenanschlags Martin Luthers das Wartburgfest statt. Es liess zum einen das Gedenken an die Reformation aufleben, zum anderen gedachte man des 4. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig, als im Oktober 1813 die Preussen über Frankreich siegten, allerdings mit einer Bilanz von 90 000 Toten. Dies stiess eine nationale Bewegung an. Das entstehende Nationalgefühl liess den Wunsch nach einem einheitlichen deutschen Staat aufkeimen. Mehr als 500 versammelte Studenten und einige Professoren aus fast allen deutschen Universitäten formulierten auf der Wartburg oberhalb von Eisenach ihre liberalen und demokratischen Vorstellungen. Die «Grundsätze des 18. Oktobers» nahmen mit ihren Forderungen nach staatlicher Einheit mit einheitlichem deutschen Recht sowie Rede- und Pressefreiheit das nationale Programm der nächsten 50 Jahre vorweg.
Hier ist auch die Geburtsstätte der deutschen Nationalfarben angesiedelt. Aus den Farben des Lützower Freikorps (schwarzer Mantel mit roten Stulpen und goldenen Knöpfen) und den Flaggenfarben der Jenaer Burschenschaft (schwarz und rot mit einer goldenen Ähre) generierte sich am Hambacher Fest am 27. Mai 1832 zum Zeichen des deutschen Einheits- und Freiheitsstrebens die deutsche Nationalflagge in Schwarz-Rot-Gold.
Die Studenten auf dem Wartburgfest verabschiedeten 35 Grundsätze und 12 Beschlüsse. Darin heisst es unter anderem:
  • «Die politische Zerrissenheit Deutschlands soll der politischen, religiösen und wirtschaftlichen Einheit weichen. Deutschland soll eine konstitutionelle Monarchie werden. Die Minister sollen der Volksvertretung verantwortlich sein. Der Wille des Fürsten ist nicht das Gesetz des Volkes, sondern das Gesetz des Volkes soll der Wille des Fürsten sein.
  • Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich und haben Anspruch auf ein öffentliches Gerichtsverfahren vor Geschworenengerichten nach einem deutschen Gesetzbuch.
  • Das erste und heiligste Menschenrecht, unverlierbar und unveräusserlich, ist die persönliche Freiheit. Die Leibeigenschaft ist das Ungerechteste und Verabscheuungswürdigste, ein Greuel vor Gott und jedem guten Menschen. Freiheit und Gleichheit ist das Höchste, wonach wir zu streben haben. Aber es gibt keine Freiheit als in dem Gesetz und durch das Gesetz, und keine Gleichheit als mit dem Gesetz und vor dem Gesetz. Wo kein Gesetz ist, da ist keine Gleichheit, sondern Gewalttat, Unterwerfung, Sklaverei. Jeder, von welchem der Staat Bürgerpflichten fordert, muss auch Bürgerrechte haben. Alle Gesetze haben die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums zum Gegenstande.
  • Alle geheime Polizei ist durch Ordnungsorgane der Gemeindeverwaltungen zu ersetzen. Die polizeiliche Gewalt kann von den Gemeinen, sobald diese eine gehörige Einrichtung haben, verwaltet werden. Geheime Polizei ist nur in Zeiten des Kriegs zu entschuldigen; in den Zeiten des Friedens beweist sie, dass Tyrannei herrsche oder erstrebt werde. Wer der geheimen Polizei zur Zeit des Friedens dient, der begeht einen Verrat an der Freiheit.
  • Sicherheit der Person und des Eigentums, Abschaffung der Geburtsvorrechte und der Leibeigenschaft sind ebenso verfassungsmässig zu sichern wie die besondere Förderung der bislang unterdrückten Klassen.
  • An der Stelle der stehenden Heere tritt die allgemeine Wehrpflicht (Landwehr und Landsturm). Deutschland kann vor der grossen Macht fremder Staaten nur durch die Landwehr geschützt werden, die sich im Fall der Not als Landsturm erhebt. Stehende Heere können grosse Siege erfechten, aber feste Sicherheit kann ein Staat nur in seinen Bürgern finden. Der Soldatengeist kann hohen Ruhm erlangen, aber bleibende Ehre gewinnt nur der Bürgersinn. Der Soldatengeist mag zu kühnen Taten treiben; aber der wahre Heldenmut, der in Glück und Unglück sich gleich bleibt, geht nur aus echtem Bürgersinn hervor.
  • Rede- und Pressefreiheit sind verfassungsmässig zu garantieren. Das Recht, in freier Rede und Schrift seine Meinung über öffentliche Angelegenheiten zu äussern, ist ein unveräusserliches Recht jedes Staatsbürgers.
  • Die Wissenschaft soll dem Leben dienen, vornehmlich das Studium der Moral, Politik und Geschichte. Vor allem wollen wir uns als Studierende eines ernsten und besonnenen Lebens befleissigen und der Wissenschaft treu und redlich dienen. Aber der müssigen Gelehrsamkeit, die keine Tatkraft hat und achtet, wollen wir nicht frönen. Mit besonderem Eifer wollen wir alle diejenigen Wissenschaften studieren, die den Geist über Volk und Vaterland und alle öffentlichen Verhältnisse zu läutern und zu kräftigen vermögen – Moral, Politik, Geschichte.»
Zusammengestellt nach: Huber, Ernst Rudolf. Deutsche Verfassungsgeschichte. Seit 1789.
Teil 1: Reform und Restauration. 1789 bis 1830,
2. Auflage, Stuttgart u.a. 1990, S. 722





(Quelle: Zeit-Fragen)

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